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China: Tappt Deutschland in die nächste Abhängigkeitsfalle?


Tagesanbruch
Machen wir schon wieder den gleichen Fehler?

MeinungVon Miriam Hollstein

Aktualisiert am 21.10.2022Lesedauer: 6 Min.
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Auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei will Staatschef Xi Jinping seine Macht weiter ausbauen.Vergrößern des Bildes
Auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei will Staatschef Xi Jinping seine Macht weiter ausbauen. (Quelle: Andy Wong/AP/dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

was wird in den Memoiren von Angela Merkel im Kapitel "Meine drei größten Fehler" stehen? Diese Frage wurde mir kürzlich auf einer Podiumsdiskussion gestellt. Ich fürchte: nicht viel. Mehr noch: Vermutlich wird es ein Kapitel mit dieser oder ähnlicher Überschrift gar nicht geben. Denn obwohl es für die Nachwelt ungeheuer lehrreich wäre, von der ehemaligen Kanzlerin mehr über ihre Irrtümer zu erfahren, haben die Verfasser politischer Autobiografien in der Regel kein Interesse an einer selbstkritischen Retrospektive. Kein Wunder, schließlich geht es darum, mit welchem Bild man in die Geschichte eingeht. Und wer möchte nicht, dass dieses eher ein positives und notfalls geschöntes ist?

Als langjährige politische Beobachterin hätte ich freilich ein paar Vorschläge für ein solches Kapitel. Natürlich müsste die Russland-Politik darin vorkommen. Wobei ich hier teilweise auf mildernde Umstände plädieren würde: Die Überzeugung, dass im Umgang mit Russland die Strategie "Wandel durch Handel" am effektivsten ist, war kein Alleinstellungsmerkmal der Kanzlerin. Wladimir Putins Hang zu Skrupellosigkeit, Nationalismus und Despotie haben viele nicht sehen wollen.

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Anders sieht es in der Frage der Energieversorgung aus. Spätestens seit der Krim-Krise 2014 war Merkel klar, wie gefährlich die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas ist. Trotzdem hielt sie an der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 fest, selbst als die USA und mehrere europäische Partner vehement dagegen protestierten. Das ist rückblickend nicht nachvollziehbar.

Auch das Thema Klimakrise müsste in dem Kapitel auftauchen. Als einstige Umweltministerin wusste Angela Merkel früher als viele andere, welche Folgen die Konzentration auf fossile Brennstoffe für den Planeten hat. Als Physikerin konnte sie – anders als viele andere Politiker – die Materie zudem naturwissenschaftlich durchdringen. 1997 schrieb sie ein Buch ("Der Preis des Überlebens") über die Zukunft der Umweltpolitik, in dem sie ausdrücklich davor warnte, dass es eines Tages "zu spät" sein könnte für eine grundlegend andere Politik. Als Kanzlerin hat sie ihre eigene Mahnung nicht beherzigt, war beim Ausbau der erneuerbaren Energien zu lange zu zurückhaltend. Andere Themen erschienen wichtiger. Auch das war ein Fehler.

Schwieriger ist es mit einem dritten Thema: der deutschen China-Politik. Auch hier wusste Merkel, mit wem sie es zu tun hatte. Ich erinnere mich an ein Hintergrundgespräch auf einer Reise mit der Kanzlerin, in dem sie uns Journalisten vom Projekt "Neue Seidenstraße" erzählte, also Chinas Ausbau der Infrastrukturnetze in anderen Ländern. Es war offenkundig, dass sie dieses Projekt beunruhigte. Zu diesem Zeitpunkt hatten die meisten von uns noch nie davon gehört.

In ihrer Politik machte sich dieser Wissensvorsprung allerdings kaum bemerkbar. Während ihrer Kanzlerschaft wurden die Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und Deutschland weiter ausgebaut. Menschenrechte wurden bei den Reisen der Kanzlerin eher diskret adressiert. Seit Jahren ist China unser wichtigster Handelspartner in der Welt – und wir sind für die Volksrepublik der wichtigste in Europa.

Welche Gefahr darin steckt, machten Vertreter der deutschen Geheimdienste erst in dieser Woche in ungewöhnlich drastischen Worten bei einer öffentlichen Anhörung durch das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags deutlich. Dort sprach der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, zunächst über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Dann aber rechnete er mit der deutschen China-Politik ab. Obgleich von einem "zur Globalmacht aufsteigenden autokratischen China" eine erhebliche Bedrohung ausgehe, seien die deutsche Politik und Gesellschaft zu vertrauensselig gewesen und hätten sich "in eine schmerzhafte Abhängigkeit" begeben.

