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Scientologe half "Querdenken" aus den Startlöchern


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Scientologe half "Querdenken" aus den Startlöchern

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 29.06.2021Lesedauer: 7 Min.
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Der Scientologe und der "Querdenken"-Gründer: Arne E., Werbefigur und Großspender bei Scientology, half Michael Ballweg beim Aufbau von "Querdenken", organisiert selbst Veranstaltungen mit.Vergrößern des Bildes
Der Scientologe und der "Querdenken"-Gründer: Arne E., Werbefigur und Großspender bei Scientology, half Michael Ballweg beim Aufbau von "Querdenken", organisiert selbst Veranstaltungen mit. (Quelle: Screenshot Instagram)

Ein Scientologe half

“Wir sind nicht für den Lebenslauf einzelner Aktivisten verantwortlich." Es ist eine Antwort, die von "Querdenken-711" routiniert und immer wieder kommt. Die Bewegung des Stuttgarter IT-Unternehmers Michael Ballweg wurde mit Anti-Corona-Demos in ganz Deutschland bekannt.

Kritische Fragen gab es schon viele dazu, wer bei der vom Verfassungsschutz beobachteten Organisation beteiligt ist. Nun gibt es eine neue Dimension: Ein langjähriger Scientologe war einer der ersten Unterstützer von Michael Ballweg und danach offenbar weiter mit dem Organisationsteam gut vernetzt. Ballweg und sein Mitstreiter beklagen eine Kampagne.

Arne E. stand nur einmal am Mikro auf den großen Bühnen der Querdenken-Demos und wurde nicht mit vollem Namen angekündigt. Er ist auch inzwischen nur mit Pseudonym auf dem Messengerdienst Telegram unterwegs. Er drängt nicht in die Öffentlichkeit, deshalb nennt t-online seinen richtigen Namen hier nicht.

Aber Arne E. ist ein "Patron with honors" bei der Scientology-Organisation. Und er hat “Querdenken" offenbar mit Organisationstalent und Einsatz aus den Startlöchern geholfen.

Bei der ersten Demo dabei

Die Geschichte der Zusammenarbeit des Scientologen und von "Querdenken" führt in die Zeit, als "Querdenken" noch nicht so hieß. Am 18. April 2020 lud Ballweg in Stuttgart zur ersten angemeldeten Demo gegen die Corona-Politik. Es war eine überschaubare Veranstaltung mit gerade einmal zwei Dutzend Teilnehmern. Aber Arne E. war einer von ihnen. Er hielt ein Schild hoch, auf dem es um die Artikel 5 und 8 des Grundgesetzes ging: Meinungs- und Versammlungsfreiheit.

Zwei Tage später meldete sich E. in der damals 45 Mitglieder zählenden Telegram-Gruppe von Ballweg. t-online liegen die Chats vor. E. schrieb, er wolle helfen, sei Ordner. Und er fragte nach einem Spendenkonto. Er ist offenbar ein großzügiger Mensch. 2017 spendete der Handwerker immerhin 100.000 Dollar an Scientology. Und bekam dafür gemeinsam mit seiner Frau ein Foto mitsamt Würdigung im Sekten-Magazin "Impact".

Ansprechpartner für neue Ordner

Doch zu dieser Zeit konnte man Ballweg noch nichts spenden oder schenken. Deshalb empfahl der Gründer, Geld an einen Verein von "Querdenken"-Anwalt Ralf Ludwig zu überweisen. Allerdings brauchte Ballweg andere Unterstützung: Bei der nächsten Demo am 22. April 2020 rechne er mit 150 Teilnehmern. Dafür brauche er 15 Ordner.

Einer der ersten beiden Freiwilligen war E. Er wurde auch mitverantwortlich für die Suche nach weiteren Helfern. Ballweg delegierte das und nannte Interessenten vier Ansprechpartner. Bei dreien von ihnen war eine enge Verbindung zu "Querdenken" bekannt.

