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Die AfD und das "Phantom": Dieser Mitgliedsantrag zerreißt die Partei


Partei in Aufruhr
Der Mitgliedsantrag des "Phantoms" zerreißt die AfD

  • Annika Leister
Von Annika Leister

Aktualisiert am 25.11.2022Lesedauer: 7 Min.
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Ein "Schattenmann" sorgt für Aufsehen bei der AfD (Symbolbild): Ein Ex-Republikaner möchte Mitglied beim Landesverband NRW werden. (Quelle: rococofoto/Getty Images)

Für die Republikaner sollte er eine "Schutztruppe" aufbauen, in der Rechtsrock-Szene galt er als Strippenzieher. Nun will Robert Nagels in die AfD – den NRW-Verband stürzt das ins Chaos.

Es war Anfang der Neunzigerjahre, als der Landeschef der Republikaner einen Brief schrieb und einen Auftrag an einen Mann erteilte, dem er Großes zutraute. Robert Nagels, der Bezirksvorsitzende Niederrhein, solle eine 100 Mann starke "Schutztruppe" für die Partei aufbauen, schrieb NRW-Chef Uwe Goller. Recht konkrete Vorstellungen hatte Goller auch schon: Die Truppe sollte an den Externsteinen, einer Pilgerstätte für Esoteriker und Rechtsextremisten im Teutoburger Wald, vereidigt werden.

"Dir allein traue ich zu, diese verantwortungsvolle Aufgabe zu erfüllen", schrieb Goller in einem Brief an Nagels, aus dem auch der Verfassungsschutz zitiert. Es sollte nicht das einzige Mal bleiben, dass Nagels dem Inlandsnachrichtendienst, der Gefahren für die Demokratie aufdecken soll, auffiel.

Heute leitet Robert Nagels, der bei den Republikanern so großes Ansehen und Vertrauen genoss, mehrere Arztpraxen in Oberhausen. Er ist auf der Suche nach einer neuen politischen Heimat – und würde gerne Teil der AfD werden. Recherchen von t-online zufolge hat Nagels einen Mitgliedsantrag bei der Partei gestellt, die selbst den Klammergriff des Verfassungsschutzes und eine Diskussion um ein Parteiverbot fürchtet.

Nagels ist mit seinem Antrag zwar bisher gescheitert, die Diskussion um die Personalie aber kocht in der AfD nach wie vor. Die Positionen zu der Frage, ob Nagels ein taugliches AfD-Mitglied wäre, gehen in der Partei offenbar weit auseinander – nicht zuletzt dürfte ein Grund dafür sein, dass bei einigen auch persönliche Beziehungen zu Nagels bestehen. Deutlich zeigt der Fall deswegen, wie die AfD beim Bemühen, den Behörden als Extremisten bekannte Personen aus ihren Reihen fernzuhalten, an sich selbst scheitert.

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Strenges Aufnahmeverfahren

Zu diesem Bemühen gehört bei der AfD in NRW ein strenges Aufnahmeverfahren. Anträge auf Mitgliedschaft werden nicht einfach bewilligt, die potenziellen Neumitglieder werden intensiv geprüft – in der Regel unter anderem durch eine Internetrecherche zu der Person sowie ein Aufnahmegespräch. In diesem Aufnahmegespräch werden auch Fragen gestellt, die eine mögliche rechtsextreme Gesinnung abprüfen sollen.

Bewerber werden nach Farben in drei Kategorien aufgeteilt: "Grün" sind unproblematische Fälle, deren Antrag positiv beschieden werden kann. "Gelb" zeigt fragliche Fälle an, die im Landesvorstand diskutiert werden sollten. "Rot" sind hochproblematische Fälle, die keinesfalls aufgenommen werden sollten.

Die AfD in Nordrhein-Westfalen hat die Aufnahme neuer Mitglieder zur Chefsache gemacht, dort ist der Landesvorstand in letzter Instanz dafür zuständig. In Nagels Fall ging der Antrag über den Kreisverband Duisburg ein, die Prüfaufgabe im Landesvorstand übernahm nach Informationen von t-online federführend Andreas Keith, Geschäftsführer des Landesverbands.

Nagels sei ein "gelber" Fall, verkündete Keith nach Informationen von t-online im Oktober im Vorstand. Es gebe also Gesprächsbedarf – die Probleme seien aber nicht so groß, dass sie einer Aufnahme per se entgegenstünden. Keith sprach sich in der Sitzung für Nagels Aufnahme aus, der Vorstand folgte ihm zunächst in dieser Einschätzung.

Ermittlungen wegen "Playboy"-Interview

Das überrascht gleich aus mehreren Gründen. Denn Nagels war bei den Republikanern, die ab Anfang der Neunzigerjahre vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet wurden, nicht nur Mitglied, sondern lange Zeit strammer Funktionär. Als Bezirksvorsitzender und Mitglied des Landesvorstands sorgte er immer wieder für Schlagzeilen.

