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Postfaschisten in Italien vor Wahlerfolg: Wie konnte es so weit kommen?


Postfaschisten in Italien vor Wahlerfolg
Wie konnte es so weit kommen?

MeinungVon Nino Galetti, Konrad-Adenauer-Stiftung

Aktualisiert am 25.09.2022Lesedauer: 4 Min.
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Anhänger des rechten Bündnisses bei der Abschlussveranstaltung am Donnerstag: Auf dem Plakat prankt übergroß das Gesicht der Spitzenkandidatin der Fratelli d'Italia, Giorgia Meloni.Vergrößern des Bildes
Anhänger des rechten Bündnisses bei der Abschlussveranstaltung am Donnerstag: Auf dem Plakat prankt übergroß das Gesicht der Spitzenkandidatin der Fratelli d'Italia, Giorgia Meloni. (Quelle: Vincenzo Nuzzolese/imago images)

In Italien gewinnen laut einer Prognose die postfaschistischen Fratelli d'Italia die Wahl. Das liegt nicht nur an ihnen selbst.

In Italien werden an diesem Sonntag voraussichtlich die nationalistischen Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) mit ihrer Vorsitzenden Giorgia Meloni an die Macht kommen. In den zuletzt veröffentlichten Prognosen kommt die Fratelli – 2018 nur mit vier Prozent ins Parlament gewählt – diesmal auf 22 bis 26 Prozent der Stimmen und wäre damit die stärkste Partei.

Dabei haben die Fratelli, die 2012 von neofaschistischen, europaskeptischen und nationalkonservativen Politikern gegründet worden waren, ihre gegenwärtige Stärke insbesondere der Schwäche der übrigen Parteien zu verdanken: So hat es die Mitte-Links-Partei Partito Democratico nicht geschafft, ein breites Wahlbündnis jenseits der rechten Parteien zu bilden und eine positive Dynamik in der Wählerschaft zu entfalten.

Fünf-Sterne haben sich selbst aus dem Spiel genommen

Die Fünf-Sterne-Bewegung – 2018 noch stärkste Kraft – hat in der Regierungsverantwortung der vergangenen fünf Jahre ihren Nimbus als einstige Protestbewegung verloren und sich aufgrund zahlreicher erratischer Entscheidungen selbst aus dem Spiel genommen. Und im politischen Zentrum tummeln sich politische Eigenbrötler, denen die Befriedigung des eigenen Egos wichtiger zu sein scheint als die Schaffung eines überzeugenden Angebots für die zahlreichen gemäßigten Wähler der Mitte.

(Quelle: privat)

Zum Gastautor

Dr. Nino Galetti, geboren 1972, studierte Politische Wissenschaften, Völkerrecht und Romanistik. Seit 2020 ist er Repräsentant der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Rom mit der Zuständigkeit für Italien, Malta und den Heiligen Stuhl. 2008 erhielt er den Wissenschaftspreis des Deutschen Bundestages. Die KAS ist eine der CDU ideell nahestehende Denkfabrik, die sich unter anderem für die europäische Verständigung einsetzt.

Aber auch die mit den Fratelli verbündeten Parteien wirken derzeit wenig anziehend: Der Lega-Vorsitzende Matteo Salvini gilt als bekennender Putin-Verehrer und stößt mit seinen Forderungen, die Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen und die Sanktionen gegen Russland aufzuheben, nur auf wenig Resonanz. Und der 85-jährige Silvio Berlusconi, der vor 28 Jahren zum ersten Mal zum Premierminister gewählt wurde, wird kaum noch als Hoffnungsträger und Problemlöser wahrgenommen.

Viele Italiener vor Wahl unentschieden

Das aktuelle politische Angebot macht einen großen Teil der Italienerinnen und Italiener offenkundig ratlos: Auch wenige Tage vor der Wahl wissen knapp 40 Prozent der Wahlberechtigten noch nicht, wem sie ihre Stimme geben werden. Noch können unerwartete Ereignisse die wechselhafte Stimmung beeinflussen: Wie etwa wirken jüngst veröffentlichte Berichte, wonach Russland mehreren Parteien Geld gegeben haben soll, um die italienische Regierung zu destabilisieren? Wie wirken die starken Unwetter in Mittelitalien, bei denen zahlreiche Todesopfer zu beklagen waren?

