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Krisenhelfer berichtet aus Altenahr – "Wie nach dem Tsunami 2004"


Krisenhelfer berichtet
"Sie sahen alles mit an, konnten aber nicht helfen"

InterviewVon Martin Küper

18.07.2021Lesedauer: 3 Min.
Interview
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Aufräumarbeiten im Westen beginnen: So prekär ist die Lage in den besonders betroffenen Gebieten der Flutkatastrophe. (Quelle: t-online)

Von Mainz aus ist der krisenerfahrene Notarzt Gerhard Trabert ins Katastrophengebiet im Tal der Ahr gefahren. Was die Menschen dort berichteten, hat selbst ihn geschockt.

Gerhard Trabert ist Notarzt, Professor für Sozialmedizin und war als Helfer in vielen Katastrophenregionen der Welt. In seiner Heimatstadt Mainz suchen er und Kollegen bedürftige Menschen mit ihrem "Arztmobil" auf, um sie kostenlos zu versorgen. Jetzt ist Trabert mit seiner mobilen Praxis nach Ahrweiler gefahren – und berichtet von schwer traumatisierten Menschen.

t-online: Herr Trabert, Sie sind am Samstag mit Ihrem "Arztmobil" in das Katastrophengebiet entlang der Ahr in Rheinland-Pfalz gefahren. Wie haben Sie die Region vorgefunden?

Gerhard Trabert: Die Straßen waren voll mit Rettungswagen und es gab viele Kontrollpunkte der Polizei, aber mit unserem "Arztmobil" hat man uns überall durchgelassen. Wir waren dann zuerst in Schuld, aber dort war die medizinische Versorgung gut und man schickte uns weiter nach Insul, Ahrbrück und schließlich nach Altenahr. Der Ort sei komplett abgeschnitten und habe noch keine Hilfe bekommen, sagte uns ein Arzt in Ahrbrück. Die Straße nach Ahrbrück war schon schlammig, in Altenahr waren ganze Straßen und Brücken weggerissen. Besonders im Ortsteil Kreuzberg, da konnten wir nur noch zu Fuß über einen Steg weiter, mit dem Auto hat es eine Stunde auf die andere Seite gedauert. Unglaublich, es war einfach alles weg und zerstört.

Haben Sie Verletzte in Altenahr vorgefunden?

Körperlich Verletzte haben wir nicht gefunden, Feuerwehr, THW, Bundeswehr und Polizei leisten dort Großartiges. Das meiste, was wir tun konnten, war zuhören. Manche waren froh über Medikamente, eine Frau brachte uns Kaffee, eine andere Kartoffelsalat. Alle waren sehr dankbar und fürsorglich, obwohl wir nicht viel getan haben. Die Menschen sind eng zusammengerückt, aber sie stehen natürlich alle unter Schock.

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Was haben die Menschen in dem Ort erlebt?

Eine Frau erzählte, ihre Enkelin habe einen Ertrunkenen im Garten gefunden; an anderer Stelle hätten zwei Leichen im Baum gehangen, nachdem sich das Wasser zurückgezogen hatte. Mehrere Menschen berichteten von einer Familie mit zwei Kindern. Das Wasser muss innerhalb von Minuten so hoch gestiegen sein, dass sie sich nur noch aufs Dach retten konnten. Als das Wasser weiter stieg, seien sie mit den Kindern auf dem Rücken losgeschwommen und hätten sich stundenlang an Ästen im Wasser festgehalten. Die Frau konnte sich irgendwann nicht mehr halten, der Mann hat es irgendwie ans Ufer geschafft. Andere Menschen sahen alles mit an, konnten aber nicht helfen. Mehr weiß ich nicht über ihr Schicksal.

Sie waren als Helfer in vielen Krisenregionen der Welt, hat Sie das auf Ihren Einsatz in Rheinland-Pfalz vorbereitet?

Ich musste zuerst an einen Hochwasser-Einsatz in Pakistan denken, aber in Altenahr war es eher wie in Sri Lanka nach dem Tsunami 2004. An den Häusern war zu sehen, dass das Wasser bis zum zweiten Stock stand. Unglaublich, dass so etwas zwei Stunden von meiner Heimatstadt Mainz entfernt möglich ist. Es hat auch eine andere Qualität, die Berichte der Betroffenen hautnah in meiner eigenen Sprache zu hören. In Hilfseinsätzen im Ausland war immer ein Dolmetscher dabei, aber die Stimmen und die Körperhaltung erkenne ich jetzt wieder.

Welche Hilfe brauchen die Menschen in den Katastrophengebieten langfristig?

Für die Betroffenen ist es wichtig, über das Erlebte sprechen zu können, vielleicht in kleinen, professionell geleiteten Gruppen. Vor allem Kinder brauchen Hilfe, um ihre Erfahrungen zu verarbeiten, sonst können sie depressiv werden; aber auch ein Polizist, der mehrere Tote gefunden hat, ist schwer traumatisiert. Leider gibt es in Deutschland zu wenige Psychotherapeuten, die darauf spezialisiert sind, das wissen wir aus der Hilfe für Geflüchtete.

Wie gehen Sie mit dem Erlebten um?

Heute war ich eine Stunde lang joggen in den Weinbergen, ich rede mit mir nahestehenden Personen, aber es dauert, so etwas zu verarbeiten. Und es ärgert mich, dass immer solche Katastrophen geschehen müssen, bevor die Politik handelt, wie zum Beispiel der Atomausstieg nach dem Gau in Fukushima. Natürlich steht jetzt die Hilfe für die Betroffenen im Vordergrund, aber dann müssen wir über Klimaschutz sprechen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Gerhard Trabert am 18. Juli
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