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Georg Gänswein über Benedikt XVI.: Das wollte er um jeden Preis vermeiden


Engster Vertrauter verrät
Das wollte Papst Benedikt um jeden Preis vermeiden

MeinungVon Erzbischof Georg Gänswein

Aktualisiert am 03.03.2023Lesedauer: 9 Min.
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Georg Gänswein mit Benedikt XVI. (Archivbild): Der Vertraute des Papstes bringt nun sein Buch in Deutschland heraus.Vergrößern des Bildes
Georg Gänswein mit Benedikt XVI. (Archivbild): Der Vertraute des Papstes bringt nun sein Buch in Deutschland heraus. (Quelle: imago-images-bilder)

Georg Gänswein war enger Vertrauter von Benedikt XVI., wie kaum ein anderer hatte er Einblick in die Entscheidungen des 2013 emeritierten Papstes. Lesen Sie hier einen exklusiven Auszug aus Gänsweins Buch, das bald in Deutschland erscheint.

Am 31. Dezember 2022 starb Benedikt XVI., 2013 hatte der aus Deutschland stammende Papst auf sein Amt verzichtet. Georg Gänswein stand Benedikt über Jahrzehnte nahe, hatte tiefen Einblick in die Gedankenwelt des Kirchenoberhaupts. In einem neu auf Deutsch erscheinenden Buch berichtet Erzbischof Gänswein nun über die Zeit mit Benedikt XVI. Lesen Sie hier einen Auszug:

In der besagten Zeit nahm ich bei Benedikt zum ersten Mal eine ungewohnte Anspannung wahr. Vor allem nach der Feier der Heiligen Messe in der Kapelle fiel mir auf, dass er während der Danksagung sehr ins Gebet vertieft war. Den Kopf in die Hände gestützt, kniete er förmlich zusammengesunken auf seinem Betstuhl: ein ungewohnter Anblick, da er sich normalerweise eher straff und aufrecht hielt.

Ich führte diese Zeichen innerer Unruhe auf die gegenwärtigen Probleme zurück, und als wir dann am 3. Juli nach Castel Gandolfo aufbrachen, dachte ich, sie könnten auch der mentalen Anstrengung geschuldet sein, die es ihn kostete, den dritten Teil seines Jesusbuchs – über die Kindheitsgeschichten – zum Abschluss zu bringen.

In der zweiten Augusthälfte schien er mir wieder heiterer zu sein, doch gegen Ende des Monats läutete in meinem Inneren eine kleine Alarmglocke, weil Kardinal Bertone mir nach einer Audienz erneut erzählte, dass der Papst – und diesmal konkreter – von seiner Müdigkeit gesprochen habe. Der Staatssekretär ging nicht näher darauf ein, weil auch er nicht wusste, was er davon halten sollte. In seiner Autobiografie beschrieb er die Situation wie folgt: "Es fiel mir schwer zu glauben, dass er diese Entscheidung wirklich treffen würde, und ich legte ihm mit allem Respekt, aber auch mit Nachdruck eine Reihe von Argumenten vor, die ich zum Wohl der Kirche und um eine allgemeine Entmutigung des Volkes Gottes im Hinblick auf seinen guten Hirten zu verhindern, für begründet hielt."

Dieser Text stammt aus dem am 8. März 2023 im Herder-Verlag erscheinenden Buch "Nichts als die Wahrheit. Mein Leben mit Benedikt XVI." von Georg Gänswein und Saverio Gaeta.

Für den 1. Oktober war die endgültige Rückkehr in den Vatikan geplant. In der Woche davor wollte er auch mich in Kenntnis setzen. Ich erinnere mich noch genau: Am 25. September nach dem Frühstück bat er mich, etwas früher als sonst zu unserem üblichen Vormittagstermin zu erscheinen – bei dem wir die Post sichteten und die eventuellen Termine des Tages besprachen –, weil er mir etwas Wichtiges zu sagen habe. Das war schon öfters vorgekommen, wenn es ein Problem gab, das besondere Aufmerksamkeit erforderte. Deshalb machte ich mir auch diesmal nicht allzu viele Gedanken über seine Bitte.

Als ich mich ihm gegenübersetzte, sah ich, dass sein Gesichtsausdruck gleichzeitig ernst und heiter war. Dann sagte er ohne Umschweife zu mir: "Ich habe nachgedacht, ich habe gebetet und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich wegen des Schwindens meiner Kräfte auf das Petrusamt verzichten muss." Ich reagierte spontan und heftig: "Heiliger Vater, wenn die Kräfte nicht mehr ausreichen, können Sie die Arbeitslast reduzieren, Sie können die Verpflichtungen im Tagesverlauf verringern, indem Sie delegieren und weniger selbst machen."

