Wie ein Fisch durchs Netz
Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr fΓΌr Sie ΓΌber das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Mehrere EU-Staaten beschlagnahmen Oligarchen-Eigentum. Nur die deutsche Bundesregierung versagt dabei β und schiebt stattdessen die Verantwortung zwischen den Ministerien hin und her.
Christian Lindner klang gewohnt selbstsicher, als er sich Anfang MΓ€rz vor die Presse stellte. Der Ukraine-Krieg tobte seit wenigen Tagen und der Finanzminister wollte ein deutliches Zeichen setzen.
Lindner erklΓ€rte: "Wer von Putin profitiert hat, und den Reichtum des russischen Volkes auch durch Korruption gestohlen hat, der kann nicht in unseren westlichen Demokratien seinen Wohlstand genieΓen." Man wolle das Geld der Oligarchen einfrieren, teilte die Bundesregierung mit. Die Idee dahinter: Wenn etwas vom Reichtum der russischen MΓ€chtigen brΓΆckelt, dann kΓΆnnte sukzessive auch ihre Treue zum Autokraten Putin schwinden.
In diesen Tagen stellt sich heraus, wie weit Lindner mit seinem Vorhaben gekommen ist. Auf die Anfrage eines Linken-Politikers teilte das Finanzministerium mit: InlΓ€ndische Banken haben bis zum 21. MΓ€rz insgesamt gut 95 Millionen Euro VermΓΆgen von russischen Oligarchen eingefroren. In Italien ist dagegen von mehreren hundert Millionen Euro die Rede. In Frankreich von mindestens 850 Millionen. Und in Belgien sollen es sogar mehrere Milliarden sein, ΓΌber die niemand mehr verfΓΌgen kann.
Die Jagd war Chefsache, zumindest eine Zeit lang
Wie kann das sein? Warum werden die russischen Oligarchen ausgerechnet in der Bundesrepublik kaum behelligt? Die Antwort liegt in der deutschen BΓΌrokratie, mangelnden Gesetzen und in einem Hin- und Herschieben von Verantwortung in der Bundesregierung.
Dabei wirkte Bundeskanzler Olaf Scholz ursprΓΌnglich so entschlossen wie sein Finanzminister Christian Lindner. Anfang MΓ€rz sagte eine Sprecherin der Regierung dem ARD-Hauptstadtstudio: "Die Bundesregierung etabliert derzeit eine Taskforce zur Durchsetzung der Sanktionen. Das Bundeskanzleramt ΓΌbernimmt dabei auf direkte Bitte des Bundeskanzlers eine ΓΌbergeordnete, koordinierende Rolle."
Γbersetzt bedeutete das: Die Jagd ist jetzt Chefsache, von Scholz so angeordnet. Wobei der Chef in dem Fall nicht der Bundeskanzler selbst war, sondern sein enger Vertrauter JΓΆrg Kukies, StaatssekretΓ€r im Kanzleramt. Scholz kennt Kukies schon lange, er gilt als AufrΓ€umer. Wenn etwas reibungslos ΓΌber die BΓΌhne gebracht werden soll, ist das ein Fall fΓΌr ihn.
Kukies sorgte auch dafΓΌr, dass zunΓ€chst alles reibungslos anlief: Er rief die Taskforce am 16. MΓ€rz ins Leben, diese erstellte eine Liste mit zu sanktionierenden Personen. Γffentlich einsehbar sind diese Namen zwar nicht alle, doch die Aufstellung wurde offenbar von der Bundesbank an die GeschΓ€ftsbanken und Versicherungen versandt. Kreditkarten und Konten der entsprechenden Oligarchen sind damit kΓΌnftig: gesperrt. Daher kommt die Zahl der gut 95 Millionen Euro, die bislang eingefroren wurden.
Kaum Gebrauch von einem wirksamen Hebel gemacht
Schon anders sieht es mit den Wohnungen, Jachten, GemΓ€lden, dem Schmuck und weiteren WertgegenstΓ€nden der Oligarchen aus. Zwar kΓΆnnen beispielsweise Jachten nicht mehr verchartert und Wohnungen nicht mehr direkt vermietet werden. Behalten dΓΌrfen die Oligarchen sie aber offenbar.
Der neu gegrΓΌndeten Taskforce dΓΌrfte schnell klar geworden sein, dass es nicht so schnell geht mit dem Einfrieren: Italien und Frankreich legten medienwirksam Jachten an die Kette, nur in Deutschland ging das nicht. Auch deshalb ist im Nachbarland die Ziffer des eingefrorenen Geldes so hoch im Vergleich zur Bundesrepublik.
Das liegt auch daran, dass das im Grundgesetz geschΓΌtzte Recht auf Eigentum als besonders hohes Gut gilt. Die deutschen ErmittlungsbehΓΆrden machen von einer vorlΓ€ufigen Beschlagnahmung kaum Gebrauch. Diese mΓΌsste zwar nach einem bestimmten Zeitraum wieder aufgehoben werden, doch wΓΌrde dieser juristische Hebel zumindest sicherstellen, dass kein Oligarch mehr mit seiner Jacht in der Ostsee herumfahren kann.
PlΓΆtzlich wurde eine neue Leitung berufen
In Deutschland gibt es zudem kaum Gesetze wie in Italien oder Frankreich, die eine private Nutzung der entsprechenden WertgΓΌter der Oligarchen unmΓΆglich machen. Es wurde kompliziert fΓΌr die Taskforce, es wurde kompliziert fΓΌr JΓΆrg Kukies. Und wenn es kompliziert wird, dann kommt in der Politik oft eine Wende. Hier war es nicht anders.
Denn plΓΆtzlich wollte man im obersten Machtzirkel des Olaf Scholz nichts mehr mit der entsprechenden Taskforce zu tun haben. Von einer "ΓΌbergeordneten, koordinierenden Rolle" des Kanzleramts war nun keine Rede mehr. Stattdessen wurde letzte Woche, ΓΌber acht Tage nach der GrΓΌndung, eine andere, offizielle Leitung der Taskforce verkΓΌndet: Johannes Geismann, ein aus dem Ruhestand geholter StaatssekretΓ€r, und Nina Thom, eine OberstaatsanwΓ€ltin.
Die beiden sollen nun koordinieren zwischen sechs Ministerien, unter anderem den dafΓΌr wichtigen Ressorts fΓΌr Wirtschaft und Finanzen. Zudem sollen unter anderem die Bundesbank, der Bundesnachrichtendienst und das Bundeskriminalamt einbezogen werden. In einem offiziellen Papier der Bundesregierung heiΓt es dazu, es sei klar, dass sich die Ressorts "im Detail eng miteinander abstimmen".
Insider rΓ€tseln derweil, wann es der Staat zumindest vereinfachen wird, Oligarcheneigentum zu melden. Zudem ist unklar, ob kΓΌnftig hΓ€ufiger vom Instrument der vorlΓ€ufigen Beschlagnahmung Gebrauch gemacht wird. Um den Oligarchen ihre Jachten zu sperren. Die Taskforce jedenfalls beginnt nun erst mal, unter neuer FΓΌhrung zu arbeiten β etwa einen Monat nach Ausbruch des Krieges. Wann es die ersten wirklichen Ergebnisse gibt, ist offen.
- Eigene Recherchen