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Terror, Krieg, Klimakatastrophe: Leben im Zustand von Dauerkrisen


Tagesanbruch
Eine ernst gemeinte Frage


Aktualisiert am 18.10.2023Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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Gedenkveranstaltung vor der Münchner Hauptsynagoge Ohel Jakob: Der Angriff der Hamas auf Israel lässt auch in Deutschland viele Menschen sprachlos zurück.Vergrößern des Bildes
Gedenkveranstaltung vor der Münchner Hauptsynagoge Ohel Jakob: Der Angriff der Hamas auf Israel lässt auch in Deutschland viele Menschen erschüttert zurück. (Quelle: Matthias Balk/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

ich könnte an diesem Morgen auf neue Schreckensmeldungen aus Gaza eingehen, Thesen zum Anschlag in Brüssel aufstellen oder die Attacken Russlands im Osten der Ukraine thematisieren. Doch gerade weil die Welt im Chaos zu versinken scheint, möchte ich diesen Tagesanbruch ausnahmsweise etwas anders angehen und Ihnen eine Frage stellen. Eine Frage, die Sie sicher schon tausendfach gehört, aber vermutlich fast nie ehrlich beantwortet haben: Wie geht es Ihnen?

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Meist lächeln wir diese Frage weg, murmeln ein "Gut" und damit hat es sich. Dabei zeichnen Umfragen ein ganz anderes Bild. So kam etwa die Trendstudie "Jugend in Deutschland 2023" zu dem Ergebnis, dass fast die Hälfte der 14- bis 29-Jährigen unter Stress leidet. Jeweils rund ein Drittel von ihnen fühlt sich erschöpft, antriebslos und zweifelt an sich selbst. Die ältere Generation steckt Krisen laut dieser Studie zwar besser weg, doch leidet auch sie zunehmend unter psychischen Belastungen.

Das dürfte sich auch im neuen Fehlzeiten-Report niederschlagen, den die Krankenkasse AOK heute vorstellt. Demnach lag die Zahl der Krankschreibungen im vergangenen Jahr auf einem historischen Höchststand. Dass psychische Probleme wie Stress und Überlastung dabei eine Rolle spielen dürften, zeigt ein Bericht der Techniker Krankenkasse: Im Schnitt fehlten Arbeitnehmer 2022 3,3 Tage wegen psychischer Diagnosen. Das ist ein Anstieg um 35 Prozent im Vergleich zu 2012.

Nun gibt es nicht wenige, die sagen: Wir stellen uns halt alle mehr an als früher. Gerade über die jüngere Generation, die Gen Z, heißt es häufig, sie sei nicht belastbar, wolle nicht arbeiten und reagiere viel zu sensibel. Mal davon abgesehen, dass selbst die alten Griechen schon über die Verdorbenheit der Jugend schimpften: Ist es wirklich so schlecht, wenn wir heute nicht mehr alles mit uns machen lassen? Wenn wir zugeben, dass die Welt uns gerade überfordert, und wir uns mehr Pausen zugestehen?

Vielleicht stimmt es sogar, dass wir uns mehr anstellen. Aber das ist auch gut so.

Krieg, Terror, Klimakatastrophe – wir leben im Zustand der Dauerkrise. Selbst aus sicherer Entfernung und als nicht unmittelbar Betroffener steckt das nicht jeder einfach so weg. Hinzu kommen private Probleme, die im Vergleich zum Grauen in Israel und der Ukraine banal wirken, uns aber nicht minder aus der Bahn werfen können. Ein Jobverlust etwa, das Ende einer langjährigen Beziehung oder die Krankheit eines geliebten Menschen.

Es ist kein Zeichen von Schwäche, hier nicht nach der alten "Was mich nicht umbringt, macht mich härter"-Mentalität zu verfahren und sich Hilfe zu suchen. Und es ist gut, wenn Unternehmen ihren Mitarbeitern zunehmend Beratungsangebote an die Hand geben, die den Mangel an Therapieplätzen zumindest ein wenig kompensieren. Gleichzeitig sind es nicht selten die Zustände in den Firmen selbst, die Angestellte auslaugen. Wer im Wettbewerb um die Besten der Besten mithalten will, muss auch die eigenen Strukturen überdenken.

Doch so wichtig es ist, dass die Arbeitswelt unnötigen Druck rausnimmt – es wird im Leben immer wieder Ereignisse geben, die einen fordern. Da ist es gut zu wissen, dass Sie diesen nicht hilflos ausgeliefert sind. Denn ein Großteil schwieriger Gefühle wie Trauer, Wut oder Angst folgt nicht direkt auf ein unangenehmes Ereignis. Vielmehr stehen dazwischen noch unsere Überzeugungen. Annahmen darüber, wie die Welt in unseren Augen zu sein hat.

