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Angela Merkel: Das größte Rätsel der Ära der Bundeskanzlerin


Tagesanbruch
Das größte Rätsel der Ära Merkel

MeinungVon Sven Böll

Aktualisiert am 11.09.2021Lesedauer: 4 Min.
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Sich auf das konzentrieren, was man wirklich beeinflussen kann: Angela MerkelVergrößern des Bildes
Sich auf das konzentrieren, was man wirklich beeinflussen kann: Angela Merkel (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

es gibt diese Momente, in denen man sich fragt: Hat sie das wirklich gesagt? Hat er tatsächlich so viel Chuzpe?

Mir ging es zuletzt immer mal wieder so, weil sich diverse Minister bereits für die nächste Regierung beworben haben. Und zwar nicht demütig, sondern offensiv.

Ihr Ziel sei es, ließ Annegret Kramp-Karrenbauer jüngst wissen, "in Berlin auch künftig als Ministerin die Soldaten der Bundeswehr zu vertreten". Die Verteidigungsministerin sagte das kurz nach dem Afghanistan-Desaster. Da wirkte ihr "Hier sitze ich, ich kann nicht anders" fast schon trotzig.

Armin Laschet wird sich über diese Personalie gerade nicht den Kopf zerbrechen. Er hat viel grundsätzlichere Probleme. Wie seine Chancen im Wahlkampfendspurt stehen – unter anderem darüber habe ich mit meinen Kollegen Florian Harms und Tim Kummert diskutiert. Hören Sie doch mal hinein in den zweiten Teil unseres Spezials zur Bundestagswahl:

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Annegret Kramp-Karrenbauer ist nur das jüngste Beispiel für merkwürdig anmutendes Selbstmarketing. Aber bei Weitem nicht das schillerndste. Es ist noch nicht allzu lange her, da erklärte auch Anja Karliczek, sie wolle Ministerin bleiben: "Ich bin noch längst nicht mit meiner Arbeit fertig."

Was die einen als Drohung empfanden, führte bei den anderen zu Amüsement. Denn die Bildungs- und Forschungsministerin wurde in Berlin nie richtig ernst genommen. Ich erinnere mich an eine Veranstaltung, auf der sie eigentlich der Stargast war. Doch während sie ihre Rede hielt, unterbrach fast niemand sein Gespräch. Das ist zweifellos schlechter Stil. Es sagt aber auch etwas über die Vortragende aus.

Vermutlich wird man die Politikerin Anja Karliczek bald vergessen haben. Für einen weiteren Ich-will-weitermachen-Kandidaten gilt das eher nicht: Andreas Scheuer. Auch der Verkehrsminister will sein Amt behalten: "Mir macht es viel Freude."

Viele Steuerzahler dürften eine differenziertere Meinung haben. Denn die Maut, die Scheuer gegen den Rat aller Vernunftbegabten durchpeitschte, bis sie scheiterte, hat uns alle bereits Dutzende Millionen Euro gekostet – und es könnten noch Hunderte Millionen Euro dazukommen. Scheuers Vermächtnis wird am ehesten darin bestehen, den Begriff "politische Verantwortung übernehmen" auf Dauer lächerlich gemacht zu haben. Zurücktreten muss künftig eigentlich niemand mehr. Fast jeder kann sagen: Mein Skandal ist doch maximal ein halber Scheuer.

Dass Menschen ihren Aufgaben nicht gewachsen sind, kommt in den besten Unternehmen vor. Es ist also kein Phänomen der Bundesregierung. Doch wie in der Wirtschaft stellt sich auch in der Politik bei Fehlbesetzungen die Frage: Wer hat die Leute denn dahin gesetzt?

Wobei wir – und ich muss mich für den etwas länglichen Anlauf entschuldigen – beim eigentlichen Thema wären: Wieso duldet Angela Merkel Minister wie Karliczek und Scheuer in ihrem Kabinett? Ja, warum hat sie beide überhaupt in das wichtigste politische Gremium des Landes berufen?

