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Corona-Krise: Exit aus dem Lockdown – Die Debatte, die es nicht geben soll


Exit aus dem Corona-Lockdown
Wie kommen wir aus diesem Schlamassel wieder raus?

  • Johannes Bebermeier
Eine Analyse von Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 03.04.2020Lesedauer: 5 Min.
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Ein Infektionsschutzzentrum in Köln: Wann können die strengen Kontaktbeschränkungen in Deutschland enden?Vergrößern des Bildes
Ein Infektionsschutzzentrum in Köln: Wann können die strengen Kontaktbeschränkungen in Deutschland enden? (Quelle: C. Hardt/Future Image/imago-images-bilder)

Wann kehrt die Normalität zurück, zumindest ein bisschen, nach und nach? Viele in der Politik wollen diese Debatte jetzt nicht führen. Dafür gibt es einen Grund. Aber ist er auch gut?

Wenn Politiker gerade über ein mögliches Ende des Corona-Lockdowns sprechen, verwenden sie verschieden scharfe Worte, die immer das Gleiche bedeuten: Jetzt noch nicht.

Bei Kanzlerin Angela Merkel klang das zuletzt so: "Wir müssen noch durchhalten."

Beim bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder so: "Wir wollen keine voreiligen Exit-Debatten."

Und bei Vizekanzler Olaf Scholz so: "Ich wende mich gegen jede dieser zynischen Erwägungen, dass man den Tod von Menschen in Kauf nehmen muss, damit die Wirtschaft läuft."

Dabei ist klar, dass es ein Ende geben muss, und zwar bevor das Virus komplett besiegt sein wird. Das weiß Olaf Scholz, das weiß Markus Söder und das weiß auch Angela Merkel. Jetzt noch nicht über das Ende zu sprechen ist Teil der Strategie, überhaupt zu einem Ende zu kommen – ohne allzu große Verheerungen. Es ist eine heikle Strategie.

Wir kaufen Zeit

Die Schließung der Schulen, der Restaurants und der Läden, das Verbot Kaffee trinken zu gehen, Fußball zu spielen und Verwandte zu besuchen – all das dient bisher nur einem Zweck: Zeit zu kaufen.

Zeit braucht das Gesundheitssystem, um mehr Betten auf die Intensivstationen zu bekommen. Zeit braucht die Industrie, um Schutzmasken und Beatmungsgeräte herzustellen. Und Zeit brauchen die Forscher, um Medikamente und einen Impfstoff zu entwickeln.

Die Deutschen schränken gerade ihr Leben ein, um die Kurve flach zu halten – "flatten the curve". Die Kurve der Neuinfektionen steigt schon seit einiger Zeit exponentiell an. Ginge das so weiter, würden die Krankenhäuser schnell überlastet, Menschen könnten nicht mehr behandelt werden, viele Tote wären die Folge, viel mehr, als eigentlich am Virus sterben müssten.

"Flatten the curve" reicht nicht aus

Die Kurve flach zu halten, ist also sehr nötig, um die Katastrophe zu verhindern. Es reicht aber nicht aus. Denn je flacher die Kurve wird, desto länger wird sie eben auch: Infektionen werden erst einmal nur hinausgezögert.

Stoppen kann man das Virus erst wirklich, wenn genügend Menschen immun sind. Entweder auf natürlichem Weg, indem sie eine Infektion überstanden haben. Oder auf künstlichem Weg, durch eine Impfung.

Der natürliche Weg wird unter dem Schlagwort Herdenimmunität diskutiert. 60 bis 70 Prozent der Menschen müssten sich angesteckt haben und immun sein, damit die Infektionen gestoppt werden. Das Problem ist nur: Es dauert ewig, vor allem wenn man die Kurve flach hält, um das Gesundheitssystem nicht kollabieren zu lassen. Derzeit läge Deutschland mit mehr als 81.000 Infizierten wohl höchstens bei einem Prozent Immunität, selbst wenn man von einer hohen Dunkelziffer ausgeht.

Das zweite Problem: Auch die Entwicklung eines Impfstoffs dauert seine Zeit. Optimistischere Experten setzen auf das Frühjahr 2021. Dann müsste der Impfstoff noch in ausreichenden Mengen produziert und gespritzt werden.

Die Infektionen wieder unter Kontrolle bringen

So lange kann niemand zu Hause bleiben. Und so lange kann der Staat die Restaurants, Bars und Buchläden nicht stützen. Deshalb setzen Experten und mit ihnen viele Politiker auf einen dritten Weg, bis der Impfstoff da ist. Der sieht Lockerungen vor, ist aber aus mehreren Gründen voraussetzungsvoll und kompliziert.