Sollte es Giorgia Meloni tatsächlich schaffen, als Nachfolgerin von Mario Draghi zur Premierministerin gewählt zu werden, wäre sie nicht nur die erste Frau in diesem Amt, sondern auch die erste Politikerin seit 1945, die ihre politische Laufbahn in einer neofaschistischen Partei begonnen hat – und das kurz vor dem 100. Jahrestag von Mussolinis Machtergreifung. Auf ihre eigenen politischen Wurzeln angesprochen reagiert Meloni regelmäßig mit dem Hinweis, sie wolle nicht über die Vergangenheit, sondern über die Zukunft Italiens sprechen.

Hetz-Tiraden gegen EU und Flüchtlinge

Inwiefern sich Meloni tatsächlich von nationalistischen oder extremistischen Gedanken entfernt hat, wird sich zeigen. Zahlreiche Beobachter glauben, dass die 45-jährige Römerin trotz manch öffentlicher Hetz-Tiraden gegen Brüsseler Bürokraten, Bootsflüchtlinge und Befürworter der "Ehe für alle" eine pragmatische Regierungslinie verfolgen werde. Zu gering seien die finanziellen Handlungsspielräume für das hoch verschuldete Italien, um die rund 190 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds aufs Spiel zu setzen. Eine Neuverhandlung – wie dies Meloni im Wahlkampf fordert – würde die von Premierminister Mario Draghi eingeleiteten Weichenstellungen in Gefahr bringen und der italienischen Wirtschaft schaden.

Auch ein Ausscheren aus der gemeinsamen Linie der Nato gegenüber Russland werde es mit Meloni wohl nicht geben: Warum die internationale Glaubwürdigkeit Italiens aufs Spiel setzen? Zwar wird eine Regierungschefin Meloni auch ihre eigene Kernklientel bedienen müssen. Daher sind unter ihrer Regierungsverantwortung keine weiteren Liberalisierungen im Bereich der Gesellschaftspolitik zu erwarten – etwa die Zulassung der aktiven Sterbehilfe. Doch in den Bereichen Außen-, Sicherheit- und Wirtschaftspolitik werde sich Meloni an das Machbare halten. Dafür spricht auch die Tatsache, dass die Fratelli einige ehemalige Politiker aus der bürgerlich-konservativen Forza Italia in ihre Reihen aufgenommen und für wichtige Posten vorgesehen haben.

Regierung überdauert durchschnittlich 14 Monate

Skeptiker hingegen glauben, dass Meloni ein ideologisches Projekt verfolgt und mit ihr ein weiteres Land innerhalb der EU gegen den Konsens in Brüssel und Straßburg arbeiten wird. Meloni, die Verbindungen zu Ungarns Regierungschef Viktor Orbán aufgebaut hat und deren Fratelli auf europäischer Ebene mit der polnischen Regierungspartei PiS eine Parteienfamilie bildet, wird sich ganz genau angeschaut haben, wie lang die Brüsseler Reaktionszeit auf nicht-EU-konformes Regierungshandeln ausfällt.

Vor diesem Hintergrund wäre es nur logisch, wenn eine Premierministerin Giorgia Meloni bei entsprechenden Anlässen gegen die Europäische Union bolzt. Dass der von ihr verursachte europapolitische Scherbenhaufen dereinst von ihrem Nachfolger aufgekehrt werden müsste, wird Meloni wohl in Kauf nehmen.

Hoffnungsschimmer für Meloni-Gegner

Denn auch Meloni weiß, dass Regierungen in Italien eine Amtsdauer von durchschnittlich nur 14 Monaten haben. Selbst einem hochgeachteten Mario Draghi, der die 67. Regierung in den 76 Jahren der Italienischen Republik angeführt hat, war nur eine Amtszeit von 17 Monaten vergönnt, ehe ihm das Parlament das Vertrauen entsagte.

Was in Deutschland häufig als "Chaos" wahrgenommen wird, kann auch als italienische Variante von "Checks and Balances", also von Kontrolle der Regierung durch die Abgeordneten, aufgefasst werden. Auch eine künftige Premierministerin Giorgia Meloni wird sich das Vertrauen des Parlaments erwerben und erhalten müssen, um regieren zu können. Und das geht in Italien erfahrungsgemäß nur selten länger als zwei Jahre gut. Für die Meloni-Gegner steckt darin ein Hoffnungsschimmer für Italien.

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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