Darunter war Ballwegs Frau Tina. Ein weiterer Ansprechpartner war auch der Chef einer Firma für Veranstaltungstechnik, für die "Querdenken" nach einem Brandanschlag innerhalb weniger Tage 225.000 Euro an Spenden sammelte. Dazu kam Sigrid Borst, die später die Wortmarke "Querdenken" eintrug und für die AfD bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg antrat. Der vierte im Quartett ist Arne E.

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Die Demonstration am 22. April war zwar schwach besucht, aber Ballweg verkündete dort, dass er die Initiative "Querdenken” genannt habe. Die von Ballwegs Frau erstellte Homepage "Querdenken-711" ging einen Tag später online. In der Telegram-Gruppe wurde da bereits über die nächste Demo am 25. April gesprochen. Es ging auch darum, ob dazu jemand mit Ballweg in einer eigenen Gruppe recherchieren könne. Es wurde nicht klar, worum es gehen sollte, aber: E. wollte.

Ballweg: "Nichts mit Scientology zu tun"

Am 25. April kamen bis zu 500 Teilnehmer. Das Abstandsgebot war nicht einzuhalten, die Lautersprecheranlage überfordert. Hilfe kam von einem Abgeordneten, der für die AfD in den Landtag eingezogen war: Heinrich Fiechtner lieh sein Megafon. Dass er bei der Demo ganz vorn stand, störte viele Teilnehmer. Ihm habe das auch nicht gefallen, sagte Ballweg hinterher. Es ist eine seiner seltenen Distanzierungen von Mitstreitern. Arne E. meldete sich später auch in der Diskussion bei Telegram: Fiechtner sei inzwischen parteilos. Aber wie man sehe, habe es ein "G'schmäckle".

Hat es denn nicht auch ein G'schmäckle, dass ein Scientologe die Ordner bei Demos organisiert? "Wir haben mit Scientology nichts zu tun", lässt Ballweg auf Anfrage erklären. Von einer Beziehung zwischen Scientology und E. wisse "Querdenken" nichts. Seine Organisation sei als Bürgerinitiative ein loser Zusammenschluss von Aktivisten und Demonstranten, bei der keine Überwachung der einzelnen Biografien stattfinde.

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Natürlich ist es möglich, dass Ballweg nichts von den Scientology-Aktivitäten des Mannes wusste. Was aus seiner Stellungnahme aber nicht hervorgeht: Sieht er ein Problem darin?

Wahrscheinlich eher nicht. Denn Ballweg hat sich auch nicht vom Reichsbürger und selbsternannten König von Deutschland Peter von Fitzek distanziert. Und auch Fiechtner begrüßte er herzlich, gegen den ein Verfahren wegen des Verdachts eingeleitet wurde, den Hitlergruß gezeigt zu haben.

"Querdenken" war Opfer von Fakes zu Scientology

Allerdings hatte sich Ballweg beklagt, Opfer von Fakes zur Scientology-Sekte geworden zu sein. So tauchte ein Plakat auf, das eine Veranstaltung des Stuttgarter OB-Kandidaten Ballweg in Scientology-Räumlichkeiten ankündigte. Das war frei erfunden. Ein vermeintlicher "@Querdenken_Presse"-Account hatte zudem auf Twitter angekündigt, es sei bei "Querdenken" ein Dianetik-Test möglich. Das ist eine von Scientologen angebotene Persönlichkeitsanalyse, die bei eigentlich jedem Teilnehmer zum Ergebnis kommt: Es gibt großes Verbesserungspotenzial im Leben. Doch Plakat, Account und Tweet waren offenbar erstellt und erfunden worden, um "Querdenken" zu schaden.

Genau diese Motivation unterstellt "Querdenken" nun auch, wo es erwiesenermaßen um einen Scientologen geht. Geplant sei offenbar "ein politisch motivierter Verdächtigungsbericht" und der Versuch, "Herrn Ballweg eine Verdächtigung über Dritte zuzuschieben", teilte "Querdenken" in seiner Antwort auf die Fragen von t-online mit.