Die Zahl der Neuinfektionen muss dazu nämlich erst einmal drastisch gesenkt werden. Auf einen Wert, der sich wieder kontrollieren lässt. Die Infektionsketten müssen wieder nachvollziehbar werden, es muss also möglich sein, zu bestimmen, wer wen angesteckt hat. Dann können die Kranken isoliert werden und ihre Kontakte in Quarantäne.


Um wieder an diesen Punkt zurückzukommen, ist es aber entscheidend, dass sich die Menschen jetzt an die strengen Regeln halten. Nur noch so lässt sich die exponentielle Kurve der Infektionen einfangen.

Die Debatte über das Ende könnte das Ende verhindern

Mit zu frühen Debatten über Lockerungen, so fürchten nun offensichtlich einige Politiker, könnte man möglicherweise gar nicht erst wieder an diesen Punkt gelangen. Die Debatte über das Ende könnte dazu führen, dass das Ende nie erreicht wird. Weil der Eindruck entsteht, es sei schon ausgemacht, dass es funktioniert. Noch lässt sich aber nicht sagen, ob die Regeln wirklich ausreichend greifen. Man sehe "leichte Wirkungen der Maßnahmen", sagte Merkel am Mittwoch. Aber man sei "weit davon entfernt" sagen zu können, "dass wir an diesen Kontaktbeschränkungen etwas verändern können".

Andere Politiker fordern trotz allem, die Debatte über Lockerungen zu führen. Der CDU-Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens gehört dazu, Armin Laschet. Aber auch Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter und einige FDP-Politiker. Die strengen Regeln lassen sich nur aufrechterhalten, so offensichtlich hier das Kalkül, wenn die Menschen eine Perspektive haben, ein Ziel und einen Plan.

Nur: Was wiegt schwerer? Wer hat mehr recht?

Merkels Verdopplungszeit-Ziel

Ein erstes Etappenziel hat Merkel schon ausgegeben. Es ist eine statistische Größe, maximal abstrakt, aber letztlich bedeutet sie, dass sich wesentlich weniger Menschen mit dem Virus anstecken dürfen als bislang: Der Zeitraum, in dem sich die Zahl der Infektionen in Deutschland verdoppelt, soll auf 12 bis 14 Tage steigen. Derzeit liegt er bei nur rund 9 Tagen.

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Doch was passiert, wenn dieses Ziel erreicht ist? Klar ist, dass nicht alle Regeln auf einmal aufgehoben werden. Denn sonst wäre nichts gewonnen, die Infektionszahlen würden wieder exponentiell steigen, die Krankenhäuser würden überlastet, Menschen würden sterben. Damit die Infektionen irgendwann wieder kontrolliert werden können, wird eine Maßnahme nach der anderen aufgehoben werden müssen, langsam und nachvollziehbar.

Zuerst könnten wieder mehr Restaurants und Läden öffnen. Dann vielleicht wieder Schulen und Kitas, zumindest für einige Jahrgangsstufen und Gruppen. Erst ganz zum Schluss dürften große Veranstaltungen wieder erlaubt werden, schlicht weil die Risiken zu groß, zu unkontrollierbar sind.

Und selbst für diese schrittweisen Lockerungen gibt es Voraussetzungen. Mehr Menschen müssen auf das Virus oder eine überstandene Erkrankung getestet werden können. Mehr Mundschutze müssten das Risiko einer Ansteckung senken. Und eine Corona-App könnte möglicherweise die Kontakte von Erkrankten besser nachverfolgbar machen.

Der Stichtag

Bis zum Ende der Osterferien am 19. April wird ohnehin erst einmal alles bleiben, wie es ist. Darauf haben sich am Mittwoch die Ministerpräsidenten der Länder mit der Bundesregierung geeinigt.

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Aber schon vorher wird entschieden, wie es danach weitergeht. Für den Dienstag nach Ostern, den 14. April, haben sich Kanzlerin Merkel, einige ihrer Minister und die Ministerpräsidenten der Länder wieder verabredet. Dann werde man "die Situation bewerten", sagte Merkel. Maßstab werde die Einschätzung des Robert Koch-Instituts und der Epidemiologen sein, "die uns dann sagen, wo wir stehen".

Viel Zeit, die Zahl der Infektionen zu drücken, ist bis dahin nicht mehr. Mit bedeutenden Lockerungen rechnen deshalb auch die Wenigsten.

Aber die Debatte, die es noch nicht geben soll, die wird weitergehen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Pressekonferenz von nach der Ministerpräsidentenkonferenz am 1. April
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