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SPD-Vorsitzwahl: Die hohen Erwartungen werden nicht erfüllbar sein


Finale der Vorsitzenden-Wahl
Sie werden die SPD enttäuschen müssen

  • Johannes Bebermeier
Eine Analyse von Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 29.11.2019Lesedauer: 5 Min.
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Olaf Scholz und Klara Geywitz oder Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken? Am Samstag steht die neue SPD-Spitze fest. Probleme werden bleiben.Vergrößern des Bildes
Die SPD hat die Wahl: Olaf Scholz und Klara Geywitz oder Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken? Am Samstag steht die neue SPD-Spitze fest. Probleme werden bleiben. (Quelle: Michael Kappeler/dpa-bilder)

Geywitz und Scholz oder Esken und Walter-Borjans? Am Samstag ist klar, wer die SPD führen wird. Der lange Auswahlprozess wird die hohen Erwartungen nicht erfüllen können.

Etwas Neues auszuprobieren, hat ja erst einmal viel für sich. Vor allem, wenn das Alte nicht mehr funktioniert. Das dachte sich auch die SPD, und so kommt es, dass nach einem einmalig aufwändigen Urwahlprozess am Samstagabend ein neues Führungsduo präsentiert wird, das direkt von den Mitgliedern statt in den sprichwörtlich gewordenen Hinterzimmern bestimmt wurde.

23 Regionalkonferenzen, drei Stichwahlduelle, fast zwei Millionen Euro und ein halbes Jahr Selbstbeschäftigung später wird also feststehen, ob Klara Geywitz und Olaf Scholz oder Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans künftig die SPD führen werden. So viel ist sicher.

Das ist nicht Nichts. Parteien brauchen Vorsitzende, auch die SPD, in der letzten Zeit brauchte sie sogar besonders viele. Doch nur um neue Vorsitzende zu bestimmen, dafür wäre der Beteiligungsprozess eben auch nicht nötig gewesen.

In der SPD sind zwei weitere Hoffnungen mit dem Mitgliederentscheid verbunden worden: Er sollte eine echte Richtungsentscheidung der Mitglieder bringen, ein Zeichen gegen den Niedergang der einst so stolzen Volkspartei. Und er sollte die Partei, die in der Vergangenheit nicht nur ihre Vorsitzenden, sondern auch sich selbst hart angegangen ist, mit sich selbst versöhnen.

Eine der Hoffnungen aber wird enttäuscht werden. Mindestens eine. Auch so viel ist schon sicher.

Die kuriose Vorliebe für Volksentscheide

Die Bürger zu befragen, ist schon seit Jahren beliebt. Es klingt ja auch gut: Die Menschen dürfen selbst mitbestimmen und müssen sich nicht damit begnügen, alle paar Jahre ihre Vertreter zu wählen. Politologen sprechen den so getroffenen Entscheidungen oft größere Legitimität und damit größere Anerkennung zu, weil sie unvermittelt vom Souverän kommen, dem Volk. Auch als Mittel gegen Politikverdrossenheit werden sie angepriesen, die ja heute oft eher eine Politiker- und Parteienverdrossenheit ist.

Das Problem ist, dass die zuverlässig hohen Erwartungen an Referenden zuletzt genauso zuverlässig nicht eingelöst wurden. Insofern sagt ihre Beliebtheit wohl genauso viel über die Ratlosigkeit der Politik aus, wie über ihre tatsächlichen Vorteile.

Man denke etwa an Stuttgart 21, außerhalb von Baden-Württemberg schon fast vergessen und immer noch nicht fertiggestellt. Nachdem ein Bürgerbegehren vor Baubeginn an rechtlichen Bedenken scheiterte, gab es 2011 doch noch eine Volksabstimmung darüber, ob das Land aus der Finanzierung aussteigen solle. Das lehnte eine Mehrheit ab. Die Proteste gingen weiter. Bis heute.

Man denke an Erdogans Verfassungsreferendum in der Türkei. Die Bürger stimmten 2017 knapp dafür, den Präsidenten mächtiger zu machen. Das Präsidialsystem ist zwar nicht umstritten, Erdogan in Teilen der Bevölkerung aber weiterhin sehr stark.

Oder man denke an den Brexit. Der damalige Premierminister David Cameron wollte die traditionell EU-skeptischen Briten eigentlich in der EU halten und ließ sie 2016 selbst entscheiden. Eine knappe Mehrheit wollte raus. Das Königreich ist heute gespaltener denn je – und immer noch in der EU.

Die Zweifel wachsen

Nun kann der SPD niemand vorwerfen, dass sie etwas wagt. Ihre Situation ist so ernst, ihr Weg und ihr Bild in der Öffentlichkeit so unklar, dass sich etwas ändern muss. Doch ob der Mitgliederentscheid das richtige Mittel dafür ist, daran konnte man von Beginn an Zweifel haben, und die Zweifel sind im Prozess eher gewachsen als geschrumpft.

