Darmkrebs mit 44: "Mein Bezug zum Leben hat sich verΓ€ndert"
Der GesprΓ€chspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. AnschlieΓend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Vor einem Jahr erfuhr Esther M., dass sie Darmkrebs hat. Damals war die freischaffende Grafikerin, die mit ihrer Familie in Rodgau lebt, gerade einmal 44 Jahre alt.
Die Diagnose erhielt Esther M. am 15. Dezember 2021 nach einer Darmspiegelung. Ihr Arzt hatte ihr nach einer Thrombose dazu geraten. Die Aufnahmen zeigten, dass sich ein groΓer Tumor im Darm gebildet hatte. Eine Operation wurde kurzfristig angesetzt. Zwei Drittel des Dickdarms wurden dabei entfernt. Im Interview mit t-online erzΓ€hlt die zweifache Mutter, wie es ihr heute geht und wie der Krebs ihr Leben verΓ€ndert hat.
t-online: Was haben Sie empfunden, als Sie die Diagnose erhalten haben?
Esther M.: Ich war noch etwas benommen von der Narkose, die ich fΓΌr die Darmspiegelung bekommen hatte. Trotzdem habe ich in den Blicken der Γrzte gemerkt, dass etwas nicht stimmt. ZunΓ€chst wollte man mir nichts sagen. Als ich trotzdem darauf bestanden habe, teilte man mir die Schockdiagnose mit: Ich hatte einen ziemlich groΓen Tumor im Darm, der zu 80 Prozent bΓΆsartig war. Er war schon so groΓ, dass der Darm kurz vor dem Verschluss stand und die Darmspiegelung gar nicht zu Ende gebracht werden konnte.
Was passierte dann?
Es folgten viele Untersuchungen und ein zeitnaher OP-Termin wurde festgesetzt. Ich konnte zum GlΓΌck aber Weihnachten noch mit meiner Familie feiern, was mir sehr gutgetan hat. Am 27. Dezember wurde mir dann der Tumor mit zwei Dritteln des Dickdarms entfernt. Die OP dauerte siebeneinhalb Stunden.
Was war Ihr erster Gedanke, als Sie aus der Narkose aufwachten?
Ich tastete erst einmal meinen Bauch ab, um zu sehen, ob ein kΓΌnstlicher Ausgang (Stoma) gesetzt wurde. Davor hatte ich am meisten Angst. Das war aber nicht der Fall und ich war sehr erleichtert. Im GesprΓ€ch mit dem Chefarzt erfuhr ich, dass der Tumor komplett entfernt werden konnte, zusammen mit 93 Lymphknoten. Die wurden aber erst einmal zur pathologischen Untersuchung geschickt.
Wie ging es nach der OP weiter?
Ich musste tagelang liegen und konnte nur wenig Nahrung in Form von Brei oder Suppen zu mir nehmen. Trotz einer guten medikamentΓΆsen Versorgung durch eine im RΓΌckenmark liegende PDK-Schmerzpumpe, Infusionen und Tabletten hatte ich starke Schmerzen und groΓe Probleme mit der Verdauung.
Wegen der Corona-SchutzmaΓnahmen konnte ich leider nur alle drei bis vier Tage Besuch empfangen und das auch nur von meinem Mann. Silvester verbrachte ich allein in der Klinik mit meiner 94-jΓ€hrigen Bettnachbarin, die sich in dieser Zeit rΓΌhrend um mich gekΓΌmmert hat.
Konnte der Tumor rechtzeitig entfernt werden?
Der Tumor konnte komplett entfernt werden und war noch nicht ΓΌber die Darmwand hinaus gewachsen. Auch alle 93 Lymphknoten waren krebsfrei. Als mir der Arzt diesen Befund mitteilte, hatten wir beide TrΓ€nen in den Augen. Unfassbar, was fΓΌr ein GlΓΌck ich bei dieser TumorgrΓΆΓe hatte!
War eine Chemotherapie notwendig?
Das war am Anfang nicht ganz klar. Die Γrzte waren sich nicht einig darΓΌber, ob eine Chemotherapie nicht doch die beste Absicherung dafΓΌr sei, dass der Krebs nicht wiederkommt.
Waren Sie damit nicht ΓΌberfordert?
Definitiv. Die Tatsache, dass ich alleine ΓΌber eine Chemo entscheiden sollte, ΓΌberforderte und belastete mich mehr als alles andere. Aber zunΓ€chst ging ich in die onkologische Reha nach Bad Kreuznach, denn ich war zu diesem Zeitpunkt kΓΆrperlich nicht in der Lage, eine eventuelle Chemotherapie durchzustehen. Ich hatte nach Entlassung aus dem Krankenhaus ΓΌber 20 Kilo Gewicht verloren, konnte kaum selbststΓ€ndig laufen, mich anziehen und meinen Alltag bewΓ€ltigen.