Auch der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, machte in der Anhörung klar, dass er China für die größte Gefahr hält: "Russland ist der Sturm, China ist der Klimawandel." Es ist nicht Haldenwangs erste Warnung. Bereits zuvor hatte er in einem Interview mit dem Südwestrundfunk gesagt: "Langfristig gesehen könnte sich China auch zum Gegner Nummer 1 entwickeln."

In Peking findet derweil seit Sonntag der 20. Parteitag der Kommunistischen Partei statt, auf dem sich Chinas Präsident Xi Jinping am Wochenende zum dritten Mal zum Parteichef wählen lässt. Zum Auftakt wiederholte er in seiner knapp zweistündigen Rede nicht nur sein großes Ziel, die Volksrepublik bis zu ihrem 100. Geburtstag im Jahr 2049 zur Weltmacht Nummer 1 machen zu wollen. Er drohte Taiwan auch erneut ganz offen mit einer militärischen Eroberung: "Wir werden nicht auf den Einsatz von Gewalt verzichten und alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um alle separatistischen Bewegungen zu stoppen."

Wie ernst es Xi ist, zeigen die Entwicklungen der vergangenen Jahre: Der seit 2013 amtierende Präsident hat einen Personenkult um sich geschaffen, der an den Gründer der Volksrepublik Mao Tse-Tung erinnert. Dieser geht so weit, dass viele Chinesen inzwischen nicht einmal mehr seinen Namen auszusprechen wagen. Das erinnert ein bisschen an Lord Voldemort in den "Harry Potter"-Romanen. Die Medien sind gleichgeschaltet. Publizieren darf nur noch, wer sich aus staatlichen Geldern finanziert.

Doch was hat Olaf Scholz aus den Fehlern seiner Vorgängerin gelernt? Offenbar nicht aus allen dreien gleich viel. Zwar behandelt er notgedrungen Putin inzwischen als das, was dieser ist: ein gefährlicher Kriegstreiber. Und auch die Umweltpolitik ist inzwischen ein zentrales politisches Anliegen der Regierung von Scholz.

Im Falle Chinas dagegen scheint er Merkels Fehler fortführen zu wollen. Der Fall des Hamburger Hafens ist dafür ein Lehrbeispiel. Dessen Terminalbetreiber HHLA (gehört mehrheitlich der Stadt Hamburg) will 35 Prozent des Containerterminals Tollerort an eine staatliche chinesische Reederei verkaufen. Doch dafür braucht die HHLA die Genehmigung der Bundesregierung. Nach Informationen von WDR und NDR will das Kanzleramt diese auch erteilen, obwohl alle Fachministerien dagegen sind. Nicht nur die Opposition ist entsetzt.

Tappt Deutschland also gerade in die nächste Abhängigkeitsfalle und sollte einfach nur 不 (chinesisch für "Nein") sagen? Ganz so simpel ist die Antwort leider nicht. Denn schon jetzt kommt jeder dritte Container in Hamburg aus China. Außerdem ist das Land bereits an Hamburgs schärfsten Konkurrenten, den Häfen von Rotterdam und Antwerpen, beteiligt. Verweigert Hamburg eine Beteiligung, droht es im globalen Handel noch weiter abgehängt zu werden als ohnehin schon.

Völlig offen ist auch die Frage, wie sich die Abhängigkeit von China beim Ausbau der erneuerbaren Energien verhindern lässt. Vermutlich gar nicht. Über 90 Prozent aller Solarzellen, die in Deutschland verbaut werden, kommen aus China.

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Soweit die komplexe Ausgangslage. Noch ist das Kapitel, welche Fehler ein Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Amtszeit begangen hat, ohne relevante Inhalte. Aber er und wir alle sollten uns zumindest hinterher nicht wie im Fall von Russland vorwerfen lassen müssen, vor den erkennbaren Risiken zu lange die Augen verschlossen zu haben.


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Was amüsiert mich?

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Oder wie man auf Englisch sagen würde: The laugh is always on the loser.

Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende. Morgen schreibt an dieser Stelle unser stellvertretender Chefredakteur Peter Schink für Sie.

Herzliche Grüße

Ihre

Miriam Hollstein
Chefreporterin im Hauptstadtbüro von t-online
Twitter: @HollsteinM

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Mit Material von dpa.

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