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Cum-Ex-Affäre: "Herr Scholz ist ein Serienlügner"


Olaf Scholz' größte Affäre
Wusste er doch vom "teuflischen Plan"?

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 18.08.2022Lesedauer: 6 Min.
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Olaf Scholz: Was wusste er vom Steuerraub? (Quelle: Lisi Niesner/Reuters)

Im Kanzleramt hielt man die Cum-Ex-Affäre für ausgestanden. Doch bevor Olaf Scholz nun im Untersuchungsausschuss aussagt, setzen ihn neue Details unter Druck.

Wusste Olaf Scholz etwas? Wusste er, dass seine Stadt Hamburg die Warburg-Bank mit einem Steuerraub in Millionenhöhe davonkommen lassen wollte? Mit 47 Millionen Euro aus sogenannten Cum-Ex-Geschäften? Hat Scholz, der damalige Erste Bürgermeister der Hansestadt, es gebilligt? Wollte er es sogar genau so, um die Bank vor Verlusten zu bewahren?

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Wer in den vergangenen Jahren mit Politikerinnen und Politikern gesprochen hat, die sich intensiv mit diesen Fragen beschäftigt haben, dem sind immer wieder zwei Gemütszustände begegnet: eine erstaunliche Gewissheit, dass da etwas sein müsse. Und Ärger, manchmal sogar Wut darüber, dass Scholz bislang nichts nachzuweisen ist. Und dass er es seit Jahren schafft, sich mit einer einfachen Strategie gegen alle Vorwürfe zu verteidigen.

Einer Strategie, für die es nur vier einfache Wörter braucht: Weiß ich nicht mehr. Die Treffen mit dem Bankchef? Worum es da ging? Keine "konkreten Erinnerungen". Fertig. Thema erledigt.

Scholz hat mit dieser Strategie nicht nur viele Monate als Bundesfinanzminister der Großen Koalition überstanden, sondern auch einen Wahlkampf als Kanzlerkandidat der SPD. Eine Zeit, in der Politiker für gewöhnlich so genau durchleuchtet werden, dass ihnen selbst fehlerhafte Lebensläufe zum Verhängnis werden können.

Olaf Scholz jedoch blieb weitgehend unbeschadet und ist nun Bundeskanzler. Doch dieser Tage holt ihn seine Vergangenheit einmal mehr ein. Durch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln und Enthüllungen von Journalisten sind weitere Details bekannt geworden, die erneut unangenehme Fragen nach Scholz' Rolle in der Affäre aufwerfen. Und das ausgerechnet vor einer Sitzung des Untersuchungsausschusses der Hamburger Bürgerschaft, in der Scholz am Freitag aussagen muss.

Doch wird er diesmal wieder mit seiner Strategie durchkommen? Reicht sein Weiß-ich-nicht-mehr noch aus, jetzt wo Ermittler und Journalisten immer mehr wissen?

Im Kern recht simpel

Die Cum-Ex-Affäre ist im Detail hoch kompliziert, das fängt schon bei der Finanzpraxis selbst an. Doch der Kern ist im Grunde recht simpel. Mit Cum-Ex-Geschäften haben sich Anleger wie die Warburg-Bank die Kapitalertragssteuer vom Finanzamt gleich mehrfach erstatten lassen – und sich so bereichert. Es ist simpler Steuerraub, und zwar der größte der Geschichte der Bundesrepublik, an dem sich längst nicht nur die Warburg-Bank beteiligte.

Die politischen und rechtlichen Fragen der Affäre sind ebenso simpel. Sie lauten: Hat Olaf Scholz in seiner Zeit als Erster Bürgermeister Hamburgs mit seinem Senat Einfluss darauf genommen, dass die Finanzverwaltung 2016 Steuern in Höhe von 47 Millionen Euro von der Warburg-Bank nicht zurückgefordert hat? Und hat er anschließend über seine Rolle in der Affäre gelogen?

Scholz bestreitet jeglichen politischen Einfluss auf die Entscheidungen. Bislang laufen noch keine staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen ihn. Doch die Staatsanwaltschaft Köln untersucht nun die Rolle einer Finanzbeamtin und der früheren SPD-Politiker Johannes Kahrs und Alfons Pawelczyk. Vor allem neue Erkenntnisse aus diesen Ermittlungen sind es, über die "Spiegel", WDR, NDR, "manager magazin" und der "Stern" zuletzt berichteten – und die Scholz nun in Bedrängnis bringen.