Unter anderem erregte er mit einem "Playboy"-Interview 1993 Aufmerksamkeit. "Der Gedanke, das ganze Volk über das Wahlrecht am politischen System zu beteiligen, wird wahrscheinlich nicht aufrechterhalten", sagte Nagels dort – und landete in den Akten des Verfassungsschutzes. Schon wieder. Nagels habe das Demokratieprinzip öffentlich in Frage gestellt, notierten die Verfassungsschützer.

Aus dem "Playboy"-Interview zog auch Nagels Arbeitgeber Konsequenzen. Nagels nämlich war zu dieser Zeit noch Oberstabsarzt bei einem Pionierbataillon der Bundeswehr. Nach dem Artikel leitete der damalige Bundesverteidigungsminister Volker Rühe dienstliche Vorermittlungen gegen ihn ein. Das Verteidigungsministerium gibt heute mit Verweis auf die Persönlichkeitsrechte auf Anfrage von t-online keine weiteren Informationen zu dem Fall heraus. Das Magazin "Focus" aber berichtete 1996: Nagels habe in dem Verfahren behauptet, die Tonbandzitate seien abgewandelt worden. Die Ermittlungen gegen ihn seien daraufhin eingestellt worden.

"Mann im Hintergrund" im Rechtsrock

Auch neben seiner Tätigkeit bei den Republikanern war Nagels umtriebig in der rechten bis rechtsextremen Szene. Das brachte 2009 ein Gerichtsverfahren ans Licht, das sich wegen Volksverhetzung gegen den Musikproduzenten Torsten Lemmer und einen Mitstreiter richtete. Auch Nagels sollte dort vor Gericht erscheinen und sagte unter anderem aus, dass er ab 1988 für den Verfassungsschutz tätig war.

Den Angeklagten zufolge aber war Nagels – Verfassungsschutz hin, Verfassungsschutz her – unter anderem Finanzier der Labels Funny Sounds und Creative Zeiten, wie die Initiative "Endstation Rechts" über den Prozess berichtete. Die Geschäfte ließ er demnach über seine Ehefrau beziehungsweise Schwester laufen. Als "das Phantom" und "Mann im Hintergrund" beschrieb ein Zeuge Nagels Funktion in der Rechtsrock-Szene. Ein Treiber, der nur zu gerne im Schatten bleibe.

Das aber gelang Nagels immer wieder schlecht. Schon eine oberflächliche Internetrecherche befördert deswegen rasch mehrere Artikel zutage, die Zweifel an seiner Verfassungstreue zumindest bis in die Nullerjahre hinein erlauben. Eine öffentliche Kehrtwende hingegen findet sich nicht. Warum war das bei der AfD kein Grund, um bei Nagels Antrag sofort alle Lampen auf "Rot" springen zu lassen?

Nagels, Ex-Bandido und AfD-Funktionäre zusammen beim Fußball

Einen Hinweis darauf könnten Fotos liefern, die t-online vorliegen. Sie zeigen Nagels mit AfD-Funktionären aus NRW im Duisburger Fußballstadion und auf dem Duisburger Oktoberfest – kumpelig und in guter Laune. Nagels sowie einer der AfDler bestätigen auf Nachfrage von t-online: Die Fotos stammen aus diesem Jahr. Im Stadion verfolgte man gemeinsam ein Lokalderby zwischen Essen und Duisburg. Das Oktoberfest fand am 17. Oktober statt.

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Im Stadion hat sich eine illustre Runde um Nagels versammelt: Andreas Laasch, Sprecher des AfD-Verbands Duisburg, und Tobias Laue, ehemals Mitglied bei den Bandidos, jetzt Mitglied des Duisburger AfD-Kreisverbands, sitzen da auf der Bank. Mit Peace-Zeichen grüßt auch Stefan Keuter, Bundestagsabgeordneter der AfD aus NRW, in die Kamera. Direkt neben Nagels sitzt Andreas Keith, AfD-Geschäftsführer und Mitglied des NRW-Landesvorstands.

Die Männer also, die Nagels Antrag im Kreisverband Duisburg auf den Weg brachten, sowie der Mann, der an der Spitze maßgeblich für seine Prüfung zuständig ist – vereint mit Nagels im Stadion.

Nagels ist Keuters Hausarzt

Wie kam es zu den Treffen? Wurde dort Nagels Mitgliedsantrag in die Wege geleitet oder besprochen?

Keith spricht mit Blick auf das Fußballspiel von einem Treffen, bei dem "die Geselligkeit im Mittelpunkt" stand. "Zu keinem Zeitpunkt" habe man über die AfD gesprochen, teilt er t-online mit. Zu Mitgliedsanträgen wolle er sich aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht äußern.

Stefan Keuter erklärt auf Nachfrage, dass Nagels sein Hausarzt sei. Zum Oktoberfest habe er ihn deswegen gezielt eingeladen. Ihm sei aber weder dort noch im Stadion bekannt gewesen, dass Nagels einen Antrag auf Mitgliedschaft bei der AfD eingereicht habe, versichert der Bundestagsabgeordnete. Er habe dazu auch gar keine Meinung.

