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Russland: Steigende Kriminalität unter Kriegsveteranen befürchtet


Kriminalität unter Kriegsveteranen
Russland drohen gefährliche Jahre – wegen der eigenen Soldaten

Von t-online, FIN

16.07.2025 - 11:08 UhrLesedauer: 4 Min.
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Ein neues Rechtsgutachten des russischen Innenministeriums spricht von einer neuen Gefahr durch russische Veteranen. (Quelle: Sergey Bobylev/imago-images-bilder)
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Ein russisches Gutachten warnt vor steigender Kriminalität aufgrund heimkehrender Kriegsveteranen. Gewalt, soziale Probleme und Betrug könnten zunehmen.

Um seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine fortzuführen, greift der russische Präsident Wladimir Putin zu allen denkbaren Mitteln. Ein neues Rechtsgutachten des russischen Innenministeriums legt nahe, dass Putin angesichts der hohen Zahl der neu verpflichteten Soldaten in Zukunft mit Konsequenzen für das eigene Land und seine Bevölkerung rechnen muss.

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In dem Gutachten mit dem Titel "Die Auswirkungen der speziellen Militäroperation auf die Kriminalität in Russland" kommt der Professor Willi Maslow, der in der Rechtsabteilung des russischen Innenministeriums arbeitet, zu dem Schluss, dass die russische Gesellschaft in den kommenden Jahren mit einem ernstzunehmenden Problem der Kriminalität zu kämpfen haben wird. Als mögliche Gründe dafür werden posttraumatische Belastungsstörungen, mangelnde Resozialisierung ehemaliger Häftlinge und zerstörte Familien genannt.

Maslow stützt seine Analyse auf Daten der Justizabteilung des Obersten Gerichtshofs und des russischen Strafvollzugsdienstes. Es handelt sich um einen seltenen Einblick in das vom Krieg isolierte Russland – verfasst von einem "Vertreter des Systems", wie die britische BBC schreibt, die zuerst über das Gutachten berichtete.

Die Heimkehr der Ex-Häftlinge

Die größte Gefahr, so Maslow, gehe von zurückkehrenden Kriegsveteranen aus, die vor ihrem Armeedienst als Straftäter inhaftiert waren. Jewgeni Prigoschin, der inzwischen verstorbene ehemalige Chef der Söldnertruppe Wagner, begann im Jahr 2022, die russischen Straflager nach Rekruten für seine Söldnerarmee zu durchkämmen. Später übernahm das Verteidigungsministerium die Rekrutierung. Die Bedingungen bis 2024 sahen vor: sechs Monate Dienst, ein monatliches Gehalt, danach Begnadigung und vollständige Löschung des Strafregisters. Ein Angebot, das das Interesse Tausender russischer Schwerverbrecher weckte.

Genaue Zahlen darüber, wie viele ehemalige Häftlinge in den Reihen der russischen Armee kämpfen, nennt das Gutachten nicht. Maslow geht jedoch davon aus, dass bereits mehrere Tausend bis mehrere Zehntausend Kriminelle begnadigt wurden – darunter Mörder, Terroristen, Drogenhändler und Vergewaltiger. Inzwischen hat das Verteidigungsministerium die Bedingungen verschärft: Heute gilt, dass bis zum Ende des Krieges gekämpft werden muss, und selbst danach bleiben die aus der Haft rekrutierten Soldaten nur auf Bewährung frei.

Die Einbeziehung von Häftlingen in das Militär ist in Russland keine neue Praxis. Schon im Zweiten Weltkrieg rekrutierte die Rote Armee in sowjetischen Gefängnissen Kämpfer für den Einsatz gegen Nazi-Deutschland. Der entscheidende Unterschied: Damals wurden vor allem Kleinkriminelle ausgewählt – man war sich einig, dass Schwerverbrecher weiterhin inhaftiert bleiben sollten.