Wurden E-Mails gelöscht und Termine verschwiegen?

Die Recherchen der Medien sind deshalb so brisant für Scholz, weil sie Vorwürfe zu stützen scheinen, die Politiker schon lange erheben: dass Scholz nämlich die Aufklärung aktiv blockiere. Allerdings konnten sie ihm bisher anhand von Aussagen in verschiedenen Ausschüssen immer nur nachweisen, dass seine Erinnerung an Treffen mit Verantwortlichen in der Affäre sehr wechselhaft ausfällt – um es vorsichtig zu formulieren.

Die neuen Enthüllungen mehrerer Medien legen nun wesentlich deutlichere Blockaden nahe. So haben Ermittler demnach etwa die E-Mail-Konten der Finanzverwaltung und des damaligen Ersten Bürgermeisters Scholz durchforstet – und sind auf Merkwürdiges gestoßen: Zwar fanden sie in den Kalendern viele Termine mit Cum-Ex-Bezug, allerdings kaum eine E-Mail zum Thema. Der Schluss der Ermittler: "Dies deutet auf eine gezielte Löschung zu den Themen Cum/Ex und M.M. Warburg hin."

Noch brisanter erscheint eine E-Mail, die von Scholz' Vertrauter und langjähriger Büroleiterin Jeanette Schwamberger geschrieben wurde. Sie stammt aus dem April 2021 und ist an den ebenso langjährigen Scholz-Vertrauten und jetzigen Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt gerichtet. Die Staatsanwaltschaft Köln sortierte sie in ihren Unterlagen den Medienberichten zufolge unter der Überschrift "Thema Datenlöschung" ein und schrieb dazu: "Die folgenden Kalendereinträge und Mails sind potentiell beweiserheblich, da sie auf Überlegungen zum Löschen von Daten schließen lassen."

"Diskutieren, wie wir die Treffen 'einsortieren'"

Der Hamburger Untersuchungsausschuss hatte bei Scholz angefragt, ob in seinem Kalender Treffen mit den SPD-Politikern Kahrs, Pawelczyk und dem damaligen Finanzsenator und heutigen Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher verzeichnet seien, die im Zusammenhang mit Warburg standen. Eine Frage, die offenbar Spielraum für Interpretation ließ, denn was ist, wenn dieser Zusammenhang zumindest nicht explizit vermerkt ist?

Büroleiterin Schwamberger jedenfalls schickte Schmidt demnach in einem "ersten Aufschlag" eine Liste, auf der kein einziger Termin mit den drei Parteikollegen auftauchte. Und schrieb dazu, es sei "mit Olaf zu diskutieren, wie wir die Termine (Treffen/Telefonate) mit Kahrs, Pawelczyk und Tschentscher 'einsortieren'". Später räumten Scholz' Leute den Berichten zufolge zumindest zwei Treffen mit Pawelczyk ein, die allerdings öffentlich schon bekannt waren.

Mit den Recherchen konfrontiert, teilte Scholz den Medien mit, er selbst sei "weder in die Kalenderabfrage noch in die Übersendung der Kalenderauszüge eingebunden" gewesen. Was erst einmal kein wirkliches Dementi ist. Eine Regierungssprecherin sagte: "Es hat keine 'Auswahl' von Kalenderdaten gegeben."

Das sehen aber längst nicht alle so. "Herr Scholz ist ein Serienlügner", sagt etwa Fabio De Masi t-online. Er saß bis zur Bundestagswahl für die Linke im Bundestag und hat sich intensiv mit der Cum-Ex-Affäre beschäftigt. "Dass die Polizei die E-Mails des heutigen Bundeskanzlers und der Büroleiterin durchkämmt, zeigt: Unsere Polizei glaubt dem Bundeskanzler nicht", sagt De Masi zu den neuen Enthüllungen. Und er sagt: "Dass Scholz Kontakte zu Kahrs und Tschentscher bewusst dem Hamburger Untersuchungsausschuss vorenthielt, ist explosiv."

