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Polen: EU, Ukraine, Migration – Die Stichwahl wird wegweisend


Stichwahl in Polen
Ein Nobody holt auf


19.05.2025 - 16:54 UhrLesedauer: 5 Min.
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Karol Nawrocki: Der Historiker wird bei der polnischen Präsidentschaftswahl von der PiS unterstützt. (Quelle: Attila Husejnow/imago-images-bilder)
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Der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahl in Polen brachte keinen klaren Sieger. Der Ausgang der Stichwahl könnte für ganz Europa richtungsweisend sein.

Für Donald Tusk steht viel auf dem Spiel. Es gehe um "alles oder nichts", sagte der polnische Ministerpräsident am Sonntagabend. Zuvor hatte sich abgezeichnet, dass bei der Wahl um das Amt des polnischen Präsidenten kein Kandidat eine absolute Mehrheit erzielen und es am 1. Juni zu einer Stichwahl kommen wird. Daher habe der Wahlkampf für Tusk und seinen Kandidaten Rafał Trzaskowski erst begonnen. "Diese zwei Wochen werden über die Zukunft unserer Heimat entscheiden", schrieb der EU-freundliche Regierungschef auf der Plattform X.

Zwar ging Trzaskowski, aktuell Bürgermeister der Hauptstadt Warschau, mit rund 31 Prozent der Stimmen als Sieger aus dem ersten Wahlgang hervor. Der Jubel war allerdings größer im Lager der nationalkonservativen Partei PiS des ehemaligen Regierungschefs Jarosław Kaczyński: Deren Kandidat Karol Nawrocki lag mit 29,5 Prozent auf Rang zwei. Umfragen hatten noch im April Trzaskowski einen Vorsprung von zehn Prozentpunkten zugeschrieben. Die PiS stellte bereits in den vergangenen zehn Jahren mit Andrzej Duda das polnische Staatsoberhaupt. Nach zwei Wahlperioden darf Duda allerdings nicht mehr für das Amt kandidieren.

Auch wenn Trzaskowski knapp vorn liegt, kann er sich alles andere als sicher sein, auch in der Stichwahl gegen Nawrocki zu triumphieren. Dem Mann aus dem PiS-Lager werden gute Chancen eingeräumt, die Stichwahl zu gewinnen. In dem Fall würde die nationalkonservative Partei für weitere fünf Jahre den Präsidenten in Polen stellen. Ein "Weiter so" dürfte Nawrockis Sieg allerdings nicht bedeuten: Sein Wahlsieg könnte Auswirkungen weit über die polnischen Grenzen hinaus haben und Tusks liberale Regenbogenkoalition unter Druck setzen.

Als die PiS im vergangenen November verkündet hatte, Nawrocki bei der Präsidentschaftswahl zu unterstützen, war der 42-Jährige politisch ein völlig unbeschriebenes Blatt: Der studierte Historiker ist parteilos und besitzt keinerlei politische Erfahrung. In der Vergangenheit leitete er das staatliche Institut für Nationales Gedenken, das Archive verwaltet, in denen Vergehen von deutschen und sowjetischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg an der polnischen Bevölkerung dokumentiert werden.

Die Ernennung Nawrockis hatte allerdings ein Vorbild, meint der Politikwissenschaftler Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik: "Die PiS will mit Nawrocki den Erfolg von Duda wiederholen, der damals wenig bekannt war und der von der Gegenseite unterschätzt wurde", sagte Lang t-online. Er vermutet, dass die Partei bewusst keinen etablierten Politiker wie etwa den ehemaligen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki aufgestellt hatte, da diesem etwa die Wahlschlappe gegen Tusk bei der letzten Parlamentswahl nachhängt.

Politisch orientiert sich Nawrocki an weit rechts stehenden Kräften: Anfang Mai wurde er im Weißen Haus von US-Präsident Donald Trump empfangen. "Präsident Trump sagte: 'Sie werden gewinnen'", teilte der 42-Jährige anschließend polnischen Medien mit. Zudem fand Nawrocki lobende Worte für den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Auf Wahlkampfveranstaltungen zeigte sich der Historiker auch mit dem rechtsextremen rumänischen Politiker George Simion, der am Sonntag bei der Präsidentschaftswahl in seinem Heimatland unterlag.

Die Nähe zu Trump sieht Experte Lang allerdings kritisch. Zwar orientiere sich Polen sicherheitspolitisch stark an den Vereinigten Staaten. Genau deshalb könnte eine zu große Nähe zu Trump für Nawrocki aber ein Problem werden: Schließlich haben sich die USA unter ihm wieder stärker Russland zugewandt, während die Ukraine im Krieg gegen Wladimir Putins Armee weniger unterstützt wird. Auch seien die Drohungen der US-Regierung, Soldaten aus Europa abzuziehen, in Polen alles andere als beliebt.

Für Nawrockis Erfolg in der Stichwahl spricht allerdings, dass es weiteres Wählerpotenzial weit rechts der Mitte gibt: Am Sonntag erhielten die beiden rechtsextremen Politiker Slawomir Mentzen (Konfederacja) und Grzegorz Braun (unabhängig) überraschend viele Wählerstimmen: Während Mentzen auf 14,8 Prozent kam, erhielt der offen antisemitische Braun 6,4 Prozent.