"Nur eine Frage der Zeit"

Maslow kommt zu dem Schluss, es sei "nur eine Frage der Zeit", bis begnadigte Häftlinge erneut Straftaten begehen – auch, weil eine normale Wiedereingliederung ohne gezielte staatliche Unterstützung kaum möglich sei. Eine zusätzliche Gefahr sieht Maslow darin, dass aktuell viele Straftäter schon kurz nach ihrer Verurteilung aus der Haft entlassen würden und somit die Möglichkeit hätten, sich an den Beteiligten ihrer Prozesse zu rächen.

Hinzu komme, dass ehemalige Häftlinge besonders anfällig für posttraumatische Belastungsstörungen seien. Sollte diesem Phänomen nicht professionell begegnet werden, befürchtet Maslow einen Anstieg von Gewaltverbrechen in der russischen Gesellschaft – insbesondere innerhalb der Familien der Militärangehörigen. Um dem vorzubeugen, brauche es spezialisierte Psychologen, Ärzte und Rehabilitationszentren – auch in abgelegenen Regionen Russlands.

Gewalt als Teil der Propagandamaschine

Kirill Titajew, ein Forscher zum russischen Strafverfolgungssystem an der Fakultät für Geistes- und Naturwissenschaften in Montenegro, den die BBC zu Maslows Studie befragt hat, weist auf einen weiteren zentralen Punkt hin, der im Gutachten allerdings unausgesprochen bleibt: Laut Titajew sei eine zunehmende Normalisierung der Gewalt in der russischen Gesellschaft nicht zu übersehen. Während Gewaltverbrechen und Morde vor fünf Jahren noch als verpönt galten, zeichne sich heute aufgrund der Kriegserfahrung eine Gewöhnung an Grausamkeit ab.

Auch die russische Propaganda trage laut Titajew erheblich zu dieser Entwicklung bei. In der Fernsehsendung "Solowjew Live" sagte ein Moderator unverblümt, Frauen sollten die Schläge ihrer Männer ertragen. Vielmehr sollten sie "den Männern die Füße küssen", da diese "ihr Leben für das Vaterland riskiert" hätten. Was das für Opfer häuslicher Gewalt und deren Vertrauen in das Rechts- und Hilfesystem bedeutet, lässt sich nur erahnen.

Eine weitere Gefahr sieht Maslow im sozialen Absturz vieler Kriegsteilnehmer nach ihrer Rückkehr: Während ihres Dienstes erhalten viele ein Gehalt, das das durchschnittliche Einkommen – besonders das für Häftlinge in zukünftiger Tätigkeit – bei Weitem übersteigt. Maslow befürchtet, dass viele nach dem Krieg daher auf der Suche nach schnellem Geld sein könnten – und damit eher versucht sein könnten, Straftaten wie Diebstähle und Raubüberfälle zu begehen.

Betrugswelle bei Soldatenfamilien

Aber auch aktive Soldaten und deren Familien sind zunehmend von Verbrechen betroffen. Betrüger nutzen die verzweifelte Lage vieler Familien aus, deren Angehörige an der Front kämpfen. Sie geben sich am Telefon als Regierungsbeamte oder Geheimdienstmitarbeiter aus und behaupten, ein Angehöriger sei in Gefangenschaft geraten. Dann fordern sie Geld für angebliche Lösegeldzahlungen. Allein im Jahr 2024 soll es laut dem russischen Innenministerium etwa 640.000 solcher Betrugsfälle gegeben haben – mit einem Gesamtschaden von rund 170 Milliarden Rubel (etwa 1,8 Milliarden Euro).

Der Soziologe Kirill Titajew mahnt jedoch zur Vorsicht bei der Interpretation von Maslows Analyse. Der Rechtsprofessor stütze sich zu stark auf bloße Verurteilungszahlen, sagt Titajew. Dabei handle es sich seiner Einschätzung nach nicht ausschließlich um Gewaltverbrechen oder Morde. Die Zahl der Schwerverbrecher, die tatsächlich in die Gesellschaft zurückkehren, dürfte laut Titajew also geringer ausfallen. Maslows Schlussfolgerung, dass es einen Anstieg schwerer Verbrechen zu verzeichnen gebe, sei irreführend, wenn in den Statistiken auch Straftaten wie Unterschlagung oder Amtsmissbrauch zu finden sind, so Titajew.

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