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CDU-Finanzpolitiker Matthias Hauer sieht das ähnlich. "Die Enthüllungen lassen nur einen Schluss zu", sagt Hauer t-online. "Bundeskanzler Scholz steckt viel tiefer als bisher vermutet im Sumpf des Cum-Ex-Steuerraubs."

Bargeld im Schließfach und ein "teuflischer Plan"

Es sind in der Sache wohl die brisantesten Erkenntnisse der vergangenen Wochen in der Cum-Ex-Affäre. Aber es sind nicht die einzigen. Hinzu kommen zwei Enthüllungen, die die Aufmerksamkeit überhaupt erst wieder auf die Affäre gelenkt haben. In einer Mediendemokratie ein Wert an sich, selbst wenn sie in der Sache gar nicht so entscheidend sein sollten. Dabei geht es um viel Bargeld in einem Schließfach – und ein eindrückliches Zitat.

Im Rahmen der Ermittlungen gegen den Hamburger SPD-Strippenzieher Johannes Kahrs, der sich inzwischen aus der aktiven Politik zurückgezogen hat, fanden Polizisten im vergangenen Jahr in dessen Wohnung einen Schlüssel. Er gehörte zu einem Schließfach in einer Bank, in dem sie auf mehr als 200.000 Euro Bargeld stießen. Zur Herkunft äußert sich Kahrs nicht. Es ist bisher auch nichts bekannt, was dafür spräche, dass das Geld mit der Cum-Ex-Affäre in Verbindung stünde. Doch das Interesse war geweckt.

Auch weil eine weitere Enthüllung hinzukam, die nicht weniger skeptisch machte. Den Ermittlungen zufolge schrieb die für den Warburg-Fall zuständige Hamburger Finanzbeamtin nämlich eine verdächtige WhatsApp-Nachricht an eine Kollegin. "Mein teuflischer Plan ist aufgegangen" hieß es darin demnach unter anderem. "Also verjähren lassen?", antwortete die Kollegin – und erhielt die Bestätigung: "Ja, wenn nicht noch etwas kommt." Und all das nur Stunden, nachdem die Entscheidung der Finanzverwaltung gefallen war, auf die 47 Millionen Euro von Warburg zu verzichten.

"… dann ist er als Kanzler nicht mehr tragbar"

Am Freitag wird Olaf Scholz wohl zu allen diesen Enthüllungen Stellung nehmen müssen. Im prächtigen Plenarsaal des Hamburger Rathauses beginnt dann um 14 Uhr die Sitzung des Untersuchungsausschusses. Doch wird er auch wirklich etwas sagen? Oder beruft er sich weiter auf "eine präzise Amnesie für alle Kontakte, die mit kriminellen Cum-Ex-Geschäften der Warburg Bank in Verbindung stehen", wie der frühere Linken-Politiker Fabio De Masi es formuliert?

CDU-Finanzpolitiker Matthias Hauer jedenfalls fordert, die Kommunikation des Bundeskanzlers und seines Beraterkreises müsse nun "lückenlos unter die Lupe genommen werden". Hauers Erwartungen sind klar: "Anstatt sich am Freitag erneut hinter unglaubwürdigen Erinnerungslücken zu verstecken, sollte sich der Bundeskanzler umfassend zu seiner persönlichen Rolle im Steuerraub sowie den mutmaßlich gezielten Löschungen und Unstimmigkeiten in seinen E-Mails und Kalendern äußern", sagt Hauer t-online.

Endlich auspacken – das erwartet auch Fabio De Masi von Scholz. "Ich wünsche mir, dass Scholz aufhört, die Öffentlichkeit für dumm zu verkaufen und sich beim Parlament und der Bevölkerung entschuldigt", sagt De Masi. Es wäre, das sagt er nicht, wohl das Ende des Bundeskanzlers Olaf Scholz.

De Masi weiß vermutlich, dass die Chancen dafür eher schlecht stehen. Deshalb formuliert er noch ein weiteres Kriterium für die Zukunft des Olaf Scholz. "Wenn gegen ihn selbst Ermittlungen aufgenommen werden sollten, ist er als Kanzler nicht mehr tragbar."

Verwendete Quellen
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