Auch Nagels selbst spricht mit Blick auf das Fußballspiel von einem "geselligen Beisammensein", das eher auf ein "Kennenlernen, wohl kaum auf hochkarätige Strategiegespräche" ausgelegt gewesen sei. Er habe nicht gewusst, wer kommen würde. Solche Treffen aber seien hilfreich, sagte Nagels t-online – und widerspricht indirekt der Darstellung Keiths, man habe nicht über die AfD gesprochen. "Man bekommt einen guten Eindruck, wie eine Partei tickt", sagt er.

Nagels: In der AfD gibt es Mitstreiter

Die AfD konnte Nagels zunächst überzeugen. Insgesamt wirke die Partei zwar "chaotisch", findet Nagels. "Zumindest gibt es dort aber eine gute Beurteilung der katastrophalen Lage, in der Deutschland sich befindet, und es gibt Mitstreiter", sagte er t-online. Das sei der ausschlaggebende Grund für seinen Mitgliedsantrag gewesen.

Den Einschätzungen des Verfassungsschutzes aus den Neunzigerjahren widerspricht Nagels im Gespräch mit t-online. Die Idee für eine Schutztruppe sei "Wahnsinn" und Goller "nicht die hellste Kerze auf der Torte" gewesen, dass er einen solchen Auftrag per Brief erteilte. Zur Umsetzung sei es nie gekommen, "mit so einem Scheiß" habe er sich nie beschäftigt, sagt Nagels heute. Die Zitate aus dem "Playboy" seien zwar so weit richtig wiedergegeben, aber aus dem Kontext gerissen worden. Insgesamt habe es "damals einige Verfahren" gegen ihn gegeben, man habe aber nie einen Verstoß gegen Gesetze feststellen können. "Das Führungszeugnis ist leer!", versichert Nagels.

In der AfD in NRW aber löste die Personalie nach dem zunächst positiven Votum im Vorstand erheblichen Wirbel aus. Einige recherchierten im Anschluss offenbar selbst – und schlugen Alarm. Nagels sei zu sehr radikaler Funktionär gewesen, zu vorbelastet, heißt es auf der einen Seite.

Andere hingegen stören sich nicht an Nagels Äußerungen und Verbindungen, sondern vor allem daran, dass Nagels nach eigener Aussage auch im Dienst des Verfassungsschutzes stand. In der Szene sei das "eine Art medialer 'Kopfschuss'", sagt Nagels selbst. "Man gilt als Verräter." Dabei liege seine Tätigkeit für die Nachrichtendienste Jahrzehnte zurück.

Nagels findet die AfD "heuchlerisch"

Wie die neuerliche Aufregung um seine Personalie an Nagels weitergetragen wurde, will der nicht sagen. Klar wird im Gespräch aber: Er wurde informiert – und hat daraufhin seinen Mitgliedsantrag selbst zurückgezogen. Unter "fadenscheinigen Gründen" sollten neue Mitglieder aus der Partei herausgehalten werden, findet er. "Den Rückzug musste ich antreten, weil ich nicht die Gelegenheit bekommen habe, meine Position persönlich vorzutragen. Es sollte feige im Hinterzimmer entschieden werden!"

Die AfD in NRW will sich zu Nagels Mitgliedsantrag unter Verweis auf den Datenschutz sowie die Persönlichkeitsrechte nicht weiter äußern. "Ich kann Ihnen allerdings mitteilen, dass wir keinen Robert Nagels als Mitglied führen und auch nicht geführt haben", teilt der NRW-Landesvorsitzende Martin Vincentz auf Nachfrage von t-online mit. Insgesamt gelte: Die Überprüfung neuer Mitglieder – da "umfangreich, händisch und zeitaufwendig" – liege nicht immer zum Zeitpunkt der Bearbeitung eines Antrags im Landesvorstand vor, "wobei ein Votum dann jeweils unter dem Vorbehalt eines möglichen Vetos nach Überprüfung gefasst wird".

Noch einmal gerade so gut gegangen für die AfD in NRW, könnte man nun sagen. Nagels sieht das anders. Er ist von der AfD tief enttäuscht. Besonders ärgert ihn, dass "ausgerechnet Akteure, die gegen mich agiert haben" mit "eindeutigem" – sprich: rechtsextremen – Vokabular kokettierten. "Heuchlerisch" sei das, sagte Nagels t-online. Seine Gegner wollten wohl vermeiden, dass Plätze in der Partei von Menschen besetzt würden, die für die eigene Position gefährlich werden könnten. "Das ist doch keine Alternative zum bestehenden System!"

In der AfD in NRW ist die Diskussion noch lange nicht beendet. Dort geben sich Funktionäre nun gegenseitig die Schuld – wahlweise für das positive Votum zu Nagels Antrag oder dessen Ablehnung. Eine Schlammschlacht ist entbrannt, in Telegram-Nachrichten, Mails und auf Sitzungen werden Konsequenzen gefordert. Die Personalie Nagels dürfte den Landesverband noch eine ganze Weile beschäftigen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Gespräch mit Robert Nagels
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