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Herbert Reul zu Kölner Drogenkrieg: "Bombenlegen scheint Mode zu sein"


NRW-Innenminister Herbert Reul
"Bombenlegen scheint in Mode zu sein"


08.07.2025 - 09:56 UhrLesedauer: 9 Min.
NRW-Innenminister Herbert Reul: Der Kölner Drogenkrieg beunruhigt den CDU-Politiker. In der Stadt explodierten binnen weniger Wochen mehrere Sprengsätze.Vergrößern des Bildes
Herbert Reul: Der Kölner Drogenkrieg beunruhigt den CDU-Politiker. In der Stadt explodierten binnen weniger Wochen mehrere Sprengsätze. (Quelle: Roberto Pfeil)
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Herbert Reul gilt als harter Hund. Als Innenminister, der Clans und Kriminellen den Kampf ansagt. Der Kölner Drogenkrieg beunruhigt ihn dennoch.

Herbert Reul steht bereits seit acht Jahren an der Spitze des Innenministeriums in Nordrhein-Westfalen. Der 72-Jährige inszeniert sich gerne bei Clan-Razzien oder bei Polizeieinsätzen in den Kölner Silvesternächten. Seit Monaten beschäftigen ihn Explosionen, Schüsse und Entführungen im sogenannten Kölner Drogenkrieg.

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Trotz Verbindungen in die Niederlande glaubt Reul nicht daran, dass die berüchtigte niederländische "Mocro-Mafia" den Drogenmarkt in NRW übernimmt. Der CDU-Politiker lehnt den Begriff sogar strikt ab. Im Interview mit t-online erklärt er, warum er so häufig bei Razzien dabei ist, warum er die Polizei nicht für rechtsradikal hält und ob er 2027 noch einmal Innenminister werden will.

t-online: Herr Reul, wir erleben in Köln seit Monaten eine Eskalation der Gewalt. Vor wenigen Tagen ist erneut ein Sprengsatz explodiert. Gerät die Lage außer Kontrolle?

Herbert Reul: Das glaube ich nicht, denn die Polizei in Köln macht gute Arbeit. Das hat sie in den vergangenen Monaten bewiesen. Sie hat die Zusammenhänge erkannt, Hintergründe aufgeklärt und mittlerweile 38 Leute verhaftet. Ich bin sicher, wenn es im aktuellen Fall Zusammenhänge gibt, werden diese in kürzester Zeit ermittelt.

Was haben Sie gedacht, als in Köln die erste Bombe hochgegangen ist und dann die zweite und man gemerkt hat: Das hängt zusammen?

Bei der ersten Bombe fand ich es nicht ganz so aufregend, denn so etwas gibt es schon mal. Vielleicht sogar nur ein dummer Jungenstreich. Aber die zeitliche Nähe der weiteren Explosionen machte mich unruhig. Ich habe mich ständig gefragt: Wie sind die Zusammenhänge? Wer steckt dahinter? Und in der ersten Phase war ich auch sehr beunruhigt, ob möglicherweise wirklich Strukturen aus anderen Ländern hier den Markt übernehmen. Nun ist aber klar, dass die Struktur, die das Ganze vorangetrieben hat, aus Köln kommt.

Aber im Kölner Drogenkrieg gibt es schon Verflechtungen in die Niederlande. Haben Sie nicht das Gefühl, dass von dort mehr Drogenkriminalität nach NRW kommt?

Die Faktenlage ist relativ einfach. Die Drogen wurden vertickt und sie kamen aus den Niederlanden. Deutschland ist ein interessanter und großer Markt. Ja, es gibt diese Verbindung. Aber es ist keine strukturelle oder systematische, in der Form, dass eine neue Organisation entstanden ist. Das kann man nicht sagen.

Am Anfang kamen auch Begriffe wie "Mocro-Mafia" auf, eben aufgrund der vermuteten Verbindungen in die Niederlande. War das ein Fehler?

Es war nicht klug, weil es falsch war, aber das weiß man erst im Nachhinein. Und am Anfang versucht man zu strukturieren, bewegt sich im Rahmen der Erfahrungen oder der Erkenntnisse, die man hat. Die Kölner Ermittler haben aber relativ früh schon gesagt: "Seid mal nicht zu schnell, man weiß nicht, was wirklich dahintersteckt."


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"Deutschland ist ein interessanter und großer Markt"


Herbert Reul über die Drogenszene im Land


Allein im Kölner Drogen-Komplex wurden 38 Tatverdächtige gefasst. Zum Großteil junge Männer. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie sehen, dass so junge Menschen schon in schwere Straftaten verstrickt sind?

