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Besuch vom Papst | "Man kann den Südsudan als Hölle auf Erden erleben"


Die Bedeutung dieser Reise ist kaum zu überschätzen

Von Florian Harms

Aktualisiert am 03.02.2023Lesedauer: 6 Min.
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Blick auf den Ort Wau im Norden des Südsudans.Vergrößern des Bildes
Blick auf den Ort Wau im Norden des Südsudans. (Quelle: F. Harms)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

der Anblick beim Anflug auf Juba ist ansprechend: grüne Büsche und mäandernde Flüsse in roter Erde, dazwischen Hütten und Feldwege. Nach der Landung sieht es schon anders aus: Bewaffnete Soldaten flankieren das Rollfeld, in der chaotischen Ankunftshalle ist man froh, wenn man seinen Koffer wiederfindet. Über die einzige vollasphaltierte Straße geht es in die Innenstadt, vorbei an einer Kirche und der Präsidentenvilla. Auf diesem Weg kann man ins Kinderkrankenhaus gelangen, wo entkräftete Mädchen und Jungen um ihr Leben kämpfen. Malaria, Cholera, Lepra, Gelbfieber, Tollwut, Hepatitis, Parasiten, Typhus, Masern, Polio, Aids: Hier grassieren sämtliche Menschheitsplagen – vor allem die größte unter ihnen, der Hunger. Ausgemergelte Kinder mit stumpfen Augen röcheln auf Bastmatten in der schwülen Hitze. Die Kraft, um die Fliegen aus ihren Gesichtern zu verscheuchen, haben sie nicht mehr. All das kann man in der Hauptstadt des Südsudans sehen.

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Weiter nördlich stehen große Landesteile unter Wasser. Nicht tage- oder wochen-, sondern monatelang. Die regelmäßigen Überschwemmungen vernichten immer wieder die Ernten. Tiere verenden in den Fluten. Viele Schulen und Gesundheitsstationen sind zerstört. Marodierende Milizionäre machen Jagd auf Frauen, zwingen Kinder an die Waffen und massakrieren Männer anderer Stämme. In überfüllten Flüchtlingslagern hausen Menschen seit Jahren in notdürftigen Zelten, nackte Kinder hocken im Schlamm. Sie haben keine Kleider. Nicht mal eine Hose. Sie trinken schmutziges Wasser aus der hohlen Hand.

Man kann den Südsudan als Hölle auf Erden erleben. Man kann aber auch bewundernd vor den Leuten von den Hilfsorganisationen stehen, die keine Mühen scheuen, um den Menschen im Südsudan zu helfen. Die ihnen Medikamente, Kindernahrung und ein bisschen Hoffnung bringen. Man kann sogar ein Lächeln von den Lausbuben in Wau oder Tharkueng erhaschen, wenn sie Faxen machen und man ihnen die mitgebrachten Bonbons zusteckt. Man kann darüber nachdenken, warum die internationale Gemeinschaft die Menschen in diesem bitterarmen, kriegsgeschundenen Land vergessen hat, und man kann die feisten Ganoven verfluchen, die sich "Präsident" und "Vizepräsident" nennen, aber nichts anderes im Sinn haben, als sich schamlos zu bereichern, während ihr Volk dahinsiecht. All das kann man im Südsudan erleben.

Und dann kann man voller Hochachtung auf einen Mann schauen, den man ansonsten eher kritisch beäugt. Einen Mann, den Millionen Gläubige als ihr Oberhaupt verehren, auch hier im christlichen Südsudan. Wenn dieser Mann sich trotz seines fortgeschrittenen Alters und seiner Gebrechen aus seinem luxuriösen Amtssitz im Vatikan auf die beschwerliche Reise nach Zentralafrika begibt, um den Ärmsten der Armen erst in der Demokratischen Republik Kongo und dann im Südsudan Trost zu spenden, um den Mächtigen ins Gewissen zu reden und um die Europäer zu ermahnen, Afrika nicht länger auszubeuten, ja, dann kann uns das Respekt abnötigen. Deshalb ist Papst Franziskus an diesem Freitag die wichtigste Person, noch vor den Politikern, die sich auf dem EU-Ukraine-Gipfel versammeln, vor dem Kanzler, der in Berlin einen schwierigen Gast empfängt, und vor den jungen Leuten, die heute wieder mal für Klimaschutz demonstrieren.

