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Mord in Freudenberg | Fragen an Psychiaterin: Was macht Kinder zu Mördern?


"Offensichtlich hatten sie ein großes Problem"

Von Camille Haldner

Aktualisiert am 17.03.2023Lesedauer: 5 Min.
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Polizisten am Tatort: Hier wurde die Leiche des Mädchens gefunden. (Quelle: dpa)

Der Mord an der zwölfjährigen Luise macht fassungslos. Die mutmaßlichen Täterinnen waren im selben Alter. Eine Psychiaterin erklärt mögliche Tatgründe.

Es ist ein Verbrechen, das ganz Deutschland erschüttert: Zwei Mädchen im Alter von zwölf und 13 Jahren haben in Freudenberg (Nordrhein-Westfalen) ein gleichaltriges Mädchen erstochen. Nachdem Luise am Samstag vermisst gemeldet worden war, fand die Polizei ihre Leiche am Sonntag in einem Waldstück. Wenige Tage darauf gestanden die beiden Mädchen die Tat. Demnach haben sie ihr Opfer vorher gekannt.

Zum Motiv machten die Ermittler zunächst keine Angaben. Gemäß Medienberichten könnte Rache der Grund für die Tat gewesen sein. Die beiden mutmaßlichen Täterinnen sind aufgrund ihres Alters noch nicht schuldfähig und können nicht vor Gericht angeklagt werden.

Nach der unfassbaren Tat stellen sich zahlreiche Menschen die Frage, wie es zu diesem Gewaltverbrechen kommen konnte. Was muss schieflaufen, dass Kinder morden? Wie kann das Leben der 12- und 13-jährigen mutmaßlichen Täterinnen weitergehen? Im Interview mit t-online spricht die Berliner Kinderpsychiaterin Yonca Izat über mögliche Hintergründe der Tat, den Umgang der Eltern mit den Mädchen und die Frage, wie solche Aggressionen verhindert werden können.

t-online: Frau Izat, was macht Kinder zu Mördern?

Yonca Izat: Dass Kinder zu Mördern werden, ist extrem selten. Hintergrund sind meist negative Emotionen wie Wut, Ärger oder Verzweiflung. Solche Gefühle können dazu führen, dass sich Aggressionen auch auf diese Weise ihren Weg bahnen – auch wenn das sehr ungewöhnlich ist.

Dass Kinder Angst haben oder wütend sind, ist jetzt aber nichts Besonderes.

Nein, natürlich nicht. Das Level an Aggression muss für eine solche Tat schon sehr hoch sein. Zudem gibt es Unterschiede, wie sich Aggression äußert: körperlich oder verbal, mit oder ohne Waffe. Und dann müssen wir unterscheiden zwischen sogenannten kalten, geplanten Akten und heißen, impulsiven, nicht durchdachten Aggressionen, wo die Wut den Menschen übermannt.

Was muss schieflaufen, damit Kinder so gewalttätig werden?

Aus kinderpsychiatrischer Sicht weiß man, dass aggressive Verhaltensweisen im Kindes- und Jugendalter häufig vorkommen. Es ist normal, dass Kinder wütend werden und auch mal versuchen, sich über aggressive Verhaltensweisen durchzusetzen.

Also steckt in jedem Kind ein großes Gewaltpotenzial?

Nein, nicht unbedingt. Aber es ist wichtig, dass Kinder schon früh lernen, auch mit negativen Gefühlen umgehen zu können.

Und wie geht das?

Entscheidend ist, dass sie verstehen, dass Aggression kein guter Weg und gesellschaftlich nicht akzeptiert ist, und sich sozial verträgliche Strategien aneignen, um mit Wut und Aggression umzugehen. Wir sorgen als Gesellschaft dafür, dass sich solche Verhaltensweisen in der Regel nicht durchsetzen.

Aber?

Natürlich hat auch der innere Zustand von Wut und Aggression seine Berechtigung im Leben, wie jedes andere Gefühl auch. Die Frage ist aber, wie Menschen diesem Gefühl begegnen. Der gesellschaftliche Auftrag ist es, den Umgang mit Wut auf eine Weise zu fördern, dass Kinder sich verbalisieren, verhandeln und empathisch sein können.

Was passiert, wenn das nicht gelingt?

Insbesondere Kindern fällt es noch schwer, wahrzunehmen, welche Gefühle sie gerade bewegen. Es gibt viele Kinder und Jugendliche, die ihnen sagen werden: "Mir geht es halt scheiße". Und wenn Sie dann fragen, was sie damit meinen, fällt es ihnen schwer, zwischen Wut, Angst, Verzweiflung und weiteren Gefühlen zu unterscheiden. Wenn das gelingt, ist der nächste Schritt herauszufinden, wie sie diese Emotion regulieren können.

Wofür es bei den beiden Mädchen, die Luise getötet haben, offenbar zu spät war.

Was im Fall Luise die Ursache war, lässt sich natürlich aus der Ferne nicht beurteilen. Was wir grundsätzlich wissen: Es gibt Kinder und Jugendliche, die Schwierigkeiten mit der Emotionsregulation haben. Sie werden von ihren Gefühlen so sehr überflutet, dass es zu einer Art Denkstörung und damit zu einem Kontrollverlust kommen kann.