Wie viel Überschneidung mit Scientology?

Auch Scientology Deutschland erklärt, es gebe keine Unterstützung von "Querdenken-711". Man sehe dort "keine inhaltlichen Überschneidungen mit den Zielen von Scientology", die allein auf "geistig-spirituelle Vervollkommnung und Freiheit" gerichtet seien. Scientology halte die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie insgesamt für sinnvoll und stelle die Gefährlichkeit einer Virusinfektion nicht in Abrede. 

Diese Grundhaltung bestätigt auch der baden-württembergische Verfassungsschutz dem SWR: "Eine generelle Verharmlosung der Pandemie durch die Scientology-Organisation oder eine durch sie gesteuerte Beteiligung am Protestgeschehen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen sind nicht festzustellen." Der Verfassungsschutz habe jedoch "Kenntnis von einzelnen Mitgliedern der Organisation, die sich am Protestgeschehen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie engagieren."

Der Stuttgarter Raum gilt deutschlandweit als eine Hochburg von Scientology. Es gibt dort auch ein Scientologen-Ehepaar, das ein gedrucktes Magazin mit großer inhaltlicher Nähe zu "Querdenken"-Positionen herausgibt.

Der Religionswissenschaftler und baden-württembergische Beauftragte gegen Antisemitismus, Michael Blume, glaubt zwar nicht an eine direkte Kooperation: "Es würde mich wundern, wenn sich eine hierarchische Organisation wie Scientology generell auf einen Verschwörungsunternehmer wie Michael Ballweg einlassen würde." Schließlich konkurrierten beide um die gleiche, möglichst finanzkräftige "Kundschaft". In der Weltanschauung gebe es jedoch Überschneidungen: "In der Strömung der Gnosis, zu der Scientology gehört, wird die Existenz vermeintlich von bösen Mächten unterdrückter, befreiender Wahrheiten verkündet. Das passt gut zu den ähnlich gestrickten Verschwörungsmythen selbsternannter 'Querdenker'." Ihn überraschten personelle Überschneidungen daher nicht.

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Scientology erklärt offiziell, man erwarte von Mitgliedern, "dass sie sich wie auch generell an Recht und Gesetz des Landes halten, einschließlich der Infektionsschutzmaßnahmen-Verordnungen". Wenn sich ein Widerspruch ergebe, folge ein Hinweis, möglich seien auch gegebenenfalls kirchenrechtliche Maßnahmen bis hin zum Ausschluss.

E. mit Familie in Scientology-Werbevideo

Bei E., dem Mann, der mit Frau und Kind ein probater Werbeträger für die Organisation war, ist es bislang offenbar noch nicht dazu gekommen: Scientology brachte im Mai 2020 ein Video mit der Familie heraus, seine Frau stand im Mittelpunkt. Das Thema: "Glücklichsein". Zu diesem Fall äußert sich die Scientology-Sprecherin nicht. Ihre Begründung: Datenschutz.

Auch "Querdenken" beantwortet Fragen zur genauen Rolle von E. für die Organisation nicht, spielt seine Funktion eher herunter: "Auf Demonstrationen gibt es unzählige freiwillige Helfer in technischen Crews." 

Arne E. – also einfach irgendwer?

Dagegen spricht einiges. Nicht nur sein früher Kontakt zu Ballweg, nicht nur, dass es mehrfach Fotos von ihm im "Querdenken 711-Crew"-Pullover gibt. Bereits bei den ersten großen Demos im Mai 2020 wurde er als ein Koordinator für Fluchtwege und Markierungen geführt.