Gelassen fasste er mit äußerster Knappheit die Gründe für seine Entscheidung zusammen und lieferte mir damit den praktischen Beweis dafür, dass er jeden einzelnen Aspekt lange und gewissenhaft erwogen hatte. Mir wurde sofort klar, dass alle meine Überredungsversuche völlig vergeblich sein würden. Ich kannte Benedikt inzwischen von Grund auf seit vielen Jahren und wusste, dass er entschlossen war, eine Entscheidung, wenn er sie – zumal wie in diesem Fall nach intensivem Beten und Nachdenken – erst einmal getroffen hatte, auch zu Ende zu bringen.

Georg Gänswein, Jahrgang 1956, ist Kurienerzbischof der römisch-katholischen Kirche. 1984 wurde Gänswein zum Priester geweiht, ab 2003 war er Privatsekretär von Kardinal Joseph Ratzinger und ab April 2005 von Papst Benedikt XVI. 2012 erfolgte seine Ernennung zum Titularerzbischof und zum Präfekten des Päpstlichen Hauses. 2013 wurde Gänswein im Petersdom durch Papst Benedikt XVI. zum Bischof geweiht. Nach dem Amtsverzicht Benedikts XVI. verblieb er in seiner Funktion als dessen Privatsekretär bis zum Tod des emeritierten Papstes am 31. Dezember 2022. Am 8. März 2023 erscheint sein Buch "Nichts als die Wahrheit. Mein Leben mit Benedikt XVI."

Der erste Punkt, den er mir vortrug, betraf den Weltjugendtag. Ich antwortete ihm, dass die großen Bildschirme und die Internetverbindungen eine ständige und realistische Präsenz seiner Person ermöglichen. Wegen der großen Ausdehnung des Veranstaltungsortes und der zu erwartenden hohen Zahl Jugendlicher stand ohnehin zu erwarten, dass ihn wohl auch in Rio nahezu alle Anwesenden nur auf der Leinwand sehen würden. Doch ich vermochte nichts gegen seine Auffassung auszurichten, dass es etwas völlig anderes sei, ob der Papst physisch anwesend oder ob er in Wirklichkeit vom Vatikan aus nur virtuell präsent wäre.

Sodann verwies mich Benedikt auf Johannes Paul II., der mit fast 85 Jahren starb, und betonte: "Ich bin jetzt seit so vielen Jahren Papst, wie er krank gewesen ist, und ich möchte nicht enden wie er. Außerdem habe ich getan, was ich konnte, und für die Kirche wäre es besser, wenn ich zurücktreten und ein neuer Papst gewählt werden würde, der jünger und energischer ist. Jetzt, da die problematischen Ereignisse der letzten Monate abgeschlossen worden sind, ist der richtige Zeitpunkt, um ohne allzu große Schwierigkeiten das Steuer an einen anderen zu übergeben."

Tatsächlich war es – da er recht genau wusste, dass Papst Johannes Paul II. die Zügel der Kirchenleitung gegen Ende seines Pontifikats aus der Hand zu gleiten drohten – sein offenkundiges Anliegen zu verhindern, dass es vonseiten seiner Mitarbeiter zu einer Aneignung von Machtbefugnissen kommen könnte. Ratzinger hatte sich damals aus dem Spiel herausgehalten, aber er hatte gesehen, wie enge Mitarbeiter von Johannes Paul II. sich immer mehr Einfluss verschafften und sich zuweilen in die Haare kamen.

Neben dem persönlichen Sekretär Don Stanisław und Staatssekretär Sodano waren dies vor allem der Substitut Leonardo Sandri und der Präfekt der Kongregation für die Bischöfe Giovanni Battista Re sowie im italienischen Umfeld der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz Camillo Ruini. Im Jahre 2012 waren diesbezüglich erste Gerüchte über den angeblich wachsenden Einfluss von Kardinal Bertone und mir aufgekommen; Benedikt wollte sie im Keim ersticken!

Diskret und in kleinen Schritten

Benedikts ursprüngliche Idee war es gewesen, seinen Amtsverzicht am Ende der Weihnachtsaudienz für die Römische Kurie zu verkünden, die in jenem Jahr am 21. Dezember stattfinden sollte, und den 25. Januar 2013, das Fest Pauli Bekehrung, als den letzten Tag seines Pontifikats festzulegen. So teilte er es mir Mitte Oktober mit, und ich gab zur Antwort: "Heiliger Vater, erlauben Sie mir diese Bemerkung: Wenn Sie das so machen, wird dieses Jahr kein Weihnachten gefeiert werden, weder im Vatikan noch anderswo. Es wird sein, als hätte sich eine Eisdecke über einen blühenden Garten gelegt."