Die Schwelle zur Gewalt ist deutlich gesunken. Das sieht man auf den Schulhöfen oder beim Fußball in der 3. Liga. Und wenn wir auf die Jugendgewalt in den vergangenen Jahren blicken: Da gab es Minderjährige, die Anschläge geplant haben. Da sind die beiden Mädchen, die eine Schülerin in Freudenberg erstochen haben. Da war der Junge, der einen Obdachlosen niedergestochen hat. Es gibt immer mehr Taten, an denen Kinder oder Jugendliche beteiligt sind und das höchste Maß an Gewalt anwenden. Das ist für mich erschreckend, erschütternd, beunruhigend. Darauf weiß ich noch keine Antwort.

Aber müssten Sie nicht eine Antwort darauf haben?

Ich bin zu alt, um zu glauben, man hätte für alles immer sofort eine Antwort. Ich weiß, dass es nur Stück für Stück geht, mit Teilantworten oder Teilhypothesen. An denen muss man arbeiten, um weitere Taten zu verhindern. Wir arbeiten zum Beispiel an einer besseren Zusammenarbeit von Polizei und Schule, nicht nur bei Verkehrsunterricht und Fahrradfahren, sondern eben auch bei solchen Themen.

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Polizisten stehen vor einem Tatort in Köln. (Quelle: IMAGO/Christoph Hardt/imago)

Was ist der "Kölner Drogenkrieg"?

Seit dem Sommer 2024 erschüttern Explosionen, Schüsse auf Wohnhäuser und Entführungen Köln und weitere Städte in NRW. Auslöser war der Diebstahl von 350 Kilogramm Marihuana aus dem Versteck einer Kölner Drogenbande.

Um den "Verräter" zu finden, ließen die Köpfe der Bände Bomben legen, organisierten Geiselnahmen oder bedrohten selbst die eigenen Leute. Dabei gab es auch Verbindungen in die Niederlande. In Köln sind insgesamt 38 Menschen verhaftet worden, 19 Menschen wurden bisher angeklagt.

Woran kann es denn liegen, dass die Hemmschwelle, Gewalt anzuwenden, so viel geringer ist?

Da bin ich altmodisch. Ich glaube, das hat mit der Erziehung zu tun. Wenn man Gewalt als normal erlebt, beispielsweise im Internet, wenn man sich daran gewöhnt und wenn man nicht gelernt hat, mit Misserfolgen oder Fehlschlägen umzugehen, sondern das immer sofort als Angriff auf die eigene Person empfindet, dann rastet man aus, hat keine Frustrationstoleranz. Dann wundert mich gar nichts.


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"Wenn man Gewalt als normal erlebt, dann rastet man aus, hat keine Frustrationstoleranz"


Herbert Reul über die gesunkene Schwelle für Gewaltanwendung


Die Kölner Drogenprozesse belasten die Strafverfolgungsbehörden ungemein. Zeugen werden per Hubschrauber eingeflogen, Angeklagte mit Sicherheitstransporten durch das ganze Bundesland gefahren. Ist dieser Aufwand gerechtfertigt?

Ja, der Rechtsstaat ist aufwendig und teuer. Wenn man ihn nicht haben will, dann ist es teurer, weil die Demokratie futsch ist. Natürlich finde ich das aufwendig und manchmal fragt man sich auch, muss das sein? Meine Antwort ist: Offensichtlich muss es das.

Inwiefern unterscheidet sich die Kölner Drogenbande von Gruppierungen, die Sie in den vergangenen Jahren enttarnt haben?

Es ist die Art der Gewaltausübung. Die ist schon auffällig. Also dieses Bombenlegen scheint jetzt neu in Mode gekommen zu sein. Genau wie Messer plötzlich in Mode sind. Messertäter haben wir jetzt plötzlich viele. Das kann sogar damit zusammenhängen, dass darüber viel berichtet wird und Nachahmer so angespornt werden.

Im Kölner Drogenkrieg ging es um 700 Kilogramm Cannabis. Wäre eine Ausweitung der Legalisierung nicht doch hilfreich, um solche Taten zu verhindern?

Ich glaube nicht. Wenn man etwas erlaubt, dann hat man zwar in der Kriminalstatistik einen Fall weniger, aber die Sache selbst findet weiter statt. Zweitens glaube ich nicht daran, dass Menschen, die ihr Geld mit Drogen verdienen, dann einfach damit aufhören. Ich habe bisher nicht erlebt, dass eine schlechte Sache dadurch besser wird, dass man sie allen erlaubt.

