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Star-Dirigent Kent Nagano: "Neuauflage von Corona wäre eine echte Katastrophe"


Stardirigent Nagano
"Mit Sicherheit hätte er Trump bekämpft"

InterviewVon Marc von Lüpke

24.03.2022Lesedauer: 5 Min.
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Kent Nagano: Der Dirigent hofft, dass sich die Kunstwelt bald von den Folgen der Corona-Krise erholen wird.Vergrößern des Bildes
Kent Nagano: Der Dirigent hofft, dass sich die Kunstwelt bald von den Folgen der Corona-Krise erholen wird. (Quelle: Christian Charisius/dpa-bilder)

Corona hat die Welt in eine Krise gestürzt, besonders betroffen waren die Künstler. Der berühmte Dirigent Kent Nagano ist trotzdem optimistisch. Weil er einige wichtige Lektionen gelernt hat.

t-online: Herr Nagano, normalerweise dirigieren Sie Ihr Orchester vor großem Publikum, dann kam Corona und mit dem Virus die Schließung der Opern- und Konzerthäuser. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Kent Nagano: Als die Corona-Lage im Frühjahr 2020 in Europa eskalierte, befand ich mich zufällig in Paris. Anders als in Deutschland gab es damals dort einen sehr harten Lockdown, überwacht und durchgesetzt von der Polizei. Der erzwungene Stillstand des privaten und öffentlichen Lebens war schon sehr einschneidend. Statt unterwegs zu sein, saß ich in meiner Pariser Wohnung fest.

Wie haben Sie sich die Zeit vertrieben?

So sinnvoll wie möglich. Ich hatte auf meinem Klavier in Paris seit langer Zeit zwei Berge aufgehäuft – sie bestanden aus einer Mischung von Büchern und Partituren. Am Ende des Lockdowns gab es die Berge nicht mehr. Insofern war der erzwungene Stillstand eine interessante Erfahrung. Eine Neuauflage von Corona wäre aber eine echte Katastrophe.

Um das Virus effektiv einzudämmen, benötigen wir hingegen so viele Impfungen wie möglich. In Deutschland, Ihrem Arbeitsort, und den USA, Ihrer Heimat, tun sich allerdings zu viele Menschen damit schwer.

Meine Mutter war Forscherin, eine Mikrobiologin. Insofern bin ich ein strikter Anhänger der Wissenschaft. Und kann jedem Menschen nur dringend eine Impfung gegen Corona empfehlen.

Ihre Mutter war nicht nur Mikrobiologin, sondern auch Pianistin und Cellistin. Warum sind Sie ihr in ihrer zweiten Profession gefolgt und nicht in der als Wissenschaftlerin?

Meine Mutter hat mir das Klavierspiel beigebracht. Insofern trägt sie die Verantwortung dafür.

Kent Nagano ist einer der bedeutendsten Dirigenten der Welt. Geboren wurde Nagano 1951 im kalifornischen Berkeley, studierte später Musik und Soziologie. 2006 wurde der Amerikaner mit japanischen Wurzeln Generalmusikdirektor an der Bayerischen Staatsoper München, seit 2015 ist Nagano Generalmusikdirektor und Chefdirigent der Hamburgischen Staatsoper und des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg. 2021 erschien sein Buch (mit Inge Kloepfer) "10 Lessons of my Life. Was wirklich zählt", zugleich auch das CD-Box-Set "La Transfiguration de Notre Seigneur Jesus-Christ" mit Werken von Olivier Messiaen.

Wie viel mussten Sie üben, um Ihr beachtliches Können zu kultivieren?

Sehr, sehr viel. Und das war gut so. Damals haben zahlreiche Gleichaltrige eine Menge Unsinn angestellt. Vandalismus oder Autorennen, was Jugendliche eben so machen. Am Klavier war ich solchen Versuchungen nicht ausgesetzt.

Wenn Sie nicht Klavier übten, gingen Sie surfen im Pazifik.

Ich bin in Morro Bay aufgewachsen. Ein Städtchen unterhalb von ...

... San Francisco. Ich war vor Jahren einmal dort.

Das können nicht viele Menschen von sich behaupten. Außer Surfen konnte man früher in Morro Bay auch nicht viel machen. Aber der Pazifik war kostenlos und jederzeit zugänglich. Für wenige Dollar bekam man ein Surfbrett – und das war es dann. Das Surfen hat mein Verhältnis zur Natur und zur Welt stark beeinflusst, ich betreibe diesen Sport noch heute.