Im Kongo trifft sich Franziskus heute Morgen mit Bischöfen, und wenn er dann zum Flughafen in Kinshasa rollt, werden wohl wie schon gestern Tausende seinen Weg säumen. Am frühen Nachmittag landet er in Juba, er wird beim Anflug sehen, was Sie nun schon wissen, er wird dem Ganoven, pardon Präsidenten Salva Kiir seine Aufwartung machen und sich dann mit Vertretern der sehr kleinen Zivilgesellschaft des Südsudans treffen.

"Lasst euch nicht von Einzelpersonen oder Gruppen manipulieren, die versuchen, euch zu benutzen, um euer Land in der Spirale von Gewalt und Instabilität zu halten, um es weiterhin ohne Rücksicht auf irgendjemanden zu kontrollieren", hat der Papst gestern 65.000 Gläubigen im Fußballstadion von Kinshasa zugerufen. "Seid ihr diejenigen, die die Gesellschaft verwandeln, die Böses in Gutes verwandeln, Hass in Liebe, Krieg in Frieden. Wollt ihr das sein? Wenn ihr es wollt, ist es möglich." Zugleich verurteilte der 86-Jährige den "wirtschaftlichen Kolonialismus" in Afrika, und es war jedem klar, dass er damit die rohstoffhungrigen Europäer, Chinesen, Russen und Amerikaner meinte. "Hören Sie auf, Afrika zu ersticken: Es ist kein Bergwerk, das man ausbeutet oder ein Gebiet, das man ausplündert!"

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Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber so klare Worte habe ich von den Anführern der wohlhabenden Länder lange nicht gehört. Hoffentlich fühlen sie sich angesprochen. Und hoffentlich begreifen mehr von uns allen, die wir hier in Saus und Braus leben, dass wir die moralische Pflicht haben, unsere Mitmenschen in Ländern wie dem Südsudan zu unterstützen, statt ihr Elend zu ignorieren.


Die doppelte Nancy

Alle bisherigen Versuche eines solchen Doppelspiels sind gescheitert: Als 2012 der amtierende Bundesumweltminister Norbert Röttgen die CDU-Spitzenkandidatur für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen übernahm, aber das Bekenntnis vermied, im Falle einer Niederlage auch als Oppositionsführer nach Düsseldorf zu wechseln, verlor er krachend – und anschließend auch sein Amt in Berlin. 1995 war CDU-Bundesinnenminister Manfred Kanther Spitzenkandidat in Hessen. Seine Partei wurde zwar stärkste Kraft, Kanther aber nicht Ministerpräsident, denn Rot-Grün verteidigte die Mehrheit. Und als Bundesarbeitsminister Norbert Blüm 1990 für die CDU in NRW antrat, zog er gegen SPD-Landesvater Johannes Rau den Kürzeren.

Wenn also Innenministerin Nancy Faeser auf dem heutigen SPD-Hessen-Gipfel offiziell ihre Spitzenkandidatur für die Landtagswahl im Oktober bekannt gibt, lässt sie sich auf ein riskantes Manöver ein. Nicht nur wegen der Herausforderung, neben ihren Amtspflichten (Terrorismus bekämpfen, Spionage verhindern, Cyberkriminalität abwehren, Zuwanderung steuern) noch Wahlkampf zu machen. Sondern auch, weil ihr die Staatskanzlei in Wiesbaden alles andere als sicher ist: Umfragen prognostizieren einen Dreikampf zwischen der CDU von Ministerpräsident Boris Rhein, den Grünen um Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir und Faesers SPD.

