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Vier Jahre nach Anschlag in Hanau: Was aus dem Rechtsterror folgen muss


Vier Jahre nach Hanau
Einwanderung hat das Gesicht dieser Bundesrepublik verändert

MeinungEin Gastbeitrag von Serpil Midyatli (SPD), Pegah Edalatian (Grüne)

Aktualisiert am 19.02.2024Lesedauer: 4 Min.
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Hanau gedenkt der AnschlagsopferVergrößern des Bildes
Gedenkmarsch in Hanau: Mehrere Tausend erinnern an die rassistischen Morde vor vier Jahren. (Quelle: Boris Roessler/dpa/dpa-bilder)

Vor vier Jahren erschoss ein Rassist in Hanau neun Menschen. Was muss aus dem Rechtsterror folgen? Die SPD-Vizechefin Serpil Midyatli und die Grünen-Vizechefin Pegah Edalatian machen einen Vorschlag.

Zum vierten Mal jährt sich heute der terroristische Anschlag von Hanau, bei dem Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov aus rassistischen Motiven ermordet wurden. Wir gedenken unserer Mitbürger, die aus ihrem Leben, ihren Familien und unserer Gesellschaft brutal herausgerissen wurden.

Der heutige Tag muss uns eine Warnung sein, wozu Hass und Hetze führen können. Eine Warnung davor, dass Rassismus und die Verbreitung von Desinformation über Menschen mit Migrationshintergrund unsere Demokratie und ihre Bürger gefährden.

Menschen mit Migrationshintergrund wissen ganz genau, wie sie sich am 19. Februar 2020 und in den folgenden Wochen gefühlt haben. Sie haben ein Recht auf ein Leben in Sicherheit. Dafür braucht es eine positive Vision unserer Einwanderungsgesellschaft, die nicht spaltet, sondern Probleme konstruktiv und gemeinsam löst. Es braucht ein neues deutsches Wir.

Deutschland ist ein Einwanderungsland

In der öffentlichen Debatte sind Menschen mit Migrationshintergrund, die hier seit Jahrzehnten leben, und ihre Lebensrealitäten noch immer unterrepräsentiert. Und zu häufig fokussiert sich die Debatte einseitig auf gesellschaftliche Konflikte. Oft lässt sich beobachten, dass den wenigen gezeigten positiven Beispielen massive rassistische Diskurse von rechts außen gegenüberstehen. Diese münden im Extremfall in Gewalt und Fantasien über Deportationen.

Nicht erst seit der "Correctiv"-Recherche ist bekannt: Was AfD und Co. wollen, ist die gewaltvolle Vertreibung von Millionen Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland, auch solche mit deutscher Staatsangehörigkeit.

Die Autorinnen

Serpil Midyatli ist seit 2019 Landesvorsitzende der SPD in Schleswig-Holstein und stellvertretende Bundesvorsitzende. Pegah Edalatian ist seit 2022 stellvertretende Bundesvorsitzende der Grünen und die erste vielfaltspolitische Sprecherin der Partei.

Der breite Aufstand der Gesellschaft gegen Rechtsextremismus in den letzten Wochen im ganzen Land ist ein wichtiges Zeichen. Ein Zeichen für gesellschaftliches Miteinander statt Spaltung. Wir wollen diesen Impuls aufnehmen und eine positive Vision einer Gesellschaft der vielen in den Vordergrund stellen, die Pluralität nicht nur aushält, sondern aktiv gestaltet.

Denn Einwanderung hat den Wohlstand unseres Landes gesichert und das Gesicht dieser Bundesrepublik verändert. Gut jede vierte in Deutschland lebende Person hat einen Migrationshintergrund. Zwei Millionen Menschen, die seit 2015 zu uns gekommen sind, haben in Deutschland Jobs gefunden. 22 Prozent der Start-up-Gründer in Deutschland haben einen Migrationshintergrund und tragen damit zu unserem Erfolg und unserem internationalen Ruf als Innovationsstandort bei. Diese gesellschaftliche Realität wird von einer Mehrheit der deutschen Gesellschaft begrüßt.