Ihr Koalitionspartner sieht das aber anders.

Das ist auch schön, das ist eine andere Partei. Wäre ja komisch, wenn wir alle der gleichen Meinung wären.

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Das stimmt, aber Sie müssen ja mit ihm zusammenarbeiten.

Man muss nicht bei jeder Frage einer Meinung sein, um bei den wichtigen Fragen gut zusammenzuarbeiten und Lösungen zu finden. Genau das ist die Herausforderung, die im Moment ansteht. Die Mitte muss sich zusammenraufen können und an pragmatischen und vernünftigen Lösungen arbeiten. Das ist Demokratie. Und das hat uns Jahrzehnte Ruhe und Frieden und Wohlstand gebracht.


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"Köln ist schwer regierbar"


Herbert Reul über Komplizierte Mehrheiten im Stadtrat


Ein Dauerthema in Köln ist auch die Lage am Ebertplatz. Den wollen Sie "zuschütten", haben Sie mal gesagt. Ist der Platz denn noch zu retten?

Ich bin kein Architekt, kein Traumtänzer und auch kein Zukunftsmaler. Ich würde mir nur wünschen, dass Köln zügiger entscheidet, was aus dem Platz mal wird. Köln ist schwer regierbar. Vielleicht sind von daher kleine Maßnahmen besser als eine große. Wir haben ja gemerkt, dass viele kleine Maßnahmen, wie Feste oder der Brunnen, Wirkung gezeigt haben.

Jetzt sind mehrere Eingänge verschlossen worden.

Vielleicht geht das nur Schritt für Schritt. Je mehr dunkle Ecken du hast, desto größer ist das Risiko. Und der Ebertplatz ist ein ganzes Labyrinth von dunklen Ecken.

Und am Ebertplatz ist genügend Polizei im Einsatz?

Meine Leute sagen, sie hätten da genug. Am Wiener Platz in Mülheim probieren sie jetzt ein neues Konzept aus, wo sie verstärkt dieselben Beamten einsetzen. Einfach, weil die Menschen vor Ort die Polizisten dann besser kennen.

Und generell: Haben wir genügend Polizisten in NRW?

Wir haben nie genügend Polizei, aber wir werden auch nie so viele Polizisten haben, wie man haben müsste. Nie. Es ist aber auch sinnlos zu glauben, man könne an jede Stelle, wo mal irgendwas passieren könnte, Polizisten hinstellen. Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Deshalb kommt es darauf an, die Polizisten, die man hat, klug und sinnvoll einzusetzen. Dennoch versuchen wir, die Anzahl der Polizisten stetig zu vergrößern. Und das klappt ganz gut.

Für viele Menschen in NRW ist die steigende Messergewalt ein Problem. 2024 gab es knapp 20 Prozent mehr Taten mit Messern als im Jahr davor. Wie wollen Sie das in den Griff bekommen?

Für kein Problem gibt es nur eine Lösung. Das heißt, man muss mehrere Schritte gehen, mehrere Mosaiksteine zusammenbauen. Bei den Messern ist es schon kompliziert. Die Verbotszonen sind ein Instrument. Ich finde das intelligenter als generelles Verbot, weil man das dann wenigstens kontrollieren kann. Wir haben mit Messern auch nicht überall Probleme, sondern immer da, wo Menschenansammlungen sind und wo gefeiert wird.

Aber reicht das aus?

Die Menschen, die mit einem Messer unterwegs sind, müssen kapieren, dass das hier nicht gebraucht wird. Ich glaube nicht, dass jeder, der mit einem Messer herumrennt, das tut, weil er die Absicht hat: "Ich steche da einen ab." Es wird ein paar Menschen geben, die haben es dabei, weil es schick ist, weil es männlich ist. Es wird ein paar geben, die haben es dabei, weil sie es so gelernt haben. Weil es für sie Rettung und Überlebensgarantie ist.


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"Es wird ein paar geben, die ein Messer dabeihaben, weil es schick und männlich ist"


Herbert Reul über Messergewalt in NRW


Neben der Polizeiarbeit draußen, welche Probleme sehen Sie innerhalb des Apparats?

