Neue Minister: Die Alternative ist auch nicht besser
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung ΓΌbernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
Christine Lambrechts verkorkster Abgang ist in den vergangenen Stunden hoch und runter kommentiert worden. Die Selbstverteidigungsministerin hat so ziemlich alles falsch gemacht, was man in diesem Amt falsch machen kann β und dann auch noch ihr RΓΌcktrittsschreiben vermasselt. Von einer "Frechheit" schreibt unsere Reporterin Annika Leister.
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Der Fall Lambrecht beschΓ€digt auch den Bundeskanzler: Eine "Zeitenwende" hatte Olaf Scholz nach Putins Angriff vor knapp einem Jahr ausgerufen, eine historische Kurskorrektur der naiven deutschen Sicherheitspolitik. GroΓer Auftritt im Bundestag, viel Lob in der Presse. Der Kanzler sonnte sich im Glanze β und sah dann monatelang zu, wie seine wichtigste Ministerin das Projekt in den Sand setzte:
- Von den 100 Milliarden Euro des SondervermΓΆgens ist erst ein Bruchteil abgerufen worden, in der Bundeswehr fehlt es immer noch am nΓΆtigsten.
- Bei den Nato-Partnern schΓΌttelt man den Kopf ΓΌber die erratische deutsche Diskussion ΓΌber Waffenlieferungen fΓΌr die Ukraine.
- Im Verteidigungsministerium liefern sich Lobbyisten der TeilstreitkrΓ€fte eifersΓΌchtige HahnenkΓ€mpfe, wΓ€hrend RΓΌstungsfirmen mit Ministerialreferenten Katz und Maus spielen.
- Den Γberblick ΓΌber die deutsche Verteidigung, von der Gesamtstrategie bis zur fehlenden Schraube am Hubschrauber, hat niemand mehr.
Keine Frage: Nach diesem Debakel steht nicht nur das Ministerium, nicht nur der Kanzler, sondern die gesamte Ampelkoalition dΓΌpiert da. Wenn es doch nur diese eine Baustelle wΓ€re! Doch auch in anderen Ministerien lΓ€uft es 13 Monate nach Start des BΓΌndnisses von SPD, GrΓΌnen und FDP nicht rund:
- Verkehrsminister Wissing scheitert an den Klimaschutzzielen und verbummelt nebenbei die ΓΌberfΓ€llige Digitalisierung der Verwaltung. Millionen BΓΌrger Γ€rgern sich ΓΌber kaputte StraΓen, verspΓ€tete ZΓΌge und monatelange Wartezeiten auf dem Amt. Kann man alles nicht von heute auf morgen Γ€ndern, aber mehr als AbsichtserklΓ€rungen wΓ€ren schon gut.
- Bauministerin Geywitz wird das Versprechen der Koalition kassieren mΓΌssen, pro Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen. Dabei kΓΆnnen sich immer mehr Stadtbewohner die horrenden Mieten nicht mehr leisten; die "SΓΌddeutsche Zeitung" schreibt von einer "sozialen Katastrophe".
- Innenministerin Faeser hat schon so viele Dinge angekΓΌndigt, dass man mitunter ΓΌbersieht, wie wenig sie umgesetzt bekommt β vom Kampf gegen Neonazis ΓΌber die Cybersicherheit bis hin zur besseren Koordination der FlΓΌchtlingsaufnahme.
- Bildungsministerin Stark-Watzinger mΓΌsste das FΓΆderalismuschaos in der Bildungspolitik lichten und den LΓ€ndern dabei helfen, den Notstand in Tausenden Schulen zu beheben. Kommt auch nicht voran.
- AuΓenministerin Baerbock hat sich bei der China-Strategie mit dem Kanzleramt verhakt. Nun herrscht in der Diskussion ΓΌber den Umgang mit dem wichtigsten deutschen Handelspartner erst mal Stillstand.
Alles nicht erfreulich, und dabei ist der Name Lauterbach noch gar nicht gefallen. Selbst wenn man der Ampelkoalition zugutehΓ€lt, dass Putins Krieg und dessen Folgen ihre ursprΓΌnglichen PlΓ€ne ΓΌber den Haufen geworfen haben und sie seitdem im Krisenmodus agieren muss, fΓ€llt die Bilanz nicht toll aus.
Oder?
In der Politik ist alles eine Frage der Alternativen. Dass die rot-grΓΌn-gelbe Mannschaft eigentlich doch ganz passabel regiert, fΓ€llt erst auf, wenn man einen Augenblick lang ΓΌber die Alternative im Falle einer (hypothetischen) Neuwahl nachdenkt: eine Bundesregierung unter FΓΌhrung von CDU und CSU.