Ist Kindern in dem Alter bewusst, welche Konsequenzen so eine Tat für andere, aber auch für sie selbst hat?

Man sagt, mit Eintritt in das Grundschulalter sind Kinder in ihrer Moralentwicklung so weit, sich von selbst an Regeln zu halten – weil sie gelernt haben, dass sie dadurch mehr Zuspruch erfahren und bessere soziale Beziehungen haben. Eine Vierjährige kann das Konzept von Tod hingegen noch nicht richtig verstehen. Spätestens mit acht, neun Jahren aber sollte das Verständnis etabliert sein, dass Tod etwas Unwiderrufliches ist.

Das müsste also auch für die beiden mutmaßlichen Täterinnen gelten, die immerhin schon zwölf und 13 Jahre alt sind.

Genau. Natürlich gibt es auch entwicklungsverzögerte und traumatisierte Kinder, die dann vielleicht nicht altersgerecht handeln. Diese Kinder sehen dann aus wie Zwölfjährige, vielleicht sogar reifer, sind aber innerlich auf einem jüngeren Stand. So was könnte hier natürlich auch vorliegen: Dass Kinder chronologisch im Alter von zwölf sind, aber in der Emotionsregulation im Alter von drei. Selten, aber durchaus möglich ist auch eine narzisstische Entwicklung, die so ausgeprägt ist, dass Kinder denken, sie seien so klug, dass ihre Tat nicht aufgedeckt wird.

Yonca Izat leitet seit 2016 chefärztlich die Berliner Vivantes-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik. Sie ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin und für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik.

Viele Menschen sind schockiert, weil hier Kinder ein anderes Kind getötet haben. Was macht den Unterschied zu erwachsenen Tätern aus?

Kinder sollten eigentlich in einem engen sozialen Netzwerk eingebettet sein, in dem sie von hilfreichen Erwachsenen umgeben sind. Also von Lehrerinnen, Erziehern, Eltern, Bekannten und so weiter. Im Idealfall sollten Kinder, wenn Probleme auftreten, zu diesen hilfreichen Erwachsenen gehen und Hilfe einfordern. Im Fall Luise frage ich mich tatsächlich: Wo war das Netzwerk der unterstützenden, hilfreichen Erwachsenen? Das soll keine Anklage oder ein Vorwurf an das Umfeld sein. Natürlich fallen Kinder manchmal durchs Raster. Aber es ist ein gesellschaftlicher Auftrag, dass das möglichst nicht passiert und Kinder sich bei jedem Problem Hilfe holen können.

Haben Sie eine Ahnung, woran das gelegen haben könnte?

Nein, nicht direkt. Ich frage mich, warum diese Kinder nicht den Weg gewählt haben oder wählen konnten, sich einem hilfreichen Erwachsenen anzuvertrauen und Unterstützung zu holen. Offensichtlich hatten sie ein großes Problem.

Die beiden Mädchen werden ihr Leben lang mit der Schuld an Luises Tod leben. Wie lässt sich das mit den Kindern aufarbeiten?

Dieses Tätersein wird für die beiden eine hohe Belastung bedeuten. Die Frage ist dann, wie man sie insgesamt in eine Richtung fördern kann, dass sie Verantwortung für die Tat übernehmen, ohne dass das Geschehen ihr gesamtes Leben bestimmt. Ziel wäre, die beiden Mädchen zu verstehen und ihnen ein entwicklungsförderliches Umfeld zu bieten.

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Die beiden Täterinnen sind aufgrund ihres Alters strafunmündig. Wie blicken Sie auf Forderungen zu einer Absenkung des Alters für die Strafmündigkeit, die nun vereinzelt zu hören sind?

Ich bin absolut dagegen, das Alter für Strafmündigkeit herabzusetzen. Selbst bei 18-Jährigen ergibt es Sinn, dass das Jugendstrafgesetz Anwendung findet, weil wir davon ausgehen, dass diese jungen Menschen entwicklungspsychologisch noch auf einem Stand sind, der deutlich jünger ist als 18. Es ist unangemessen zu sagen, dass Kinder mit zwölf die Reife haben, Verantwortung im Sinne von dem Strafgesetzbuch übernehmen zu können oder zu müssen.

Wie sollten die Eltern der beiden Mädchen jetzt reagieren?

Das kommt auf die spezifische familiäre Konstellation an. Was nicht hilfreich ist, sind Schuldzuweisungen und Vorwürfe. Weder an die Eltern noch in Richtung des Kindes. Hilfreich ist eher die Akzeptanz der Situation und dann eine Verantwortungsübernahme: Auf das Umfeld zu schauen und davon ausgehend zu beurteilen, was nötig ist, damit sich das Kind in eine günstige Richtung weiterentwickeln kann. Es braucht sicherlich auch einen gewissen Trauerprozess.

Frau Izat, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit der Kinderpsychiaterin Dr. Yonca Izat am 15. März 2023
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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