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Ukraine | Korruption: Wie das Land trotz Krieg gegen Bestechung kämpft


Krieg und Korruption
"Werden ihm Handschellen anlegen"


Aktualisiert am 02.02.2023Lesedauer: 4 Min.
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Selenskyj-Berater Kyrylo Tymoschenko bei einem Briefing mit dem ukrainischen Präsidenten im Januar 2023.Vergrößern des Bildes
Selenskyj-Berater Kyrylo Tymoschenko bei einem Briefing mit dem ukrainischen Präsidenten im Januar 2023. (Quelle: IMAGO/Ukraine Presidency/Ukraine Presi)

Korruption ist in der Ukraine schon jahrelang ein großes Problem. Doch trotz des Krieges hat das Land zuletzt Fortschritte gemacht. Wie ist das möglich?

Kyrylo Tymoschenko war gerne in einem SUV unterwegs: Wo der Vizechef des ukrainischen Präsidentenbüros auch war, häufig fand sich irgendwo ein Chevrolet Tahoe des US-Autobauers General Motors.

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Der SUV war Tymoschenkos Dienstwagen – dumm nur, dass der eigentlich für ganz andere Zwecke gedacht war: Der Autokonzern hatte den Tahoe zusammen mit 49 weiteren Fahrzeugen für humanitäre Zwecke gespendet und nicht für Mitarbeiter des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Die Presse wurde schließlich aufmerksam auf den ungewöhnlichen Dienstwagen.

Reihenweise Razzien und Entlassungen

Mittlerweile ist Tymoschenko seinen Job los – und kein Einzelfall. In den letzten Wochen wurden aus der ukrainischen Verwaltung reihenweise Leute wegen Korruptionsdelikten entlassen. Allein am vergangenen Mittwoch gab es Razzien bei einem ehemaligen Minister, ranghohen Mitarbeitern des Verteidigungsministeriums und mehreren Steuerbüros in Kiew. Zudem wurde der Leiter des ukrainischen Zolls entlassen.

Korruption ist kein neues Problem in der Ukraine. Auf den ersten Blick liegt der Schluss nahe, dass die vielen öffentlich gewordenen Fälle ein Zeichen dafür sind, dass das Land im Kriegsgewirr noch weiter abgerutscht ist. Doch vermutlich ist das Gegenteil der Fall: Tatsächlich belegen neue Zahlen der Organisation Transparency International, dass die Ukraine weiter Fortschritte im Kampf gegen Bestechlichkeit von Politikern und Amtsträgern macht. Im weltweiten Korruptionsranking lag die Ukraine 2019 im Vergleich von 180 Ländern noch auf Rang 137. Vier Jahre später ist der Staat auf Rang 116 geklettert.

"Ein Korruptionsproblem haben alle postsowjetischen Länder in diesem Maße. Die Ukraine unterscheidet sich dadurch, dass am meisten darüber diskutiert wird", sagte Andreas Umland, Analyst des Stockholmer Zentrums für Osteuropastudien im Gespräch mit t-online. Wie führt eine Regierung diesen Kampf, während sie gleichzeitig einen russischen Überfall abwehren muss – und warum werden gerade jetzt so viele Fälle publik?

Irritationen um Oligarchen

Tatsächlich war der Kampf gegen Korruption eines der zentralen Versprechen von Wolodymyr Selenskyj im Wahlkampf um die Präsidentschaft 2019. "Meine Wahl beweist nur, dass die Bürger der erfahrenen Politiker überdrüssig sind, die in den vergangenen 28 Jahren ein Land der Möglichkeiten geschaffen haben – Möglichkeiten zum Stehlen, Bestechen und Plündern", sagte Selenskyj etwa in seiner ersten Rede nach seiner Vereidigung im Mai 2019. Zuvor hatte der ehemalige Schauspieler überraschend deutlich den Amtsinhaber Petro Poroschenko geschlagen.

Früh wurden allerdings Zweifel an Selenskyj gesät und die Frage gestellt, wie ernst es der neue Präsident tatsächlich mit dem Kampf gegen die Korruption meint. Nachgesagt wurde dem jungen Staatsoberhaupt eine Nähe zu dem zwielichtigen Oligarchen Ihor Kolomojskyj: Der Unternehmer war zum Zeitpunkt der Wahl Besitzer des Fernsehsenders, der Selenskyjs Erfolgsserie "Diener des Volkes" ausgestrahlt hatte. Jahre zuvor war der Oligarch auch Gouverneur der Oblast Dnipropetrowsk, ehe er gegen seinen Willen vom damaligen Präsidenten Poroschenko abgesetzt wurde.

