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Immer mehr Hepatitis-E-Fälle: Die unterschätzte Gefahr in der Wurst


Die unterschätzte Gefahr in unserer Wurst

Von Boris Kartheuser

Aktualisiert am 22.02.2019Lesedauer: 6 Min.
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Ein Leberwurstbrot: Bei Leber- und Mettwurst aus Schweinefleisch besteht die Gefahr, dass Hepatitis-Erreger enthalten sein könnten.Vergrößern des Bildes
Ein Leberwurstbrot: Bei Leber- und Mettwurst aus Schweinefleisch besteht die Gefahr, dass Hepatitis-Erreger enthalten sein könnten. (Quelle: imago-images-bilder)

In Deutschland ist es kaum bekannt: Brat- und Leberwurst können zur Hepatitis-E-Infektion führen. Und noch ein weiteres Übertragungsrisiko wird bislang ignoriert. Die Details.

Es ist ein Erreger, der weit verbreitet ist, schwere Folgen haben kann – und kaum bekannt ist: Etwa 400.000 Deutsche kommen jedes Jahr mit dem Hepatitis-E-Erreger in Kontakt. Seitdem die Behörden 2001 begonnen haben, Infektionen zu erfassen, steigen die Fallzahlen unaufhörlich. Was bislang kaum bekannt ist: Der Erreger steckt auch in Schweinefleisch und Blutkonserven. Trotzdem wurde in Deutschland jahrelang wenig zum Schutz der Verbraucher getan. Nur bei Blutkonserven ändert sich das gerade.

An einer Leberentzündung erkrankt zwar nur ein geringer Prozentsatz der Menschen, die mit dem Erreger in Kontakt kommen. Doch wen es erwischt, dem drohen wochenlang Übelkeit und starke Bauchschmerzen. In schlimmen Fällen ist auch ein akutes Versagen der Leber möglich, es kann zu schweren Komplikationen kommen.

Fallzahlen haben sich seit 2004 Zahlen versechzigfacht

Weltweit sterben etwa 70.000 Menschen pro Jahr an verschiedenen Varianten von Hepatitis E, die meisten in Asien, Afrika und Zentralamerika. Doch auch in Deutschland sind seit 2001 mehr als 40 Todesfälle bekannt. Zum Vergleich: An der seinerzeit medial omnipräsenten Creutzfeldt-Jacob-Krankheit ist bislang in Deutschland kein einziger Mensch erkrankt. Hepatitis E ist also weitaus gefährlicher.

2004 wurden lediglich 53 Infektionen gemeldet, seither ist die Zahl auf 2.949 Fälle im vergangenen Jahr explodiert. Zum einen erklären Experten das tatsächlich mit einer Zunahme von Krankheitsfällen. Zum anderen liegt die höhere Zahl auch an der gestiegenen Aufmerksamkeit der behandelnden Ärzte.

Besonders gefährdet sind Schwangere und Patienten, die bereits eine Lebererkrankung haben. Hier kann es sogar in bis zu 20 Prozent der Erkrankungen zu Todesfällen kommen.

Befund in jeder fünften Wurst

In Industrieländern wie Deutschland stecken sich Menschen vor allem beim herzhaften Biss ins Brot mit Leber- oder Mettwurst aus Schwein oder in anderes unzureichend gegartes Schweine- und Wildfleisch an. Nach Zahlen des Robert Koch-Instituts macht etwa jedes zweite Mastschwein in Deutschland im Laufe der Aufzucht eine Infektion mit Hepatitis E durch. Und auch, wenn die meisten Tiere zum Schlachtzeitpunkt die Erkrankung überstanden haben, bleibt ein Restrisiko.

Im britischen Blätterwald rauschte es im Sommer 2017, als die nationale Gesundheitsagentur Public Health England die Ursache für die Infektion erkrankter Briten ausgemacht hatte: Bratwurst einer Supermarktkette war verantwortlich, hergestellt aus dem Fleisch von Schweinen aus der EU, vor allem aus Deutschland und den Niederlanden. "Brexit-Virus" nannten die Boulevard-Medien das.

Einen Eindruck der Dimension vermittelt ein Test des Bundesamts für Risikobewertung (BfR). 2015 untersuchten die Experten 70 Rohwürste, also etwa frische Mettwurst, und 50 Leberwürste aus dem Handel. Das erschreckende Ergebnis: Etwa jede fünfte Wurst beider Sorten enthielt den Hepatitis-E-Erreger.

Schlachtereien müssen nicht testen

"Das zeigt, dass das Virus offensichtlich von infizierten Tieren über die Schlachtung in die Wurstwaren gelangen kann", erläutert Prof. Reimar Johne von der Fachgruppe Lebensmittelhygiene und -virologie am BfR t-online.de. Seit diesen Befunden wird verstärkt dazu geforscht, wie infektiös die Erreger sind und welchen Einfluss neben Temperatur auch Faktoren wie pH-Wert oder Salzgehalt haben.

