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Verkehrswende Hannover | OB Onay: "Wollen Straßen für Kunst und Kultur öffnen"


Hannovers grüner OB zur Verkehrswende
Belit Onay: "Wir wollen nicht nur Straßen dicht machen"

Von Katja Spigiel

Aktualisiert am 23.01.2022Lesedauer: 4 Min.
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Hannovers grüner Oberbürgermeister Belit Onay (Archivbild): Er will in der Autostadt die Verkehrswende schaffen.Vergrößern des Bildes
Hannovers grüner Oberbürgermeister Belit Onay (Archivbild): Er will in der Autostadt die Verkehrswende schaffen. (Quelle: Bernd Günther/imago-images-bilder)

Hannover ist eine wahre Auto-Stadt. Doch nun regiert hier erstmals ein Grüner. Belit Onay will der niedersächsischen Hauptstadt eine "autoarme" Innenstadt verpassen. Dabei macht er sich einige Feinde.

Ein Kreis aus breiten, mehrspurigen Straßen um den Stadtkern herum, eine Hochstraße für schnelleren Durchgangsverkehr, wie sie durch Los Angeles oder Chicago führen könnte, immer mehr und breitere Autos: Es gab Zeiten, in denen dieser autofreundliche Straßenbau als "Das Wunder von Hannover" galt – heute scheint das ganz schön aus der Zeit gefallen.

Das weiß auch Oberbürgermeister Belit Onay und experimentiert auf den Flächen der Innenstadt. "Das Auto ist klimaschädlich, nimmt Platz ein und verursacht Kosten", sagt Onay gegenüber t-online.

Verkehrswende in Hannover: Zwölf Radwege geplant

Der Weg zu einer zukunftsfähigen Verkehrswende soll unter anderem über Radwege führen – genauer gesagt über "Velorouten". Zwölf solcher Strecken sollen entstehen, manche davon sind als Radschnellwege geplant. Sie sind sternförmig um den Stadtkern angelegt und führen hinaus in die Randbezirke. Beidseitig befahrbar müssen sie mindestens drei Meter breit sein, entsprechende Vorfahrtsregeln und Ampelschaltungen sind im Konzept enthalten.

Doch immer dann, wenn Parkplätze weichen sollen, regt sich Widerstand. So auch in Hannover: Das Projekt geriet ins Stocken, es gab hitzige politische Diskussionen. Bisher tat das dem Ganzen keinen Abbruch, doch mit einem Ausbau der Veloroute wird nicht vor Herbst 2022 gerechnet.

Onay will "Straßen für Menschen öffnen"

"Erlebbar machen" wollte Onay im vergangenen Jahr, was Verkehrswende bedeuten kann – die Stadt ließ Straßen sperren und etablierte Experimentierräume. Beispielsweise rund um die Oper oder im Bereich der Marktkirche entstanden Orte der Begegnung. "Wir wollen nicht nur Poller hochziehen und Straßen dicht machen. Im Gegenteil: Wir wollen Straßen für Menschen, für Kunst, Kultur, soziale Angebote, Sport oder die Gastronomie öffnen", sagt Onay im Gespräch mit t-online.

Wenn das Auto gegenüber Alternativen wie dem (Elektro-)Fahrrad, E-Roller, Bus oder Bahn zurückgestellt würde, könne Platz geschaffen werden. Richtig genutzt, könne dieser Platz die Aufenthaltsqualität in der Stadt steigern.

Der Bürgermeister, der Rad fährt und den Wochenmarkt besucht

Hannoveranerinnen und Hannoveranern dürfte es nicht schwerfallen, dem Bürgermeister abzukaufen, wovon er spricht. Er ist selbst Fahrradfahrer, bringt seine Kinder gerne mit dem Rad zur Kita und ist auch auf dem Wochenmarkt anzutreffen. Onays Eltern kamen in den 70er Jahren aus Istanbul nach Deutschland. Die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" berichtete, dass er sich lange Zeit selbst nicht allzu sehr mit seinem familiären Hintergrund beschäftigen wollte. Es seien oft andere, die ihn mit seiner Herkunft konfrontierten und ihn Ausgrenzung und Rassismus erleben ließen.

Als Jurastudent in Hannover intensivierte er dann seine Beschäftigung mit Identitätsthemen und wurde Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen. Nur ein Jahr später war der heutige Bürgermeister im Rat der Stadt Hannover.

