"Finstere und heimtückische Taktik" Kreml wirbt offenbar Kinder als Selbstmordattentäter an

Ukrainische Geheimdienste berichten von einer perfiden Kriegstaktik des Kreml. Die Opfer wissen bis zu ihrem Tod nicht, was sie eigentlich tun.
Immer wieder kam es in den vergangenen Monaten zu mysteriösen Selbstmordattentaten in der Ukraine. Dahinter steckt offenbar eine Taktik des russischen Militärgeheimdienstes GRU – in der Kinder eine zentrale Rolle spielen.
Der Geheimdienst wirbt gezielt Ukrainer am Rande der Gesellschaft an und wirbt mit leicht verdientem Geld, wie das "New Lines Magazine" berichtet. Unter russischer Aufsicht müssen die Angeworbenen demnach eine Bombe bauen und werden für einen Botengang zu ukrainischen Rekrutierungszentren oder Militäreinrichtungen geschickt. Kommen sie dort an, zünden russische Agenten die Bombe aus der Ferne – ohne dass die Boten eingeweiht wurden.
Russland wirbt gezielt Kinder für Selbstmordattentate an
In jüngerer Vergangenheit ist Russland offenbar auch dazu übergegangen, speziell Kinder für diese Todesmissionen zu gewinnen. Der Erstkontakt erfolgt meist über Telegram, eine russische Messenger-App, die auch in der Ukraine weit verbreitet ist. Liubov Tsybulska, eine ukrainische Expertin für russische hybride Kriegsführung, sagte "New Lines": "Fast alle Kinder in der Ukraine nutzen Telegram."
Sie erklärte, es habe bereits Hunderte solcher Vorfälle gegeben, nur ein Bruchteil davon tauche letztlich in den Nachrichten auf. In ein Fünftel der Anschläge sollen Kinder verwickelt sein. Es sei "eine unglaublich finstere und heimtückische Taktik, aber leider sehr effektiv".
Mehrere Vorfälle mit ukrainischen Kindern
Ein Vorfall hatte sich im März im westukrainischen Iwano-Frankiwsk ereignet. Ein 15- und ein 17-Jähriger hatten mit einem russischen Betreuer eine Bombe gebaut, nachdem sie mit der Aussicht auf "leichtes Geld" gelockt worden waren. Im Anschluss wurden sie laut "New Lines" in die Nähe eines Bahnhofs geschickt. Der Sprengsatz explodierte dann mittels GPS-Ortung und Fernzündung. Der 17-Jährige starb sofort, der 15-Jährige kam mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus.
In einem anderen Fall konnte Schlimmeres verhindert werden, berichtet das Portal "Militarnyi". Eine 15-jährige Schülerin aus Kiew wurde demnach auf Telegram für einen Teilzeitjob angeworben. Ihr Auftrag: Sie sollte ein Paket abholen und zu einer Polizeiwache bringen, berichtete sie. Das Paket war eine als Thermoskanne getarnte Bombe, die ein 18-Jähriger hergestellt hatte. Dieser war erwischt worden, und arbeitete mit den ukrainischen Behörden zusammen. Als das Mädchen die Wache betrat, wurde die Bombe ohne sein Wissen ferngezündet – allerdings war sie schon zuvor unschädlich gemacht worden.
Ein anderes Mädchen weigerte sich zunächst, mit den russischen Anwerbern zusammenzuarbeiten, berichtet "New Lines". In der Folge hackten russische Agenten offenbar das Handy der 14-Jährigen und drohten, intime Fotos von ihr zu veröffentlichen. Sie willigte in eine Kooperation ein, wurde aber festgenommen, bevor eine Bombe gezündet werden konnte.
Experten warnen: "Taktiken auf al-Qaida-Niveau"
Ed Bogan, ein ehemaliger CIA-Agent mit umfassender Erfahrung im Umgang mit Russland und internationalen islamistischen Terrorgruppen warnt vor dieser Vorgehensweise. "Das sind Taktiken auf dem Niveau von al-Qaida und des 'Islamischen Staats'", sagte er "New Lines". "Den Russen sind jetzt keine Grenzen gesetzt."
Dmytro Shumeyko, der Polizeichef von Kiew, erklärte, rund 90 Prozent der Angriffe seien mit finanziellen Anreizen verbunden. Doch niemand habe die versprochenen Zahlungen zwischen 530 und 880 Euro erhalten.
Alex Finley, eine ehemalige CIA-Mitarbeiterin, die ausführlich über russische Geheimdienstaktivitäten geschrieben hat, betonte: "Diese Angriffe sind so angelegt, dass sie abstreitbar sind und unterhalb der Schwelle dessen liegen, was wir gemeinhin als Kriegshandlung betrachten." Für Russland seien sie jedoch fester Bestandteil der Kriegspläne.
Andere Jugendliche wurden für Brandstiftung, das Verlegen von Minen oder das Fotografieren von Objekten angeworben. In der Ukraine versucht man nun offenbar dagegen vorzugehen. Der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU und die Nationalpolizei besuchen inzwischen Schulen und klären die Kinder dort über die Gefahren der Rekrutierung aus dem Ausland auf. Die Schüler werden aufgefordert, solche Anwerbungsversuche direkt zu melden.
Dazu haben sie einen Telegram-Chatbot gestartet. Das US-amerikanische Center for European Policy Analysis berichtet, dass seit Mitte Dezember über den Bot mehr als 1.300 Meldungen eingegangen sind.
Hinweis: Falls Sie viel über den eigenen Tod nachdenken oder sich um einen Mitmenschen sorgen, finden Sie hier sofort und anonym Hilfe.
- newlinesmag.com: "Moscow’s intelligence services are recruiting civilians, including the young and vulnerable, to carry remotely detonated explosives" (Englisch)
- cepa.org: "Terrorism’s Future — Crypto for Russia’s Suicide Bombers" (Englisch)
- militarnyi.com: "Russia Tried to Make a 15-Year-Old Girl Suicide Bomber" (Englisch)