Schlachtereien sind nicht gesetzlich verpflichtet, ihre Produkte auf das Virus zu untersuchen. Tönnies, der deutschlandweit größte Schlachter von Schweinen, spricht gegenüber t-online.de von stichprobenartigen Untersuchungen des Schweinebluts auf Hepatitis E. "Eine gesetzliche Verpflichtung gibt es dazu nicht, wir tun dies aus Gründen der Qualitätssicherung", so Unternehmenssprecher André Vielstädte.

Wie oft und in welchem Umfang der Konzern tatsächlich kontrolliert, möchte er nicht mitteilen. Auch nicht, wie viele der getesteten Tiere Hepatitis E aufweisen. Der Grund für die fehlende systematische Untersuchung dürfte vor allem an den Kosten liegen.

Landwirtschaftsministerium: Kein geeigneter Test

So teilt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft auf Anfrage mit: "Ein praxistaugliches, kostengünstiges Nachweisverfahren für das Hepatitis-E-Virus, mit dem innerhalb einer kurzen Zeitspanne in Schlachthöfen HEV im Fleisch nachgewiesen werden kann, existiert derzeit nicht." Und dabei belässt es der Gesetzgeber dann auch.

Amtstierärzte beklagen sich zudem seit Jahren, dass ihnen kaum Zeit für umfassende Kontrollen geschlachteter Tiere bleibe. Der niedersächsische Landesverband der Fleischkontrolleure erklärte 2015 gar: "Wir lehnen jede Verantwortung ab." Etwa 1.200 bis 1.400 Schweinehälften ziehen pro Stunde an den Fleischbeschauern vorbei, wie Recherchen des NDR dokumentieren.

Leberhilfe: Bei Tests würde Fleisch für Verbraucher zu teuer

Möglich machte das eine EU-Richtlinie, die seit 2014 eine rein visuelle Beschau des Fleisches zulässt. Dabei sind kranke Tiere äußerlich nicht von gesunden zu unterscheiden. Um sicherzugehen, bleibt Verbrauchern entsprechend nichts anderes, als komplett auf Innereien und Wildschweinfleisch zu verzichten.

Auf die Verantwortung der Verbraucher verweist auch die Deutsche Leberhilfe e.V. : "Wenn man jedes Schwein einige Tage vor der Schlachtung mit einem PCR-Test auf Hepatitis E untersuchen würde, würde dies erhebliche logistische Herausforderungen bedeuten." Die Kosten für hiesiges Schweinefleisch würden steigen, während Fleischprodukte aus anderen Ländern ohne entsprechende Testung weitaus preisgünstiger wären. "Und die würden dann von vielen Verbrauchern vermutlich eher gekauft", so die Leberhilfe.

Sieben bestätigte Übertragungen durch Bluttransfusionen

Ähnlich problematisch wie die fehlende Kontrolle von Produkten aus Schweinefleisch ist die fehlende Kontrolle von Spenderblut und Plasma auf Hepatitis E. Wie ein Bericht des Paul-Ehrlich-Instituts zeigt, gab es allein von 2012 bis 2015 sieben bestätigte Transfusionsübertragungen. Bereits stark geschwächte Patienten erhielten mit der Blutübertragung in erheblichem Maße lebensgefährliche Krankheitserreger.

Erst Ende September 2019 wird eine Regelung in Kraft treten, die das Testen von Blutspenden auf Hepatitis E erfordert. "Wir hätten uns dies früher gewünscht", kritisiert ein Sprecher der Deutschen Leberhilfe e.V. gegenüber unserer Redaktion "Damit hätten Hepatitis-E-Infektionen und zum Teil schwere Verläufe vermieden werden können." Gerade der Schutz von schwer erkrankten Patienten, die Blutprodukte erhalten müssen, sei von hoher Bedeutung.

Jede zehnte Plasmaspende ist belastet

Hinweise auf ein Risiko gibt es auch hier seit Jahren: Schon 2008 vermerkte der beim Robert Koch-Institut angesiedelte Arbeitskreis Blut, dass die "Übertragung von Hepatitis durch Blutprodukte nicht hinreichend untersucht ist". 2011 fanden Forscher heraus, dass etwa 10 Prozent aller Plasmaspenden in Deutschland Hepatitis E enthalten. Eine andere Untersuchung zeigt, dass bei Patienten mit Immunschwäche, die sich mit Hepatitis E infizierten, ein Drittel der Infektionen über Blutprodukte stattgefunden hatte.

Länder wie Irland sind bereits vor Jahren dazu übergegangen, Blutprodukte zu untersuchen. Nicht so Deutschland. Hier gilt noch, was der Arbeitskreis 2015 festgehalten hat: Eine Testung aller Blutspenden sei zwar grundsätzlich möglich. Sie werde aber für Menschen mit funktionierendem Immunsystem nicht für notwendig erachtet.