Musikalisch sind Sie hingegen durchaus ein Grenzgänger gewesen. So haben Sie einst mit der Rocklegende Frank Zappa zusammengearbeitet, wie Sie auch in Ihrem neuen Buch "10 Lessons of my Life. Was wirklich zählt" schreiben.

Rockmusik gab es bei mir zu Hause nicht, meine Mutter hatte es untersagt. Mit knapp 30 Jahren habe ich dann mein erstes Rockkonzert besucht, Zappa hatte mich dazu eingeladen. Zum Glück hatte ich mir vorher Ohrstöpsel besorgt, die Lautstärke war gewaltig.

Zappas musikalisches Genie umfasste aber nicht nur Rock 'n' Roll – er komponierte auch Orchestermusik.

Ich war damals selbst davon überrascht, als ich davon erfuhr. Der bekannte Komponist und Dirigent Pierre Boulez hat etwa mit Zappa zusammengearbeitet.

Sie sollten es Boulez nachmachen. In den Achtzigerjahren haben Sie das Londoner Symphony Orchestra dirigiert, als es Stücke von Zappa einspielte.

Ja. Und ich habe als junger Dirigent damals schwer mit mir gerungen, ob ich wirklich ein Projekt mit ihm angehen sollte. So durfte man Frank Zappa allerdings nicht kommen. "Genau 15 Sekunden gebe ich dir jetzt, um meine Frage mit Ja oder Nein zu beantworten", entgegnete er mir damals am Telefon, als ich ausweichend auf sein Angebot reagiert habe. Das war eine Lektion, die ich in diesem Augenblick lernte: Gib ehrliche, klare Antworten. Ja oder Nein.

Frank Zappa wurde als Rebell gegen Doppelmoral und Scheinheiligkeit bewundert und gefürchtet. Wie hätte er sich in Zeiten eines Donald Trump gefühlt?

Ich kann nicht für Frank Zappa sprechen. Mit Sicherheit hätte er Trump bekämpft. Zappa ist einer Konfrontation nicht aus dem Weg gegangen.

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Trump ist ein Symptom dafür, wie sehr die amerikanische Gesellschaft mittlerweile gespalten ist. Hat das Coronavirus diese Spaltung verschärft? In den USA, aber auch in Europa und Deutschland?

Das ist schwer zu beantworten, weil diese Länder sehr unterschiedlich sind. Allein in den Vereinigten Staaten besteht ein großer Unterschied zwischen Kalifornien und Texas. Aber sicherlich hat Corona keinem Land gutgetan.

Dann sprechen wir über Ihr Spezialgebiet, die Musik. Gerade in Krisenzeit sind Musik und Kultur ein gesellschaftlicher Kitt, nun hatte die Corona-Pandemie zur Schließung von kulturellen Einrichtungen aller Art geführt, Künstler konnten lange nicht mehr auftreten. Jetzt frage ich Sie, hätten Musik und Kultur den Menschen Halt geben können in der Corona-Pandemie?

Für die Künstler war Corona eine Katastrophe! Ich arbeite unter anderem mit vielen Ensembles zusammen, plötzlich war kein Konzert, kein Auftritt möglich. Nach Corona sind die Menschen auch nicht mehr wie früher, Corona hat sie überall verändert: Erst gingen wir in die Lockdowns, als wir wieder raus durften, hatte sich die Umwelt geändert: Viele Restaurants waren pleite, zahlreiche kleine Läden waren für immer geschlossen. Das hat soziale und psychologische Auswirkungen auf die Menschen. Die so lange vertraute Straße ist nicht mehr die gleiche Straße, die Identität eines Viertels verändert sich. Das kann nicht spurlos bleiben.

Aber noch mal konkret gefragt: Wie wichtig ist die Musik für die Gesellschaft, vielleicht insbesondere für die Jüngeren?

Diese Frage wird oft diskutiert. Selbstverständlich ist die Musik wichtig, ist die klassische Musik wichtig. Corona ist nicht die Schuld von Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven oder Johann Sebastian Bach. Aber ihre Musik kann uns auch noch Jahrhunderte später Freude bereiten oder Trost spenden. Eigentlich ist ein Symphonieorchester auch nur im Kleinen, was eine Gesellschaft im Großen ist.

Bitte erklären Sie das näher.

Die Idee hinter einer Symphonie besteht darin, dass unterschiedliche Künstler mit ihren Instrumenten etwas Größeres schaffen. Genauso ist es auch bei unserer Gesellschaft. Und beides funktioniert. Daher bin ich sicher, dass die Welt auch Corona verkraften wird.

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Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Kent Nagano
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