Reaktionen: "Großer Ärger", "Plakative Maßnahmen"

Seine Experimente wie umgenutzte Straßenräume habe die Bevölkerung "gut angenommen", sagt Onay. Sie ernteten aber auch viel Unmut: In einem Kommentar vom NDR hieß es, dass die gesperrten Straßen "großen Ärger ausgelöst" und nicht zwingend zum Verweilen eingeladen hätten. Für das CDU-geführte Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung sind Onays Maßnahmen "plakativer" Natur. Im Grunde stimme das Ministerium mit den Zielen einer zukunfts- und klimagerechten Mobilität überein, die bisherigen Wege dorthin seien aber "häufig schwer nachvollziehbar" sowie "kontraproduktiv und keine Lösung im Sinne einer Verkehrswende".

"Ziel der autoarmen Stadt keine Kampfansage"

Hannovers Bürgermeister wehrt sich gegen die Vorwürfe. Mit den Experimentierräumen sei deutlich gemacht, was Zukunftsvisionen für die Innenstadt sein können. Sie waren Teil eines Innenstadtdialogs mit der Bevölkerung. "Insofern läuft die Kritik meines Erachtens ins Leere", sagt Onay.

Die Zielsetzung der "autoarmen" Stadt dürfe nicht als Kampfansage verstanden werden. "Jede Person, die heute mit dem Auto fährt, fährt vielleicht morgen mit dem ÖPNV oder mit dem Rad. Es ist nicht so, dass sich verschiedene Bevölkerungsgruppen unversöhnlich gegenüberstehen."

Aus dem Wirtschaftsministerium heißt es, dass "eine reine Verbotskultur nichts bringt". Bevor es an Sperrungen von Straßen gehe, müssten andere Sektoren attraktiv ausgebaut werden. Bedeutet: ÖPNV ausbauen, Rad- und Fußverkehr stärken, Lärmbelastung verringern. Von Vorabideen wie dem Pop-up-Radweg am Schiffgraben sei man nicht begeistert. Die Unterführung dort ist eng, weswegen die Stadt dem Autoverkehr eine Spur entzog und sie als Radweg auswies.

Kurz vor der Kommunalwahl schaltete sich das Ministerium ein: Der Radfahrstreifen sei nicht durch die Straßenverkehrsordnung gedeckt, der Rückbau wurde gefordert. Onay gab nicht klein bei. Nun lässt er Verkehrsdaten erheben, auf deren Grundlage eine dauerhafte Lösung an der Unterführung entstehen soll.

Der Grünen-Politiker lässt kaum eine Gelegenheit aus, um dem Ziel näherzukommen, für das ihn so viele gewählt haben: Unlängst schloss er sich einem Appell mehrerer Städte an, die Forderungen für eine umweltfreundlichere Mobilität an die Bundesregierung stellten. Hier fällt auch der Wunsch nach mehr Tempo-30-Zonen. Das Wirtschaftsministerium ist auch von dieser Forderung nicht begeistert: Das hätte zur Folge, dass der Verkehr nicht abfließen könne. Darunter hätte auch der Busverkehr zu leiden.

Im ÖPNV ist derweil ein Erfolg in Sachen Mobilitätswende in Aussicht: Nachdem das Land die finanziellen Voraussetzungen für die Einführung regionaler Schüler- und Azubi-Tickets für einen Euro pro Tag geschaffen hat, könnte das noch in diesem Jahr Realität werden.

Dem Südschnellweg sollen 13 Hektar Grünfläche weichen

Ein Vorhaben, das laut Umweltverbänden sowie Aktivistinnen und Aktivisten nicht mit Klimaschutzzielen vereinbar ist, ist der Ausbau des Südschnellwegs in Hannover. Die Schnellstraße soll rund zehn Meter breiter werden. Dem Vorhaben sollen Hunderte Bäume im Landschaftsschutzgebiet Leinemasch zum Opfer fallen. Ein Sprecher der Grünen Jugend sagt auf Anfrage: "Das kann nicht Teil einer zeitgemäßen Verkehrswende sein. Wir fordern einen Stopp des Ausbaus."

Es handelt sich um ein Bauprojekt des Bundes, weswegen die Stadt Hannover nicht viel Einfluss nehmen kann. Bürgermeister Onay machte in einem offiziellen Brief an den ehemaligen Verkehrsminister Andreas Scheuer dennoch deutlich, was er von den Plänen hält. Er bat um eine Neukonzeption der Pläne mit einer geringeren Fahrbreite und gab zu bedenken, dass es nicht zeitgemäß sei, keinen trassenbegleitenden Radweg zu bauen. Belit Onay ist überzeugt: "Statt breitere Straßen zu bauen, müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir Menschen zum Umsteigen bewegen."

Verwendete Quellen
  • Anfrage bei Belit Onay
  • "Hannoversche Allgemeine Zeitung": "Warum gibt es noch immer Probleme beim Bürgerservice, Herr Onay?"
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