Das Bundesgesundheitsministerium verteidigt auf Anfrage von t-online.de die Empfehlungen des Arbeitskreises Blut: Er habe "auf Grundlage jeweils aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse und verfügbarer Daten ausführliche wissenschaftlich fundierte Stellungnahmen erarbeitet und eine Bewertung der Situation in Deutschland erstellt." Insofern erscheine das Vorgehen des AK-Blutes angemessen.

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Gesundheitsministeriums: Tests hätten zu Engpässen geführt

Mehr noch, eine potenziell in der Vergangenheit eingeführte "umfassende Spendertestung hätte bei allen betroffenen Blutspendeeinrichtungen zu organisatorischen Problemen und bei einigen Einrichtungen zu Versorgungsengpässen mit lebenswichtigen Blutprodukten geführt", so das Ministerium.

Eine Sorge, die andere Länder nicht teilen: Irland testet bereits seit 2016 alle Blutspenden, die Schweiz folgt in diesem Jahr. Und auch am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf ziehen die Test keine organisatorischen Probleme und Versorgungsengpässe nach sich.

Hamburger Klinik testet im Alleingang

Dort werden seit Oktober 2016 alle Blutspenden auf das Hepatitis-E-Virus getestet. Sven Pischke, Experte am dortigen Medizinischen Versorgungszentrum Leber- und Nierentransplantation, ist von diesem Schritt überzeugt: "Es hat sich gezeigt, dass eines von 800 Blutprodukten mit dem Hepatitis-E-Virus infiziert ist. Somit kann man die Relevanz für Deutschland abschätzen."

Zur Eindämmung der Krankheit benötigt es seiner Ansicht nach eines weiteren Schrittes. Die Krankenkassen sollten Kosten für den sogenannten PCR-Test übernehmen. Der zeigt, ob ein auffälliger Patient aktuell mit dem Virus infiziert ist.

Das Hepatitis-ABCDE
Derzeit sind fünf Hepatitis-Erreger bekannt: A, B, C, D, E. Die Erreger rufen unterschiedlich schwere Leberentzündungen hervor, die spontan ausheilen oder chronische Verläufe nehmen können. In manchen Fällen versagt das infizierte Organ. Dann kann nur noch eine Transplantation helfen. Auch wenn es so klingt: Die Erreger sind nicht miteinander verwandt.
Gegen Hepatitis A, B und D ist eine Impfung möglich. Bei der A-Variante empfiehlt sie sich für Reisen in Länder mit großer Verbreitung, wo die Infektion überwiegend über Nahrung oder Wasser erfolgt. Meist bleibt es bei Fieber oder einer "Gelbsucht", nur selten kommt es zu Leberversagen. Hepatitis B wird für 80 Prozent aller Leberkrebsfälle verantwortlich gemacht, es ist über Körperflüssigkeiten hochansteckend. Geschätzt wird, dass von 400.000 bis 500.000 chronisch Kranken in Deutschland der Großteil nichts davon weiß. Eine chronische Entzündung kann zu Leberzirrhose und Leberkrebs führen. Aus Hepatitis B kann sich Hepatitis D entwickeln, die schwerwiegendste Form, bei der schnell eine Leberzirrhose droht. Eine Behandlung schlägt oft nicht an. Bei Hepatitis C droht Ansteckung in erster Linie durch benutzte Injektionsnadeln, unsterile Tätowiernadeln oder Rasiermesser. Bei einer Infektion treten zunächst oft keine Symptome auf, chronische Entzündungen sind aber häufig mit drohender Leberzirrhose und in selteneren Fällen mit Leberkrebs verbunden.

Nur einige wenige Labore bieten diese Untersuchung an, obwohl sie damit einen finanziellen Verlust machen. "Dadurch wird die Erkrankung nach wie vor zu selten erkannt", so Pischke. Und fordert: "Um Hepatitis-E-Infektionen einzudämmen, müssten den Laboren die Kosten für die PCR-Testung regelhaft erstattet werden." Ein solcher Schritt ist derzeit nicht in Sicht.

  • Hepatitis und Gelbsucht: Symptome der Leberentzündung


Eine schnelle Lösung durch eine Impfung ist auch nicht zu erwarten. Einen Impfstoff gibt es bislang nur in China, der aber nur gegen einen anderen Genomtyp hilft und in Deutschland nicht zugelassen ist. "Derzeit tendiert das Interesse der Pharmafirmen an der Erforschung eines solchen Impfstoffes gegen Null", so die Deutsche Leberhilfe. "Und selbst wenn Firmen nun anfangen würden, aktiv zu forschen, würde es viele Jahre dauern, bis dann tatsächlich ein verträglicher und wirksamer Impfstoff gefunden, getestet und auf dem Markt ist."

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
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