Vom Krieg überlagert

Im Kampf gegen Poroschenko unterstützte Kolomojskyj den damaligen Politneuling Selenskyj: Eine Einflussnahme des Oligarchen bestritt der spätere Präsident allerdings – und am vergangenen Mittwoch stattete der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU auch Kolomojskyj einen Besuch ab. Dem Oligarchen wird die Veruntreuung von umgerechnet rund einer Milliarde Euro vorgeworfen. "Jeder Kriminelle, der die Dreistigkeit besitzt, der Ukraine gerade in Kriegszeiten zu schaden, muss verstehen, dass wir ihm Handschellen anlegen werden", erklärte der Chef der Sicherheitsdienste, Wasil Maljuk, auf dem Telegram-Kanal des SBU. "Kolomojskyj hat unter Selenskyj nichts wiederbekommen, was er unter Poroschenko verloren hat", sagt Robert Kirchner von der Beratungsagentur Berlin Economics im Gespräch mit t-online.

Aber warum häufen sich die aufgedeckten Fälle gerade jetzt? Kirchner, der im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums seit mehreren Jahren die Ukraine bei Wirtschaftsreformen berät, betont, dass der Kampf gegen die Korruption schon lange konsequent geführt wird. Der Krieg habe nur die Wahrnehmung dieser Entwicklung überlagert. Tatsächlich habe das Land schon seit den Euromaidan-Protesten 2014 Fortschritte in der Korruptionsbekämpfung gemacht.

"Weiß jeder, wie viel die gekostet haben"

Auch das Volk fordert laut Kirchner die Reformen immer wieder vehement ein. Andreas Umland glaubt sogar, dass der Krieg in gewisser Weise den Kampf gegen die Korruption zusätzlich angefacht hat: "Kriege schaffen existenzielle Situationen, in denen dann in der Regel staatliche Verwaltungen effektiver werden, weil der Einsatz viel höher ist. So ein Effekt ist auch in der Ukraine zu beobachten."

Einen Schritt nach vorne machte die Ukraine etwa durch die Digitalisierung ihrer Verwaltung: Alle Einkünfte und sonstige Vermögenswerte etwa müssen Staatsbedienstete in der Ukraine melden. Die Zahlen sind öffentlich einsehbar – genauso wie das gesamte Beschaffungswesen des Staates: "Wenn sich die Präsidialverwaltung neue Teetassen bestellt, weiß jeder, wie viel die gekostet haben", sagt Kirchner. Zudem wurden neue Institutionen geschaffen, wie das Nationale Antikorruptionsbüro Nabu. Kritiker bemängeln allerdings, dass die Offenlegung der Verdienste von Beamten mit Verhängung des Kriegsrechts ausgesetzt wurde.

"Auf einem guten Weg"

"Die Ukraine ist auf einem guten Weg, aber er ist noch lang", meint Wirtschaftsexperte Robert Kirchner. Laut der Rangliste von Transparency International ist die Ukraine nach Russland noch immer das korrupteste Land in Europa. Großen Verbesserungsbedarf sehen sowohl Kirchner als auch Andreas Umland vor allem im ukrainischen Justizwesen: Viele Unternehmen würden laut Kirchner davon berichten, dass Gerichtsurteile käuflich seien. Die Justiz müsse "unbestechlich" werden, sagt Andreas Umland: "Das ist schon besser als früher, aber da gibt es noch große Probleme im Gerichtswesen – und das ist das Hauptproblem."

Dass die Ukraine weitere Schritte nach vorne macht, hat auch mit der EU zu tun: Nachdem das Land im vergangenen Sommer den Status eines Beitrittskandidaten erhalten hatte, forderte die EU-Kommission weitere Antikorruptionsmaßnahmen. Eine Bestandsaufnahme werden EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und eine Delegation aus Brüssel am heutigen Donnerstag und Freitag mit der ukrainischen Regierung in Kiew machen. Wie ernst es der Staat mit dem EU-Beitritt meint, unterstrich zuletzt mehrfach Ministerpräsident Denys Schmyhal: Ginge es nach ihm, würde die Ukraine dem Bündnis schon innerhalb der nächsten zwei Jahre beitreten.

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