Wie verlief die Reha?
Am Anfang war ich kΓΆrperlich ein Wrack. Durch den Krankenhausaufenthalt und das viele Liegen hatten sich meine Muskeln zurΓΌckgebildet. Hinzu kam mein starker Gewichtsverlust. Am Anfang konnte ich nur wenige Schritte ohne Rollator laufen. Doch mein kΓΆrperlicher Zustand verbesserte sich schnell. Bewegung und Sport, aber auch die Kunsttherapie taten mir sehr gut. Ebenso die GesprΓ€che mit Therapeuten, Γrzten und anderen Patienten. Und ich hatte ein konkretes Ziel, auf das ich hinarbeitete.
Welches war das?
Ich wollte im Mai mit meiner Giesemer Tanzgruppe "MOMS" auf der BΓΌhne stehen und mittanzen. Das teilte ich auch meinem Arzt in der Reha mit. Seinem Blick nach zu urteilen, glaubte er aber definitiv nicht daran. Dennoch arbeitete ich hart an mir, meinem Muskelaufbau und gegen alle Schmerzen. Ich wollte mein Ziel unbedingt erreichen.
Hat es geklappt?
Ja. Als ich im Mai auf der BΓΌhne stand, war ich kΓΆrperlich wieder fit und konnte super mittanzen. Da war kein Unterschied zu den anderen TΓ€nzerinnen, was echt unglaublich war. Es war ein fantastisches GefΓΌhl, wieder mit dabei sein zu kΓΆnnen. Mental hat mich das Ganze sehr gestΓ€rkt und stolz gemacht.
Und die Chemotherapie?
Ich war lange Zeit hin- und hergerissen. Ein GesprΓ€ch mit einer Onkologin aus der Reha brachte dann Klarheit. Die Γrztin hatte sich mit einem Professor am Tumorzentrum der Uniklinik Heidelberg beraten. Sie hat mein BauchgefΓΌhl sehr ernst genommen, auf die Chemotherapie besser zu verzichten. Ich hatte Angst, die Chemotherapie kΓΆnnte meine gesunden Zellen zerstΓΆren und mich schwΓ€chen, um selbst gegen womΓΆglich kleine Krebszellen im KΓΆrper anzukΓ€mpfen.
Was rieten Ihnen die beiden Experten?
Sie waren der Meinung, dass es besser sei, keine Chemotherapie zu machen. Mir fiel ein Stein vom Herzen, da sich so mein BauchgefΓΌhl bestΓ€tigte. Zuvor hatte sich keiner der Γrzte getraut, das offen auszusprechen. Ich verzichtete also auf eine Chemo.
Sie sind ungewΓΆhnlich jung fΓΌr eine Darmkrebspatientin. Haben Sie sich jemals gefragt: "Warum ich?"
Nein. Ich habe nie mit dem Schicksal gehadert, sondern habe es angenommen. Die Frage nach dem "Warum" hΓ€tte mich in keiner Weise weitergebracht. Eigentlich hatte ich ja GlΓΌck. WΓ€re der Tumor nicht entdeckt und entfernt worden, wΓ€re der Darm vielleicht nur zwei Wochen spΓ€ter geplatzt. Dann hΓ€tten sich die Krebszellen in meinem KΓΆrper verteilt. Das wΓ€re mein Todesurteil gewesen.
Gibt es eine ErklΓ€rung, warum Sie so frΓΌh Krebs bekommen haben?
Nein. Ich bin laut meinen Γrzten eine Art Pechbefund. Risikofaktoren gibt es keine. Wir haben keinen Krebs in der Familie, ich habe immer Sport gemacht, bin nicht ΓΌbergewichtig und habe mich relativ gesund ernΓ€hrt.
Ihr Umgang mit der Krankheit ist sehr offen. Wie schaffen Sie das?
Das ist wohl eine Typfrage. Ich habe von Anfang an ΓΌber meinen Krebs gesprochen, habe die Krankheit nie geleugnet oder mich versteckt. Offenheit bewahrt davor, sich in ein Schneckenhaus zurΓΌckzuziehen. KΓ€mpfen, Akzeptieren und das Beste aus der Situation machen: Das ist mir wichtig, auch bei vielen anderen Dingen im Leben.
Hat der Krebs Sie verΓ€ndert?