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Am 11. Oktober 2012, dem 50. Jahrestag der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils, hatte das Jahr des Glaubens begonnen, das am 24. November 2013 enden sollte. Zu diesem Anlass hatte Papst Benedikt die Abfassung einer Enzyklika über den Glauben auf den Weg gebracht. Außerdem arbeitete er in jenen Tagen an den Korrekturfahnen seines Bandes über die Kindheit Jesu, der am 16. November 2012 erscheinen sollte. Als Kardinal Bertone und ich uns über den Sachverhalt austauschten, waren wir uns daher einig, dass wir ihn zwar in puncto Rücktritt nicht umstimmen konnten – obwohl wir unser Möglichstes getan hatten –, dass wir aber zumindest dafür plädieren wollten, den Termin auf das darauffolgende Jahr zu verschieben.

Benedikt verstand unsere Gründe und entschied sich schließlich für den 11. Februar, an dem im Vatikan der Jahrestag der Lateranverträge zwischen Italien und dem Heiligen Stuhl gefeiert wird. Für diesen Tag war ein sogenanntes "weißes" Konsistorium für die Ankündigung einiger Heiligsprechungen vorgesehen (im Unterschied zum "roten" Konsistorium, bei dem die neuen Kardinäle kreiert werden).

Außerdem war es der Gedenktag Unserer Lieben Frau von Lourdes, und im Wallfahrtsort Altötting, der dem Papst sehr am Herzen lag, wurde der Welttag der Kranken begangen: Damit brachte der Papst auch seine geistliche Nähe zu denjenigen zum Ausdruck, die – wie er es in der betreffenden Botschaft formuliert hatte – aufgrund ihrer Krankheit und ihres Leidens "eine schwierige Zeit der Prüfung" erlebten und mit deren Mühsal er sich auf geistige Weise vereinte.

Der Zeitpunkt im Kirchenjahr war glücklich gewählt, denn zwei Tage später war Aschermittwoch. Das gab ihm die Gelegenheit, in seiner letzten öffentlich zelebrierten Messe noch einmal an das zu erinnern, was im Zentrum seiner Botschaft stand: Das, worauf es im Leben der Kirche am meisten ankommt, ist die Bekehrung zu Jesus Christus und der Glaube an seine Auferstehung, ohne die das Christentum sinnlos wäre. Anschließend sollten vom 15. bis zum 23. Februar die geistlichen Fastenexerzitien für die Römische Kurie stattfinden: ein "Puffer" oder eine "Verdauungshilfe", um die Neuigkeit schrittweise zu verarbeiten. Exerzitienprediger sollte Kardinal Gianfranco Ravasi sein, und es wurde beschlossen, auch ihn frühzeitig zu informieren, damit er Betrachtungen vorbereiten konnte, die den besonderen Umständen Rechnung trugen.

In der letzten Woche vor seinem Amtsverzicht informierte Benedikt die Angehörigen des Päpstlichen Hauses. Am 5. Februar empfing er den zweiten Sekretär Don Xuereb, der diesen Moment in einem Interview so beschrieben hat: "Papst Benedikt rief mich in sein Arbeitszimmer, bat mich, Platz zu nehmen, und teilte mir die schwerwiegende Entscheidung seines Amtsverzichts mit. Um ein Haar hätte ich ihn gefragt: 'Wollen Sie sich das nicht noch mal überlegen?' Doch dann hielt ich mich zurück, weil ich davon überzeugt war, dass er lange gebetet hatte." Am gleichen Tag hat er persönlich auch Schwester Birgit informiert; den Memores teilte er es am 7. Februar mit: Natürlich waren sie alle tief bewegt.