"Noch komplett offen"

Bislang haben beide Politiker ihre Anhänger nicht offiziell dazu aufgerufen, Nawrocki im zweiten Wahlgang zu unterstützen. Sollten aber die Stimmen beider Politiker größtenteils zu ihm wandern, dürfte er einem Wahlsieg näherrücken. "Die Wähler der extremen Rechten werden entscheiden, wer der neue Präsident Polens wird", kommentierte etwa die polnische Zeitung "Rzeczpospolita" den Wahlausgang an diesem Montag. Die linken Kandidaten sowie der Christdemokrat Szymon Holownia, deren Wähler wohl eher zu Trzaskowski tendieren könnten, kommen zusammengerechnet auf etwa 15 Prozent.

Kai-Olaf Lang sieht diese Rechnung allerdings skeptisch: "Ich denke, dass der Ausgang der Wahl noch komplett offen ist." Zwar sei die EU-freundliche Tusk-Partei im rechten Lager verhasst. Das bedeute allerdings nicht, dass die Wähler von Mentzen und Braun vollständig zur PiS überlaufen werden. "Mentzens Programm war bisher: Wir mögen die Bürgerplattform von Tusk nicht, aber wir mögen auch die PiS nicht", meint Lang. Zudem gebe es in der Partei von Mentzen starke libertäre Kräfte, die sich für möglichst wenig staatlichen Einfluss aussprechen, was vor allem viele junge Wähler angesprochen habe. Die PiS stehe dagegen mit einem starken Staat für das genaue Gegenteil.

Eine für den Privatsender TVN erstellte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Opinia24 sieht Trzaskowski bei 46 Prozent und Nawrocki bei 44 Prozent. Von den Befragten machten sechs Prozent keine Angaben, vier Prozent waren unentschlossen.

Kein Streit in der Ukraine-Politik

Ein Wahlsieg des PiS-Lagers dürfte außenpolitisch zu Verschiebungen führen: Die Partei gilt traditionell als EU-skeptisch und dürfte im Rat der Staats- und Regierungschefs als Bremser fungieren. Nawrocki werde "nicht akzeptieren, dass neue EU-Verträge unterzeichnet" würden und Polen seine Souveränität "in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens verliert", sagte er am Sonntag mit Blick auf die Stichwahl. Zudem versprach er zu verhindern, dass "die Sicherheit der polnischen Frauen und Männer durch illegale Migranten bedroht wird".

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Weniger Einfluss dürfte der Wahlausgang auf die Ukraine-Politik Polens haben: "Die beiden großen politischen Lager liegen in allen möglichen Bereichen über Kreuz, aber nicht in der Sicherheitspolitik", sagte Polen-Kenner Lang. In Bezug auf die eigene Wirtschaftskraft unterstützt Polen das Land stärker als Deutschland. Zudem gibt das Land mit einem Anteil von 4,1 Prozent seiner Wirtschaftsleistung mehr Geld für Verteidigung aus als jeder andere Nato-Staat.

Sollte Nawrocki am 1. Juni triumphieren, wird innenpolitisch dagegen erwartet, dass er die Arbeit der Regierung von Donald Tusk torpedieren wird: Der polnische Präsident kann laut Verfassung nicht nur eigene Gesetzentwürfe einbringen, sondern auch mit seinem Veto Gesetze der Regierung blockieren. Der noch amtierende Präsident Duda hatte so bislang größere Reformen in den Bereichen Abtreibung, Justiz und Medienfreiheit durch die Tusk-Regierung behindert.

Neuwahl oder größerer Zusammenhalt?

Unter Dudas Blockaden leidet bereits jetzt die Regierungsarbeit von Tusk. Nawrocki dürfte diesen Kurs als Präsident fortsetzen. Die Koalition von Tusk, die sich neben seiner liberalkonservativen Partei aus linken, moderaten und grünen Kräften sowie der konservativen Bauernpartei zusammensetzt, gilt als ähnlich zerstritten wie die ehemalige Ampelkoalition in Deutschland.

Was ein Präsident Nawrocki für die Stabilität der Regierung bedeuten könnte, ist offen. Die polnische Politikwissenschaftlerin Anna Materska-Sosnowska sagte am Sonntag, mit Nawrocki wäre die Regierung "de facto gelähmt". Dies könne "letztlich zum Sturz der regierenden Koalition führen". Ihrer Einschätzung nach würde sein Erfolg "die Rückkehr der Populisten mit zehnfacher Kraft spätestens in zwei Jahren" bei den nächsten Parlamentswahlen bedeuten.

Kai-Olaf Lang sieht das allerdings anders: "Die Regierung wird dadurch zusammengehalten, dass sie sich gegen die PiS stellt." Daher glaubt Lang, dass ein Sieg von Nawrocki die Regierung eher zusammenschweißen könnte: "Neuwahlen wären dann für das Regierungslager politischer Selbstmord." Schließlich könnte ein solcher Sieg bedeuten, dass die PiS nach ihrer Abwahl aus der Regierung wieder im Aufwind ist. Eine vorgezogene Neuwahl könnte dann dazu führen, dass die Regierungsparteien erneut von der Wählerschaft abgestraft werden und die PiS erneut den Präsidenten und den Ministerpräsidenten stellt.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Kai-Olaf Lang
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP und Reuters

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

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