E. als Redner auf "Querdenker"-Bühne

Am 16. Mai 2020 präsentierte Ballweg selbst E. vor mehreren Tausend Besuchern: "Er ist von Anfang an dabei", sagte Ballweg, und nun werde E. als Redner berichten, "warum er Querdenken macht, warum er so viel Zeit reinsteckt, und warum ist es ihm so wichtig ist, Demos zu organisieren".

Als im Juli 2020 "Deutschlands größter Autokorso" im Anschluss an eine "Querdenken"-Demonstration in Leonberg beworben wurde, teilte Ballwegs Frau eine Übersichtskarte, die sie von E. hatte. Er meldete auch stolz, den Aufruf für eine Kundgebung von Ballweg und weiterer "Querdenken"-Prominenz im März 2021 in Sinsheim gestaltet zu haben.

Und bei E. liefen im Frühjahr 2021 die Fäden zu einer neuen Aktionsform zusammen, die von "Querdenken" und prominenten Köpfen beworben wurde: "Shields for Freedom". Es war die Idee zu Demos, bei denen sich die Teilnehmer mit Plakaten mit Forderungen in einigem Abstand an Straßen aufreihen.

Schilderdemos schliefen ein

Erst war E. euphorisch, aber im April 2021 gibt es dann in einer geschlossenen Gruppe eine ernüchterte Sprachnachricht: "Ich stand alleine vor fünf Polizisten, die sagten, dass sie die Versammlung beenden, weil ich keine Versammlung bin." Das sei "demotivierend bis zum Anschlag, aber es geht um zu viel, um unsere gesamte Zukunft".

Eine ähnliche Antworte lieferte er auch auf den Fragenkatalog von t-online: Er habe sich nur deswegen engagiert, weil er es als seine "bürgerliche Pflicht sehe, diesen massiven Grundrechtsverletzungen Einhalt zu bieten".

Und dass seine Rolle nun hinterfragt wird? "Jetzt wird versucht, mit anderen Mitteln der Bürgerbewegung Querdenken zu schaden". Zuvor habe sich das "Framing Richtung Rechts" als "lächerlich" erwiesen. Tatsächlich hat der Verfassungsschutz eine andere, neue Kategorie gefunden für die heterogene Szene: "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates".

Alarmiert durch "Familienumzug"

Lokale Initiativen beobachten "Querdenken" und Pandemieleugner auch wegen solcher Eindrücke und Befürchtungen. Arne E. ist einer lokalen Recherchegruppe "Filderstadt nazifrei" aufgefallen. Als er sich an den Vorbereitungen eines "Familienumzugs" für die "Freiheit der Kinder" vor den Toren Stuttgarts beteiligte, schaute die Gruppe genauer hin und stieß auf die Verbindungen.

Zuvor war er aufs Radar geraten, weil er an einer Demonstration in Filderstadt beteiligt war und einen prominenten Gast angekündigt hatte: Michael Ballweg kam. Als E. aber nun Kinder als Zielgruppe auserkoren hatte, machte die Recherchegruppe die Verstrickungen öffentlich. Ergebnis: Der für den 12. Juni geplante Kinderumzug wurde abgesagt mit der Begründung, es habe "persönliche Angriffe gegen die Familie einer der Organisatoren" gegeben. E. erläutert das auf Nachfrage nicht.

Die Absage war ein Erfolg der Recherchegruppe, findet Ines Schmidt, die an der Spitze von "Solidarität statt Hetze" steht, eines örtlichen Bündnisses von 17 Organisationen. "Eltern sollten nicht mit Kindern unwissentlich an einer Aktion teilnehmen, bei denen die Rolle einer vom Verfassungsschutz beobachteten Sondergemeinschaft wie Scientology unklar ist."  

Auch wenn "Querdenken" und Scientology hier nur zufällig miteinander verbunden sein sollten, findet sie es bemerkenswert: "Es zeigt, dass es den Organisatoren völlig egal ist, mit wem sie sich abgeben."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Anfrage an Arne E., Michael Blume, Scientology
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