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Zum journalistischen Leitbild von t-online.13-Jähriger sticht zu Alter für Strafmündigkeit senken? Das sagt ein Experte
Nach den Messerangriffen in Berlin und Remscheid wird darüber diskutiert, ob das Alter für die Strafmündigkeit herabgesetzt werden soll. Doch es hagelt Kritik.
Der 13 Jahre alte Junge, der in Berlin am Donnerstag mutmaßlich mit einem Messer auf einen Mitschüler eingestochen haben soll, ist am Freitagnachmittag gefasst worden. Strafrechtlich kann er nicht belangt werden – er gilt wegen seines jungen Alters als strafunmündig. Regelmäßig gibt es aus Politik und Gesellschaft Forderungen, das Alter für die Strafmündigkeit abzusenken. Am Freitag forderte etwa die AfD, die Strafmündigkeit bereits mit dem zwölften Geburtstag beginnen zu lassen. Doch Experten bezweifeln den Nutzen.
In Deutschland gilt als strafmündig, wer 14 Jahre oder älter ist. Heißt: Wer als 12- oder 13Jähriger Verbrechen begeht, wird – selbst bei Mord oder Totschlag – nicht strafrechtlich verfolgt. Die Polizei ermittelt im Fall des 13-Jährigen aus Berlin trotzdem wie üblich. Ein Polizeisprecher sagte t-online, dass er von der Mordkommission vernommen werden soll. Anschließend soll der Junge für einige Zeit in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebracht werden. "Dort bekommt er die Hilfe, die er jetzt braucht", sagte der Polizeisprecher.
Keine Strafe für junge Menschen? "Es gibt immer Konsequenzen"
Der Kriminologe Dirk Baier von der Universität Zürich sagt im Gespräch mit t-online, dass es "ein Mythos" sei, dass jungen Straftätern gar keine Strafe drohe. "Bei so einer schweren Tat, egal welches Alter, gibt es immer Konsequenzen", sagt Beier. Die Familie werde durchleuchtet, mutmaßlich komme der Junge in ein Heim. "Der geht nicht einfach so wieder in die Schule", so der Kriminologe. Das Leben des Tatverdächtigen ändere sich ab sofort komplett.

Zur Person
Dirk Baier ist Professor für Kriminologie an der Universität Zürich. Von 2005 bis 2015 hat er am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter, später als stellvertretender Direktor gearbeitet und zahlreiche Studien zur Jugendkriminalität sowie zur Kriminalitätsentwicklung und -wahrnehmung betreut.
Die Regeln der Strafmündigkeit sind in Europa nicht einheitlich: In Frankreich beginnt sie schon mit 13 Jahren, im Vereinigten Königreich mit 10 Jahren. Auch in der Schweiz gilt die Strafmündigkeit ab dem Alter von 10 Jahren. Allerdings, sagt Kriminologe Baier im Gespräch mit t-online: "Auch da ist ein Freiheitsentzug erst ab 15 Jahren möglich, und dann auch nur maximal für ein Jahr." Ein 11 oder 12 Jahre alter Gewalttäter würde also auch in der Schweiz in ein geschlossenes Heim kommen – ähnlich wie in Deutschland, sagt Baier.
Jugendliche können in Haft "falsche Freunde" kennenlernen
Er ist gegen das Absenken des Strafmündigkeitsalters: Zwei Drittel der inhaftierten jungen Menschen würden später wieder straffällig, zeigten Studien. "Das kann doch niemand wollen", so Baier. Er geht noch weiter: "Wenn Jugendliche hinter Gitter kommen, macht es das meist noch schlimmer. In Haft lernen sie falsche Freunde kennen, sind leicht beeinflussbar."
Auch die Bundesregierung sieht nach den Messerattacken von Berlin und Remscheid keinen Anlass, die Regeln für die Strafmündigkeit zu überdenken: "Es ist nicht geplant, das Alter für die Strafmündigkeit herabzusetzen”, sagte eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums am Freitag in Berlin. Sie verwies ebenso wie Kriminologe Baier auf einen "Instrumentenkasten erzieherischer Maßnahmen".
- Telefonisches Interview mit Prof. Dr. Dirk Baier am 23.5.2025
- Eigene Recherche
- Eigene Berichterstattung
- mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
- bundestag.de: "Strafmündigkeit Rechtliche Situation in der Europäischen Union"