Die pragmatische Antwort lautet: Weil Politik so funktioniert, wie sie funktioniert. Da gehört es zu den Gepflogenheiten, dass jede Partei ihre Minister selbst bestimmt. Im Fall von Scheuer ist das die CSU. Deshalb kann in der Praxis nur CSU-Chef Markus Söder dem Verkehrsminister das Vertrauen entziehen.

Es ist kein Zufall, dass der einzige Minister, den die Kanzlerin in den vergangenen 16 Jahren gefeuert hat, Norbert Röttgen ist. Wie sie ist er in der CDU. Und Angela Merkel war damals auch seine Parteichefin.

Der Parteienproporz im Kabinett schränkt die Macht eines Regierungschefs also bereits ein. Hinzu kommt der innerparteiliche Proporz: Möglichst viele Landesverbände müssen repräsentiert sein. Und es müssen natürlich Frauen und Männer bedacht werden. Aus diesem Proporzproporz entstehen Personalien wie die von Karliczek.

Unter diesen Restriktionen regierten alle Kanzler. Im Fall von Angela Merkel wirkt es trotzdem wie das vielleicht größte Rätsel ihrer Ära: Wieso erträgt eine Frau, die so schnell im Kopf ist wie nur wenige und die in den drei Jahrzehnten ihrer Karriere in der Spitzenpolitik skandalfrei blieb wie kaum jemand sonst, Kolleginnen und Kollegen vom Schlage Karliczek und Scheuer?

Es könnte nun eine umfängliche feuilletonistische Deutung folgen. Aber die wahrscheinlichste Erklärung ist merkelhaft pragmatisch: Konzentriere Dich aufs Wesentliche! Dort, wo sie gegen das System aus geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen nichts ausrichten kann, verkämpft die Kanzlerin sich gar nicht erst. Die Kraft, die sie dabei spart, steckt sie in Themen, bei denen sie etwas bewegen kann.

Politik ist im Kern die Befriedigung von Interessen. Die erfolgt im Wesentlichen durch Geld für Projekte und durch nette Pöstchen. Also bietet das Kabinett auch für Angela Merkel die Gelegenheit, Bedürfnisse auszugleichen, die sich sonst nicht kompensieren lassen. Und wenn der Preis dafür nicht gerade überqualifizierte Ressortchefs sind, ist es eben so. Hauptsache, sie sind loyal. Schließlich ist die Kanzlerin eh misstrauisch und stützt sich nur auf wenige enge Vertraute.

Hinzu kommt, dass Angela Merkel seit den eher unglücklichen Amtszeiten der Bundespräsidenten Horst Köhler und Christian Wulff klar sein dürfte, dass sie nicht die beste Headhunterin im Lande ist. Deshalb konzentriert sie sich eher aufs Inhaltliche. Aber auch hierbei vor allem auf jene Dinge, die sie beeinflussen kann.

Das können die ganz großen Themen sein, die qua Amt früher oder später automatisch bei ihr landen – so wie in der Corona-, Finanz- oder Afghanistan-Krise. Oder aber es sind jene Bereiche, die ihr tatsächlich wichtig sind. So hat die Kanzlerin dafür gesorgt, dass der Etat des Ressorts von Karliczek inzwischen bei mehr als 20 Milliarden Euro liegt. Das ist mehr als doppelt so viel wie 2005. Diese finanzielle Expansion wird die Bildungs- und Forschungspolitik mehr verändern, als es irgendeine Ministerin jemals gekonnt hätte.

Die Antwort auf die Frage, wie wichtig Angela Merkel dieser Politikbereich ist, liegt deshalb weniger in der Qualität der Ministerinnen als vielmehr in der Quantität des Etats.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und ein spannendes Triell am Sonntagabend.

Herzliche Grüße,

Ihr

Sven Böll
Managing Editor t-online
Twitter: @SvenBoell

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Mit Material von dpa.

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