Einen Unterschied zum Fall Norbert Röttgen allerdings gibt es: Kanzler Olaf Scholz wird Frau Faeser im Falle eines Scheiterns in Hessen sicher nicht aus ihrem Ministerium schubsen. Es drängt sich schlichtweg keine Nachfolgerin auf.


Erst denken, dann fahren

Der Koalitionsausschuss vergangene Woche brachte keine Einigung: Während FDP-Verkehrsminister Volker Wissing nicht nur den Schienenverkehr fördern, sondern ruckzuck auch noch ein paar neue Autobahnen bauen möchte, lehnt die grüne Umweltministerin Steffi Lemke genau das rigoros ab. Heute schaltet sich "Fridays for Future" in die Debatte ein: Bundesweit will die Klimabewegung gegen den weiteren Ausbau des Straßennetzes protestieren. In Berlin ist eine Kundgebung gegen den Ausbau der A 100 geplant, auch in Hamburg, Wiesbaden, Stuttgart und Freiburg sind Aktionen angekündigt.

Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Zahl des Verkehrsministeriums: Schon jetzt ist das Straßennetz in Deutschland mehr als doppelt so lang wie der Abstand zwischen Erde und Mond. Wir sollten uns wirklich auf die Sanierung maroder Brücken konzentrieren, statt noch mehr Beton in die Landschaft zu gießen.


Fürchterliches Unglück

Betroffenheit in der Ruhrgebietsstadt Recklinghausen: Ein Güterzug hat am vergangenen Abend zwei Kinder erfasst. Ein Junge ist tot, ein weiterer schwebt in Lebensgefahr. Wie es zu dem schweren Unfall kommen konnte, wird nun ermittelt.


Unbequeme Besucherin

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni entstammt zwar einer neofaschistischen Partei, wird von den EU-Staaten aber trotzdem hofiert: Schließlich hält die Fratelli d'Italia-Chefin Kurs bei der Unterstützung der Ukraine und verkneift sich finanzpolitische Abenteuer. Fast scheint ihr pragmatischer Kurs außerhalb Italiens besser anzukommen als daheim, wo allmählich der Lack ab ist. Heute absolviert sie ihren Antrittsbesuch bei Kanzler Scholz in Berlin.


Was lesen?

Vor zweieinhalb Jahren wurde der CDU-Politiker Walter Lübcke von einem Rechtsextremisten ermordet. Erstmals hat sich nun sein Sohn Christoph in einem Medium zu dem Verbrechen geäußert. Im Interview mit unserer Chefreporterin Miriam Hollstein sagt er: "Der Tod meines Vaters hätte verhindert werden können". Das sollten Sie lesen.


Korruption ist in der Ukraine seit Langem ein Problem. Trotz des Krieges hat sich die Lage nun verbessert. Wie das gelungen ist, erklären Ihnen meine Kollegen David Schafbuch und Kim Steinke.


Was sagen junge Leute zur neu entflammten Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht? Mein Kollege Tobias Eßer hat sich umgehört.


Während der Flüchtlingsdebatte 2015 sorgte Anja Reschke mit einem Kommentar in den "Tagesthemen" für Schlagzeilen. Nun rückt die Moderatorin wieder ins Rampenlicht. Was sie vorhat, hat sie meinem Kollegen Steven Sowa erzählt.


Was war?

Gino Bartali war nicht nur ein begnadeter Radsportler, sondern rettete im Zweiten Weltkrieg auch zahlreichen Menschen das Leben. Auf unserem Historischen Bild erfahren Sie mehr.


Was amüsiert mich?

Endlich haben die Schwurbler wieder einen Grund zum schwurbeln.

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Freitag. Im Wochenend-Podcast geht es morgen um die nächste deutsche Revolution.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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