"Alle Menschen haben ein Talent, schräg zu denken", sagte der US-amerikanische Psychologe und Psychotherapeut Albert Ellis. Er meinte damit, dass wir Ereignisse verzerrt wahrnehmen und auf eine Art interpretieren, die nicht hilfreich ist – und wir erst dadurch wütend oder traurig werden. Anders gesagt: Für einen Teil unseres mentalen Stresses sind wir selbst verantwortlich. Und können ihn im Umkehrschluss selbst verhindern.

Natürlich hat dieses Modell Grenzen. Es wäre zynisch, den Menschen in Israel zu sagen, sie mögen einfach nur anders über den Hamas-Terror denken, dann ginge es ihnen gleich viel besser. Doch den Herausforderungen hierzulande können Sie damit durchaus begegnen.

Ein Beispiel: Sie sind sauer auf Ihren Chef, weil er Sie vor versammelter Mannschaft kritisiert hat. Die meisten Menschen glauben in einer solchen Situation, dass der Anpfiff des Vorgesetzten der Auslöser für ihren Ärger ist. Tatsächlich haben sie aber erst noch über die Situation nachgedacht und sie bewertet – blitzschnell und kaum wahrnehmbar. Ihre Überzeugung könnte etwa sein, dass Ihr Chef immer freundlich zu sein hat. Und weil er dieser Forderung nicht gerecht wurde, ärgern Sie sich.

Andere typische Überzeugungen sind: Das Leben muss gerecht sein. Ich muss beruflich erfolgreich sein. Ich muss in einer Beziehung sein, sonst bin ich gescheitert. Wenn ich die Stelle nicht bekomme, ist das das Ende meiner Karriere. Wenn meine Ex-Frau einen neuen Partner findet, halte ich das nicht aus.

Hier gilt es anzusetzen und sich die eigenen Annahmen über die Welt bewusst zu machen. Albert Ellis würde fragen: Wer sagt denn, dass das Leben leicht sein soll, frei von Krankheit, ausschließlich von Glück erfüllt und mit gelingenden Beziehungen ausgestattet? Denn offensichtlich läuft es ja nicht so. Menschen stehen regelmäßig vor Problemen, werden krank und trennen sich. Warum sollte das bei Ihnen anders sein?

Sobald Sie das akzeptiert haben, können Sie anfangen, Ihre irrationalen Überzeugungen zu hinterfragen. Wo ist der Beweis dafür, dass meine Annahme wahr ist? Ist das wirklich logisch, was ich mir da überlegt habe? Hilft mir diese Sichtweise? Wer einmal beginnt, diese Fragen zu stellen, hat die Chance, seine Überzeugungen zu ändern. Nicht sofort, aber durch ständige Wiederholung. So kann jeder selbst dazu beitragen, Ereignisse anders zu bewerten – und letztlich psychische Belastungen zu verringern.

Vielleicht entspricht es dann beim nächsten Mal sogar der Wahrheit, wenn Sie auf die Frage "Wie geht es Ihnen?" antworten: "Danke, gut."


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Was steht an?

Joe Biden ist derzeit mit vielen Krisen zugleich konfrontiert. Schon bevor seine brisante Reise in den Nahen Osten begann, sind Teile davon bereits gescheitert. Jordanien hat in der Nacht ein geplantes Treffen des US-Präsidenten mit arabischen Staatschefs abgesagt. Hintergrund ist der Beschuss eines Krankenhauses im Gazastreifen. Die Absage birgt große Gefahren, schreibt USA-Korrespondent Bastian Brauns.


Sebastian Kurz vor Gericht: Österreichs Altkanzler wird vorgeworfen, im sogenannten Ibiza-Untersuchungsausschuss vorsätzlich gelogen zu haben. Er selbst sieht sich als Opfer einer politischen Intrige. Eine Haftstrafe droht Kurz selbst bei einer Verurteilung eher nicht – wohl aber das Ende seiner politischen Karriere.


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Ohrenschmaus

Meinen Freunden vertraue ich in der Regel blind – und folge ihnen auf Konzerte von Bands, die ich gar nicht kenne. So entdecke ich immer wieder kleine Perlen, so wie diese hier.


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Vor acht Jahren deckte er den Abgasbetrug in der Autoindustrie auf, heute glaubt Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilfe, an ein baldiges Tempolimit auf Autobahnen. Warum, erklärt er meinem Kollegen Markus Abrahamczyk im Interview.


In der Fußball-Bundesliga häufen sich die Fälle von Spielern, die sich anti-israelisch äußern. Doch noch hat nicht jeder Verein darauf reagiert. Meine Kollegin Melanie Muschong kennt die Details.


Zum Schluss

Kommen Sie gut durch den Tag! Morgen schreibt mein Kollege Steven Sowa für Sie.

Herzliche Grüße

Ihre Christine Holthoff
Redakteurin Finanzen
Twitter: @c_holthoff

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Mit Material von dpa.

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