  • In dieser Podcastfolge erklären zwei unserer Redakteure mit Migrationshintergrund, inwieweit die neuen Einwanderungsgesetze helfen:
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Alle demokratischen Parteien sind jetzt in der Pflicht, die Haltung der Mehrheit im Land aufzunehmen. Das heißt auch, alle rechtsstaatlichen Hebel gegen Verfassungsfeinde in Bewegung zu setzen, wie die Prüfung des Verbots von erwiesen rechtsextremistischen Gruppierungen wie der Jungen Alternative und nahestehenden Organisationen. Zudem brauchen wir endlich ein Demokratiefördergesetz, um zivilgesellschaftliche Initiativen in ihrem Einsatz für die Demokratie und die offene Gesellschaft zu unterstützen.

Es ist genug Heimat für alle da

Neben dem aktiven Kampf gegen Verfassungsfeinde setzen wir uns für eine positive Erzählung der Einwanderungsgesellschaft ein. Denn sie ist eine Bereicherung in Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie ist die Folge von Millionen von zugewanderten Menschen, die in Deutschland ihre neue Heimat gefunden haben.

Das heißt nicht, dass es in der Einwanderungsgesellschaft keine Konflikte gibt. Aber wir müssen deutlich machen, dass eine vielfältige Gesellschaft durch ihre vielfältigen Perspektiven besser aufgestellt ist für die komplexen Probleme dieser Zeit – wenn sie Konflikte konstruktiv zu lösen lernt.

Dazu kommt, dass Menschen mit Migrationshintergrund mehr sind als ein ökonomischer Wert. Wir sind Nachbarinnen und Freunde, Vereinsmitglieder und Arbeitskolleginnen. Wir gestalten unser Land aktiv mit – in Vereinen, in unserer Nachbarschaft, auf der Arbeit, in Gewerkschaften oder in Parteien.

Es ist wichtig, dass wir als Menschen mit Migrationshintergrund uns selbstbewusst als Deutsche sehen. Das bedeutet nicht, dass wir unsere Identität zurücklassen. Im Gegenteil. Wir tragen mehrere Identitäten in uns und begreifen sie als Chance. Es bedeutet, dass wir von der Gesellschaft einfordern, unsere Vielfalt als Normal- und nicht als Störfall anzuerkennen. Denn unser Wir ist ein vielfältiges Wir.

Es ist gut, dass wir uns als Ampelregierung zur Einwanderungsgesellschaft bekennen und diese aktiv gestalten. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, dem Chancenaufenthaltsrecht und der Reform der Staatsbürgerschaft machen wir Deutschland zu einem modernen Einwanderungsland.

In einer Einwanderungsgesellschaft braucht es auch ein konsequentes Vorgehen gegen jede Diskriminierung. Deswegen brauchen wir eine Weiterentwicklung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, um Schutzlücken zu schließen und Betroffenen die gesellschaftliche Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen.

Die teils undifferenzierten Debatten der letzten Monate haben viele Menschen mit Migrationshintergrund vor den Kopf gestoßen. Dazu gehören auch die immer neuen Vorschläge zu Asylrechtsverschärfungen und Abschiebungen. Hier gilt es, Vertrauen zurückzugewinnen.

Offene Gesellschaft, offene Politik

Die aktive Gestaltung der Gesellschaft der vielen braucht die politische Beteiligung aller. Das gilt gerade auch für politische Parteien. Hier können wir besser werden, sie so zu öffnen, dass sich mehr Menschen mit Migrationsgeschichte einbringen. Dafür braucht es Strategien, um Diskriminierung abzubauen, Menschen mit Diskriminierungserfahrungen besser anzusprechen und für politische Ämter zu fördern – auf der Ebene der Ehren- und Hauptamtlichen bis hin zum Spitzenpersonal. Das haben sich unsere Parteien zur Aufgabe gemacht.

Denn als Deutsche sollten wir alle selbstverständlich unsere Politik mitgestalten können. Und als Deutsche mit Migrationsgeschichte bringen wir wertvolle Perspektiven ein, um eine selbstbewusste Einwanderungsgesellschaft zu gestalten. Indem wir Stimmen hörbar machen, wirken wir auch Versuchen von Autokraten wie Erdoğan entgegen, aus den Diskriminierungserfahrungen von Menschen mit Migrationshintergrund eigenes politisches Kapital zu schlagen.

Unsere Einwanderungsgesellschaft ist keine Last. Sie ist wertvoll – und die Mehrheit der Menschen in Deutschland sieht das genauso. Unsere Antwort auf Rassismus und Abwehrkämpfe muss ein neues deutsches Wir sein.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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