Diese vielen jungen Leute, die wir einstellen, und die mangelnde Bereitschaft der Gewerkschaften, dass die Älteren länger arbeiten dürfen, führt dazu, dass wir immer mehr Junge haben. Das ist nicht ungefährlich. Wir brauchen ein paar Leute mit Erfahrung, die aufpassen. Wir brauchen ein paar Führungs- oder Vorbildfunktionsleute. Und das ist für mich eine große Herausforderung. Wie kann ich das strukturell so organisieren, dass da nichts anbrennt? Denn wenn einer aus dieser heilen Abi-Welt kommt und dann jeden Abend nach Duisburg-Marxloh muss, wird er das nicht unbeschadet überstehen. Da muss aufgepasst werden, da muss man rechtzeitig weggeholt werden. Da muss man Leute haben, die einen abends mal zur Seite nehmen.

Und in die rechte Ecke begleiten?

Ich habe nie verstanden, dass die Leute sagen, die Polizei ist rassistisch, rechtsradikal. Es kann im Einzelfall ein Problem werden, wenn wir nicht aufpassen. Aber nicht, weil es automatisch so passieren muss. Die Risikofaktoren sind vor allem in Großstädten groß. Dort treffen die Polizisten jeden Abend auf bestimmte Leute. Und das ist in der Regel nicht der iranische Zahnarzt.

Sie nehmen häufig öffentlichkeitswirksam an Razzien oder Polizei-Großeinsätzen teil. Wieso machen Sie das?

Ich möchte wissen, was wirklich los ist und mir nicht nur von Leuten etwas erzählen lassen. Zweitens möchte ich meinen Leuten sagen: Ihr seid da nicht allein, wenn ihr unterwegs seid. Meine ersten Aktionen dieser Art waren in Köln in der Silvesternacht. Das war anstrengend, an Silvester zu sagen: Ich bin nicht zu Hause, sondern dort. Das waren bestimmt fünf oder sechs Jahre in Folge. Das war ein wahnsinnig wichtiges Symbol für die Öffentlichkeit. Und die Polizisten waren stolz wie Bolle und fanden das toll und hatten einfach das Gefühl: Der lässt uns nicht allein.


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"Wenn wir gewinnen, muss Herr Wüst entscheiden, mit welcher Mannschaft wir antreten. Da kann er mich fragen"


Herbert Reul über Seine Zukunft nach dem Jahr 2027


Was hat Ihre Frau dazu gesagt, dass Sie erst zwischen zwei und drei Uhr nach Hause kamen?

Super Idee! (lacht) Nein, die kennt mich schon. Ich war schon immer so. Als wir uns kennengelernt haben, da war ich schon so. Und sie hat das alles mitgetragen, mitgestaltet und wahnsinnig viel auf ihre Kappe genommen. Und das ist unbezahlbar.

Sie wirken wie ein Mann, der politisch noch einiges vorhat. Sie sind 72 Jahre alt. Möchten Sie noch einmal für eine weitere Amtszeit antreten?

Ich habe einen Fünfjahresvertrag, der läuft 2027 aus. Dann kommt der Wähler und entscheidet, wie es weitergeht. Wenn wir gewinnen, muss Herr Wüst entscheiden, mit welcher Mannschaft wir antreten. Da kann er mich fragen. Erst dann überlege ich es mir, ob ich meine, es wäre klug oder besser nicht. Keinen Tag vorher.

"Die Zeit" hat Ihnen mal den Spitznamen "Dirty Herby" gegeben. Was halten Sie davon?

Ich weiß nicht, was die damit meinen. Also, es wenn schmutzig oder dreckig heißt, dann würde ich sagen: Das bin ich nicht, ich dusche mich.

Vermutlich ist es eine Anspielung auf den Film "Dirty Harry" mit Clint Eastwood, der einen unkonventionellen Ermittler verkörpert.

Ich mache mir über meine Spitznamen keine Gedanken. In Brüssel haben sie mich "Atom-Herbert" genannt, weil ich für die Kernenergie war und bin. Ich möchte eigentlich nur ein Stück dazu beitragen, dass sich Menschen sicherer fühlen und dadurch wieder ein wenig mehr Vertrauen in den Staat bekommen und die Typen rechts und links keine Chance haben. Darum geht es mir. Ich habe drei Töchter, ich habe drei Enkel, das können wir doch nicht kampflos zulassen. Ich habe jetzt eine Chance zu helfen, und das mache ich. Und im Moment zeigt mir mein Weg, der sehr zurückhaltend ist, und der auch nicht nur Erfolge hat, dass Menschen mir vertrauen. Vertrauen in die Arbeit des Staates zurückholen. Das will ich.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Herbert Reul
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