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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Überwachung durch Verfassungsschutz Ihre Angst ist nicht mehr unbegründet

Schon immer beäugten sich Parteifreunde in der AfD misstrauisch: Die Furcht vor Zuträgern der Nachrichtendienste war groß. Völlig unbegründet war das schon zuletzt nicht mehr. Nun verschärft sich die Lage für die Partei.
Seit vielen Jahren geht in der AfD die Angst um. Vom Parteivorstand bis zum Ortsverein raunen die Radikalen seit jeher von "U-Booten" des Verfassungsschutzes, also von Parteifreunden, die angeblich für die Inlandsnachrichtendienste arbeiten. So mancher Funktionär und Mandatsträger geriet unter diesen Verdacht seiner Mitstreiter, meist reichte eine abweichende Meinung. Oft wurden ihnen auch Indiskretionen zugeschrieben, die der Partei kurzfristig schadeten. Bis etwa 2020 war das reine Paranoia.
Gerüchte und Unterstellungen
Die Gerüchte und Unterstellungen reichen weit in jene Zeit zurück, als die AfD noch als in erster Linie eurokritisch und in erst in zweiter Linie als ausländerfeindlich galt, also in eine Zeit, als die Partei über Einzelfälle hinaus mit Sicherheit kein Gegenstand nachrichtendienstlicher Beobachtung war. Das änderte sich zunächst erst graduell mit fortschreitender Radikalisierung, nun ändert es sich aber schlagartig mit der Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch".
Zwar hatte 2019 das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Partei zum Prüffall gemacht und folgte damit einem Schritt des Thüringer Verfassungsschutzes ein Jahr zuvor – das erlaubte aber nur die Auswertung öffentlicher Quellen. Der Einsatz von "Vertrauensleuten", also sogenannter "V-Leute", die Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörden aktiv über Parteiinterna informieren könnten, ist in diesem Stadium noch gesetzlich ausgeschlossen.
Ein schleichender Prozess
In manchen Bundesländern wurde die Furcht vor den "Schlapphüten" aber immer begründeter: 2020 stuften die Landesämter zunächst das bundesweit einflussreiche Parteinetzwerk "Flügel" unter Björn Höcke, dann den Landesverband Brandenburg zum Verdachtsfall einer rechtsextremistischen Bestrebung gegen die Bundesrepublik Deutschland hoch. Plötzlich war zumindest dort mit Überwachung tatsächlich zu rechnen.
Bei einer Beobachtung als Verdachtsfall ist der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel bereits erlaubt. Zu diesen zählt der Einsatz von V-Leuten. Aber auch Finanzermittlungen, Observationen oder Bild- und Tonaufnahmen sind möglich. Bei Auswahl und Einsatz der Mittel muss allerdings der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein.
Die Schwelle sank zunehmend
Als Verdachtsfälle folgten 2021 die Landesverbände in Sachsen und Sachsen-Anhalt, 2022 die Landesverbände in Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen sowie der Bundesverband. Gesicherte rechtsextreme Bestrebungen wurden – abgesehen vom "Flügel" – erstmals 2021 in Thüringen, 2023 in Sachsen, Sachsen-Anhalt und bei der Jugendorganisation "Junge Alternative" festgestellt.
Bei derartigen Beobachtungsobjekten sank die Schwelle für den Einsatz der Überwachungsmaßnahmen deutlich. Vermutlich auch deswegen reagierte die Partei: Der "Flügel" löste sich formal auf und seine Mitglieder durften deswegen nicht mehr beobachtet werden, auch wenn Zweifel bestanden, ob die Organisation nicht fortbestehe. Zuletzt wurde die "Junge Alternative" aufgelöst und soll unter anderem Namen in die Partei eingegliedert werden.
V-Leute-Einsatz schon bestätigt
Klagen beispielsweise gegen die Beobachtung durch die Behörden scheiterten regelmäßig – zuletzt im Mai 2024, als das Oberverwaltungsgericht Münster die Einstufung des Bundesverbands durch das BfV als rechtmäßig erachtete. Trotzdem will die AfD auch im aktuellen Fall gegen den Schritt vor Gericht ziehen, wie sie ankündigte.
Wie viele V-Leute in und um die AfD aktiv sind oder wie viele Quellen abgeschöpft werden, ist währenddessen unklar. Bereits Ende 2020 sagte der Leiter des Landesamts in Brandenburg, man könne sich bei der Anwerbung von Informanten im Umfeld der AfD "nicht beklagen". Und mit der Zeit dürften es in vielen Teilen Deutschlands deutlich mehr geworden sein.
Zwar legte der Verfassungsschutz im Prozess gegen den Bundesverband offen: Lediglich von zwei menschlichen Quellen waren Informationen in das der Bewertung zugrundeliegende Gutachten eingeflossen – erstellt worden war es allerdings bereits 2021. Damals, so erklärte das BfV, habe keiner der V-Leute "steuernden Einfluss" in der Partei ausgeübt.
Ein solcher Einfluss wäre nämlich laut Gesetzeslage ein großes Problem. Als nahezu sicher gilt nicht nur deswegen, dass Mitglieder in Führungspositionen der Partei nicht von den Ämtern angeworben werden. Damit zog der Gesetzgeber Konsequenzen aus dem ersten NPD-Verbotsverfahren 2003, als die Unterwanderung der Vorstände durch die Behörden das Parteiverbot scheitern ließ. Nichtsdestotrotz dürfte die Angst in der Partei vor den sogenannten "U-Booten" mit dem aktuellen Schritt weiter zunehmen. Und – abgesehen von den Vorständen – nicht völlig unbegründet sein.
- Eigene Recherchen