Was kΓ€me dabei heraus? Ein Kanzlerwahlverein, der eigentlich nur noch eine BevΓΆlkerungsgruppe reprΓ€sentiert: Γ€ltere weiΓe MΓ€nner. Junge Leute, Menschen mit Migrationshintergrund und viele Frauen erreicht die Union mit ihrem Personal, ihrem Programm und ihrer Kommunikation kaum noch. Von weiten Teilen der BevΓΆlkerung ist sie entkoppelt, versteht auch deren WΓΌnsche, Sorgen und NΓΆte offenbar nicht mehr. In 16 Merkel-Jahren hat sie es zugelassen, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich unanstΓ€ndig weit geΓΆffnet hat. Nicht verwunderlich, dass CDU und CSU seit Jahren Mitglieder verlieren. Sie haben keinen Seismografen mehr fΓΌr Stimmungen in der BevΓΆlkerung.
Das Problem beginnt beim FΓΌhrungspersonal: CDU-Chef Merz und sein GeneralsekretΓ€r Czaja, CSU-Boss SΓΆder sowie die LandesfΓΌrsten WΓΌst (NRW), Kretschmer (Sachsen), Haseloff (Sachsen-Anhalt), Rhein (Hessen) und GΓΌnther (Schleswig-Holstein) wollen die ausgezehrte Union neu beleben β und merken gar nicht, wie Γ€hnlich sie alle ticken. Eine Antwort auf die immer vielfΓ€ltigere Gesellschaft und die Mammutherausforderungen durch Klimakrise und Artensterben hat die Union bislang nicht. Stattdessen schreckt sie Demokraten ab, indem sie einen VerschwΓΆrungsschwurbler wie Hans-Georg MaaΓen in ihren Reihen duldet und Parteichef Merz pauschal gegen die Nachkommen von Einwanderern wettert. "Man spuckt all denjenigen ins Gesicht, die hier seit zwei, drei Generationen leben", hat der Politikwissenschaftler Carlo Masala treffend dazu gesagt.
CDU und CSU mΓΌssen sich grundlegend erneuern, ehe sie im Bund zu einer ernst zu nehmenden politischen Alternative werden. Das wird Jahre dauern, Erfolg ungewiss. Das macht die Fehler der Ampelleute nicht kleiner. Aber es relativiert sie.
Es geht los in Davos
Zum ersten Mal seit drei Jahren findet wieder das Spektakel in Davos statt: Beim Weltwirtschaftsforum in den GraubΓΌndner Bergen reden 2.700 Teilnehmer aus 130 LΓ€ndern ΓΌber das Thema "Zusammenarbeit in einer zersplitterten Welt". Und auch wenn man Vorbehalte gegen den elitΓ€ren Zirkel im Schweizer Nobelskiort hegen kann, auch wenn US-PrΓ€sident Joe Biden und Chinas Diktator Xi Jinping abgesagt haben und Kanzler Olaf Scholz, der morgen erwartet wird, als einziger Chef eines G7-Landes dabei ist: In einer Zeit multipler Krisen muss jede MΓΆglichkeit des Austauschs genutzt werden.
GestΓ€ndnisse zum Juwelenraub
SchmuckstΓΌcke mit Diamanten im Wert von mehr als 113 Millionen Euro raubten Diebe 2019 aus dem GrΓΌnen GewΓΆlbe in Dresden. Im Prozess gegen die mutmaΓlichen Einbrecher werden heute deren ErklΓ€rungen erwartet. Nach der RΓΌckgabe eines GroΓteils der leider beschΓ€digten Beute haben Verteidiger, StaatsanwΓ€lte und Richter einen Deal geschlossen, der fΓΌnf der sechs Angeklagten betrifft: Gegen "glaubhafte GestΓ€ndnisse" sollen sie eine geringere Strafe erhalten. Vier von ihnen haben schon zugestimmt, der FΓΌnfte wird seine Entscheidung wohl heute mitteilen. Der sechste Beschuldigte streitet eine Beteiligung mit Verweis auf ein Alibi ab. Gerechnet wird mit mehrjΓ€hrigen Haftstrafen fΓΌr die Γ€lteren Beschuldigten und mehrmonatigen fΓΌr die jΓΌngeren.
Was lesen und hΓΆren?
An ihrem 15. Geburtstag wurde Rachel Hanan nach Auschwitz verschleppt. Was gab ihr die Kraft, in der HΓΆlle durchzuhalten? Meinem Kollegen Marc von LΓΌpke hat sie es erzΓ€hlt.
Boris Pistorius wird neuer Verteidigungsminister. Auf ihn warten gigantische Aufgaben, schreiben unsere Hauptstadtreporter Sven BΓΆll, Johannes Bebermeier und Miriam Hollstein.
Landet Putin am Ende im GefΓ€ngnis? Mein Kollege Patrick Diekmann hat AuΓenministerin Baerbock nach Den Haag begleitet.
Die groΓe Gina Lollobrigida ist tot. Unser Kolumnist Gerhard SpΓΆrl kennt das Geheimnis ihres Ruhms.
So kalt und dunkel drauΓen, brrr, schnell fliehen! Ist gar nicht schwer: einfach 40 Jahre zurΓΌcktrΓ€umen, als der weltbeste Mark das weltbeste Solo zupfte.
Was amΓΌsiert mich?
Wie war das noch mit den Dienstgraden?

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Herzliche GrΓΌΓe
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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