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Aiwanger-Pressekonferenz: Entschuldigung? Darum sollte er zurücktreten


Erklärung zum Auschwitz-Pamphlet
Der Gipfel der Unverfrorenheit

MeinungVon Tim Kummert

Aktualisiert am 31.08.2023Lesedauer: 3 Min.
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"Ich bereue zutiefst": Hubert Aiwanger, stellvertretender Ministerpräsident von Bayern, hat sich am Donnerstag entschuldigt. (Quelle: IMAGO/Stephan Goerlich/imago-images-bilder)

Hubert Aiwanger entschuldigt sich für Fehler im Zusammenhang mit dem Auschwitz-Pamphlet. Das ist gut – wirkt aber wenig glaubwürdig. Der bayerische Vize-Ministerpräsident muss zurücktreten.

Nicht einmal zwei Minuten Zeit nimmt sich Hubert Aiwanger an diesem Donnerstagnachmittag. Seit Tagen kursieren die Nachrichten, dass er als Schüler ein antisemitisches Flugblatt mit sich herumgetragen habe. Mitschüler behaupten, Aiwanger habe menschenfeindliche Witze gerissen, Hitler imitiert, den Hitlergruß gezeigt und das Buch "Mein Kampf" in seiner Schultasche gehabt. Aiwanger hat die Vorwürfe zu großen Teilen zurückgewiesen, abgewiegelt – und weiter Volksfeste besucht.

Nun folgt von ihm also eine Entschuldigung. Aiwanger, der sonst gern frei spricht, liest vom Blatt ab: "Ich habe als Jugendlicher auch Fehler gemacht. Ich bereue zutiefst, wenn ich durch mein Verhalten in Bezug auf das in Rede stehende Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen mich aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe. Meine aufrichtige Entschuldigung gilt zuvorderst allen Opfern des NS-Regimes, deren Hinterbliebenen und allen Beteiligten und der wertvollen Erinnerungsarbeit." Nochmals bestreitet er, das Flugblatt verfasst zu haben, von dem sein Bruder mittlerweile die Autorenschaft in Anspruch nimmt.

Seit wann ist er nun kein Antisemit?

Aiwangers Entschuldigung ist gut. Sie ist zugleich das absolute Minimum dessen, was man von jemandem erwarten darf, der (auch mit 17 Jahren!) ein Flugblatt mit sich herumtrug, das die Opfer von Auschwitz verhöhnt.

Doch vor allem kommt seine Abbitte viel zu spät. Nach sechs Tagen erst, jetzt, wo der Druck so stark geworden war, dass mancher schon mit seinem Rücktritt rechnete. Das ist obskur. Denn nun wirkt er wie einer, der einräumt: Na, dann muss ich wohl eben auch noch um Vergebung bitten.

"Ich war nie ein Antisemit", sagt Aiwanger nun in seinem Statement. Etwa 24 Stunden vorher klang das noch ganz anders. Da sprach er in eine Fernsehkamera: "Auf alle Fälle sage ich: Seit dem Erwachsenenalter, die letzten Jahrzehnte – kein Antisemit, kein Extremist, sondern ein Menschenfreund." Ja, seit wann ist Aiwanger nun kein Antisemit? Seit dem Erwachsenenalter? Oder noch nie? Es ist genau diese Art von Schlingerkurs, die Aiwangers Entschuldigung so unglaubwürdig macht.

Man könnte lachen, wenn es nicht so bitter wäre

Das Problem dabei ist auch: Aiwanger erklärt gar nicht, was damals geschehen ist. "Ich kann mich nicht erinnern, einen Hitlergruß gezeigt zu haben." Kann sein, kann eben nicht sein. Und menschenfeindliche Witze? Die könne er "weder vollständig dementieren noch bestätigen".

Das wirkt wie sein Satz vom Vortag, als Aiwanger über mögliche weitere Enthüllungen sagte: "Lassen wir uns überraschen, was da jemand mir unter die Nase halten will." Ja, lassen wir uns mal überraschen, ob er wirklich den Hitlergruß gezeigt und menschenfeindliche Witze gemacht hat! Man könnte lachen, wenn es nicht so bitter wäre.

Es ist nicht verwerflich, nicht mehr genau zu wissen, was man vor 36 Jahren im Detail getan hat oder was nicht. Verwerflich ist es, das so zu transportieren. Denn: Warum hat er nicht schon früher, gleich bei der ersten Medienanfrage zugegeben, etwas mit dem Flugblatt zu tun zu haben? Warum hat er sich nicht da schon dafür entschuldigt?

Und dann schaltet er allen Ernstes noch in den Angriffsmodus

Stattdessen eiert ein Politiker da kraftlos herum und gibt immer nur zu, was inzwischen offensichtlich ist. Nicht einmal im Moment seiner Entschuldigung besitzt er dann die Würde, schnörkellos einzuräumen, dass er in vielerlei Hinsicht Mist gebaut hat.

Der Gipfel der Unverfrorenheit Aiwangers besteht jedoch darin, gleich wieder umzuschwenken. Denn nach einer guten Minute der Entschuldigung ist es für Aiwanger dann auch genug. Er schaltet allen Ernstes wieder um in den Angriffsmodus: "Es ist jedoch nicht akzeptabel, dass diese Verfehlungen jetzt in einer politischen Kampagne gegen mich und meine Partei instrumentalisiert werden. Ich habe den Eindruck, ich soll politisch und persönlich fertig gemacht werden. Es ist ein negatives Bild von mir in den letzten Tagen gezeichnet worden. Das bin nicht ich. Das ist nicht Hubert Aiwanger."

Man kann sich gut vorstellen, wie Aiwangers Anhänger seinen Auftritt aufnehmen. Wie es nun heißen wird: "Jetzt muss aber wirklich mal gut sein, er hat sich doch entschuldigt!" Eine ehrliche Entschuldigung, ein Einräumen der Vorwürfe ohne das permanente Hervorheben von Erinnerungslücken, hätte tatsächlich die Wogen geglättet.

Doch mit seiner seltsamen Attacke konterkariert er seine Entschuldigung. Das ist Durchtriebenheit statt Demut. Dieser Mann ist unwürdig, weiterhin ein politisches Amt in Deutschland zu bekleiden. Er sollte zurücktreten, besser heute als morgen. Es reicht.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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