Zu 100 Prozent. Mein Bezug zum Leben hat sich positiv verΓ€ndert. Ich lebe intensiver und versuche Dinge, die mir wichtig sind, nicht aufzuschieben. "Einfach machen" ist meine Devise. Leben und genieΓen. AuΓerdem habe ich die Liebe zum Ausdauersport entdeckt, ich laufe sehr viel, mache zweimal wΓΆchentlich Reha-Sport und mein absolutes Highlight ist Qigong. Das gibt mir alles so viel Energie und stΓ€rkt mich mental ungemein. Ich fΓΌhle mich fitter als vor der Erkrankung.
Warum ist kΓΆrperliche AktivitΓ€t so wichtig?
Bewegung wird grundsΓ€tzlich allen Krebspatienten ans Herz gelegt, um fit zu bleiben und das Risiko eines Rezidivs zu minimieren. Aber es gibt auch mental sehr viel Kraft, das Leben zu genieΓen. Ohne meinen ganzen Sport kann ich es mir echt nicht mehr vorstellen. Das gehΓΆrt jetzt zu meinem Leben mehr denn je dazu.
Gibt es kΓΆrperliche EinschrΓ€nkungen, mit denen Sie bis heute zu kΓ€mpfen haben?
Anfangs hatte ich viele Probleme mit der Verdauung. Ich hatte Schmerzen, Dauer-DurchfΓ€lle und BlΓ€hungen. Das hat sich mit der Zeit jedoch stark verbessert. Doch viele Lebensmittel vertrage ich nicht mehr. Fettiges Essen, sΓΌΓe Desserts, Alkohol und GetrΓ€nke mit KohlensΓ€ure sind fΓΌr mich tabu. Ich finde es wichtig, offen ΓΌber dieses Thema zu sprechen und andere hierfΓΌr zu sensibilisieren. Mittlerweile habe ich mich zu einer ausgefuchsten KΓΆchin entwickelt und experimentiere gern auch mal. Denn der KΓΆrper entwickelt sich weiter und der Restdarm lernt dazu. Was wichtig ist: Nie aufgeben, immer weiter an sich und seinen KΓΆrper glauben.
Haben Sie Angst, dass der Krebs wiederkommt?
Nein. Ich gehe zu den Nachuntersuchungen, um die BestΓ€tigung zu bekommen, dass alles in Ordnung ist und mache mir keine Gedanken, bis das Ergebnis da ist. Angst ist keine Option. Vertrauen ist die stillste Form von Mut. Vertrauen in mich, meine Gesundheit, meine Γrzte und Behandlung.
Sie engagieren sich privat fΓΌr die Krebsvorsorge. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Ich mΓΆchte Menschen mein Schicksal ersparen. Darmkrebs tut am Anfang nicht weh und zeigt keine Symptome. Ich hatte keine Probleme, war vom Alter noch lange nicht mit der Krebsvorsorge dran, hatte einfach nur GlΓΌck, dass ein Arzt infolge einer Thrombose auf eine Darmspiegelung bestanden hatte. Dieses GlΓΌck haben andere nicht. Aber ab 50 Jahren zahlen die Krankenkassen diese Krebsvorsorge. Diese Chance der KrebsfrΓΌherkennung sollte man nutzen.
Wichtig zu wissen:
Alle gesetzlichen Krankenkassen verschicken an ihre Versicherten Einladungen zur Teilnahme an Untersuchungen zur Vorsorge von Darmkrebs, wenn sie das entsprechende Alter erreicht haben. Darin informieren die Kassen ΓΌber die MΓΆglichkeiten der Darmkrebsvorsorge (sogenanntes Darmkrebs-Screening). Dies geschieht unabhΓ€ngig davon, ob Sie bereits an einer FrΓΌherkennung teilgenommen haben oder nicht.
Dennoch scheuen sich viele vor einer Darmspiegelung.
Die Angst ist unbegrΓΌndet. Man merkt wirklich nichts, nur das AbfΓΌhren davor ist etwas unangenehm. Doch die Untersuchung ist wichtig. Sie hilft, einen Tumor frΓΌh zu erkennen, wenn er noch heilbar ist.
Bei Krebs ist oft von Kampf die Rede. Wie empfinden Sie das?
Ich bin kein klassischer KrebskΓ€mpfer. Ich sehe mich eher als "die, die mit dem Krebs tanzt". Denn Leben heiΓt, nicht zu warten, bis der Sturm vorΓΌber ist, sondern lernen, im Regen zu tanzen. Das ist mein absoluter Lieblingsspruch, der mich positiv bestΓ€rkt.
Vielen Dank fΓΌr das GesprΓ€ch, Frau M.!
- Interview