Zu den wenigen Personen, die in Kenntnis gesetzt wurden, gehörten – außer natürlich seinem Bruder Georg – Monsignore Guido Marini, der Zeremonienmeister für die liturgischen Feiern des Papstes, und Pater Federico Lombardi, der Leiter des Presseamtes des Heiligen Stuhls. Beide erhielten die Nachricht von Kardinal Bertone, sodass Monsignore Marini die Zeremonie des Konsistoriums gut leiten und Pater Lombardi sich auf den vorhersehbaren Ansturm der Journalisten vorbereiten konnte. […]

Tatsächlich existierte bereits ein von Benedikt unterzeichnetes Rücktrittsschreiben, das er in Anlehnung an die von Paul VI. und Johannes Paul II. verfassten Erklärungen geschrieben hatte (bekanntlich hatte Kardinal Ratzinger im April 2002 gegenüber der Münchner Kirchenzeitung, der Wochenzeitung des Erzbistums München und Freising, geäußert: "Wenn der Papst [Johannes Paul II.] feststellen müsste, dass es gar nicht mehr geht, würde er sicher zurücktreten"). 2006 hatte Benedikt eine Erklärung unterschrieben, in der er für den Fall, dass er physisch oder geistig nicht mehr zur Ausübung des Papstamts in der Lage wäre, vorab seinen Willen zum Amtsverzicht bekundete und auch die Genehmigung erteilte, den betreffenden Text zum fraglichen Zeitpunkt zu veröffentlichen, um den Apostolischen Stuhl für vakant zu erklären und die Nachfolge im Papstamt in die Wege zu leiten.

Anlass war damals der Brief eines befreundeten Arztes gewesen, der ihn auf seine gesundheitlichen Probleme und die Gefahr einer möglichen Thromboseerkrankung aufmerksam gemacht und ihm zu bedenken gegeben hatte, dass es ein Akt der Verantwortung sei, diesbezüglich ausdrückliche Anweisungen zu geben. Auch in diesem Fall hatte Benedikt den Text persönlich verfasst, und er hatte Kardinal Julián Herranz – den emeritierten Präsidenten des Päpstlichen Rats für die Gesetzestexte – gebeten, den Inhalt auf seine formale und rechtliche Richtigkeit zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Eine Kopie, die Herranz selbst aufbewahrt und Benedikt 2013 zurückgegeben hatte, befindet sich heute im Archiv des Staatssekretariats.

Der zeitliche Abstand zwischen dem Tag der Ankündigung und dem Ende seines Pontifikats war von Benedikt ausdrücklich gewollt, weil er es für wesentlich hielt, dass die Kardinäle eine Pause hatten, in der sie sich vorbereiten konnten. Wenn man so will, ein psychologisches Pendant zu dem, was in früheren Fällen die Sterbezeit des Papstes und die Novendiali gewesen waren, die neun Tage der Trauer nach Tod und Beisetzung des Papstes, in denen bestimmte Feierlichkeiten in der Vatikanbasilika vorgesehen sind.

Außerdem war es notwendig, den Text des Motuproprios Normas nonnullas vor der Veröffentlichung dem Päpstlichen Rat für die Gesetzestexte und dem Staatssekretariat zur Überprüfung vorzulegen, weil es einige Änderungen enthielt gegenüber den in der Apostolischen Konstitution Universi Dominici gregis festgelegten Normen bezüglich der Wahl des Papstes. Eine Promulgation des Dokumentes konnte nicht früher erfolgen, weil dies sofort Neugierde zur Unzeit geweckt hätte.

Die überraschende Ankündigung

Am 11. Februar 2013 erwachte ich nach einer wegen der Anspannung etwas unruhigen Nacht mit dem Bewusstsein, dass ich im Begriff war, Zeuge eines historischen Ereignisses zu werden. Benedikt XVI. hingegen war, wie ich bei der Vorbereitung zur heiligen Messe in der Kapelle feststellen konnte, völlig ruhig. Natürlich huschte hin und wieder ein sonderbarer Ausdruck über sein Gesicht, wenn er daran dachte, was sich in Kürze ereignen würde. Doch ich wusste genau: Wenn er sich erst einmal zu einer Entscheidung durchgerungen hatte, dann war er mit sich im Reinen und in Frieden.

Die heitere Gelassenheit, die er den ganzen Tag über sich bewahrt hatte, die er sich, wie ich garantieren kann, bis zu seinem Tod bewahrt hat, erlaubt es mir, heute zum ersten Mal – "sanft", wie es in der Sprache der Kurie üblich ist – die Überzeugung zu äußern, dass in geistiger Kontinuität mit Johannes Paul II. auch Benedikt eine mystisch-asketische Seite hatte und dass seine Entscheidungen aus einer direkten Beziehung zu Gott hervorgingen, von dem er sich inspiriert und geführt wusste.

Verwendete Quellen
  • Georg Gänswein; Saverio Gaeta: "Nichts als die Wahrheit. Mein Leben mit Benedikt XVI.", Freiburg im Breisgau 2023
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