Es fing schon mit Kevin Kühnert an. Der bekannte Juso-Chef trat aus vielerlei Gründen nicht an, aber unter anderem deshalb, weil er ein Duell zwischen sich und Olaf Scholz vermeiden wollte, das alles andere überlagert. Wenn ein Verfahren aber dazu führt, dass aussichtsreiche Kandidaten Angst vor einer solchen Richtungsentscheidung haben, von der zugleich alle sagen, dass sie nötig ist, stimmt irgendetwas nicht. Und Kühnert war nicht der einzige bekannte SPD-Politiker, der sich dem Prozess nicht aussetzen wollte. Selbst Scholz trat nur an, weil es kein anderer aus der ersten Reihe tat.

Dass die Angst vor allzu großen Kontroversen nicht unbegründet ist, dass also Kühnert Recht hatte mit seiner Vorsicht, zeigte sich im Laufe des Verfahrens immer deutlicher. Generalsekretär Lars Klingbeil betonte nicht ohne Grund von Beginn an auf jeder Regionalkonferenz: Wenn ein neues Spitzenduo feststehe, müssten sich alle solidarisch hinter ihm versammeln.

Zwar hatte man den Eindruck, dass die Aussprachen auf den Konferenzen wichtig und richtig und heilsam waren. Alle anwesenden Genossen hatten die Chance, sich ihre Sorgen und Nöte von der Seele zu reden und ein Team, das alles ziemlich ähnlich sah, fand sich auch immer. Doch nur ein Bruchteil der SPD-Mitglieder war auf den Konferenzen. Im Internet wurde auch damals schon engagiert gestritten, nicht immer sachlich, nicht immer mit der gewünschten Solidarität im Blick.

Aufstand in der Bundestagsfraktion

Als es dann in die Stichwahl ging, nahmen die Konflikte auch zwischen den Duos zu. Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, die eine sehr andere SPD-Politik wollen, kritisierten Olaf Scholz und seine Verantwortung für die aktuelle SPD-Politik deutlich. Der fand das natürlich nicht so toll und wehrte sich, für viele ungewohnt kämpferisch, was ihm gute Presse einbrachte. Aber er wirkte auch ehrlich wütend und reagierte teils ebenso hämisch und unversöhnlich.

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In der SPD-Bundestagsfraktion entlud sich dem "Spiegel" zufolge Anfang der Woche der Ärger über den Prozess und den Streit. Die ständige Selbstbeschäftigung sei eigentlich das Verhalten "einer Sekte", soll der gestürzte Hoffnungsträger Martin Schulz gesagt haben. Mehrere Fraktionsmitglieder sollen sich über die harte Kritik der Jusos und des Duos Esken/Walter-Borjans beschwert haben. Über ihre Kritik an der SPD-Politik.

Das doppelte Dilemma der SPD

Die SPD steckt in einem doppelten Dilemma. Sie will und braucht neue Geschlossenheit, für die ganz entscheidend die Parteiführung verantwortlich ist, die die Aufgabe hat, verschiedene Strömungen zu integrieren. Zugleich will und braucht die SPD eine Richtungsentscheidung, für die letztlich auch die Parteiführung verantwortlich ist, und eine Richtungsentscheidung, die allen gefällt, ist meistens keine.

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Vor diesem grundsätzlichen Dilemma stünde die SPD zwar auch ohne den Mitgliederentscheid. Aber das Verfahren potenziert die Probleme. Weil sich die Duos im Wahlkampf um die Zustimmung der Basis klar abgrenzen müssen, wächst die Polarisierung zusätzlich und sehr öffentlich. Zudem bedeutet mehr Beteiligung auch immer die Erwartung, mehr Einfluss auf das Ergebnis zu haben. Und birgt somit die Gefahr der größeren Enttäuschung, wenn es anders ausgeht.

Dass die SPD beides schafft, dass sie sich durch den Mitgliederentscheid eine neue Richtung gibt und zugleich versöhnt daraus hervorgeht, wird also nicht funktionieren. Entweder wird die klare Polarisierung in einem irgendwie-mittigen Konsens enden müssen. Oder die SPD wird Mitglieder und Wähler aus irgendeinem Lager nachhaltig vergrätzen.

Das heißt natürlich nicht, dass für die SPD jetzt schon alles verloren ist. Wenn sie einen Teil ihrer Anhänger verliert, könnte sie neue (oder alte zurück-)gewinnen. Und auch ein guter irgendwie-mittiger Konsens kann funktionieren. Wie so oft wird es nicht nur auf den Prozess, sondern auch auf die handelnden Personen ankommen, vor allem auf die neuen Vorsitzenden.


Ob ein Referendum bei der Wahl der Richtigen hilft, ob es bessere Entscheidungen bringt als andere Verfahren, ist unter Politologen übrigens eine der umstrittensten Fragen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtung der Vorsitzendensuche
  • Interviews mit Olaf Scholz und Saskia Esken
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