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Ukraine-Krieg: Tschernihiw – Die Angst vor Raketen bleibt


Lage im ukrainischen Tschernihiw
Die Angst vor Raketen bleibt


Aktualisiert am 01.04.2022Lesedauer: 3 Min.
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Zerstörung bei Tschernihiw: Russland soll in der Region gezielt Wohnhäuser angegriffen haben.Vergrößern des Bildes
Zerstörung bei Tschernihiw: Russland soll in der Region gezielt Wohnhäuser angegriffen haben. (Quelle: NurPhoto/imago-images-bilder)

Kein Strom, kein Wasser und die ständige Panik: In Tschernihiw ist die humanitäre Katastrophe längst da. Moskau hatte angekündigt, sich zurückzuziehen. Doch in zerbombten Stadt ist man skeptisch.

Strom gibt es schon eine Weile nicht mehr, genauso wenig wie fließendes Wasser. 1.500 Kilometer von Berlin entfernt liegt die ukrainische Stadt Tschernihiw. Dort spitzt sich die Lage seit Wochen dramatisch zu. Kaum jemand weiß, wie es weitergeht – und was noch kommen wird.

Russland hatte in dieser Woche angekündigt, seine Militäraktivitäten in der Region um Kiew und um Tschernihiw im Norden der Ukraine deutlich zurückzufahren. Doch mit neuen Angriffen auf die Stadt sowie auf Mariupol im Süden machte Moskau die Hoffnung auf eine Entspannung der Lage zunichte. Die USA hatten bereits am Dienstag gewarnt, es handele sich nicht um einen "Rückzug" russischer Truppen, sondern um eine "Neupositionierung": Der Kreml plane in Wahrheit eine "Großoffensive gegen andere Regionen in der Ukraine".

Putin lässt Wohngebiete bombardieren

Zehntausende Menschen sind nach Angaben der BBC noch immer in Tschernihiw eingesperrt. Augenzeugen berichten, dass gezielt Wohngebiete und -häuser von den russischen Truppen beschossen worden seien. Die Attacken seien so häufig, dass sich Menschen bei der Himmelsbeobachtung abwechseln, erzählt Anna, eine Bewohnerin der Stadt, der BBC. Ihr Mann beobachte die Nächte, sie die Morgen. "Die Angriffe sind extrem laut. Das Gebäude und die Fenster wackeln stark". Es sei unmöglich zu schlafen.

Die meiste Zeit verbringe das Ehepaar damit, sich hinter dicken Mauern zu verstecken. "Gott sei Dank haben wir sie", so Anna. Ihr 12-jähriger Sohn wagt sich nur selten nach draußen. "Er ist in Panik. Viele Kinder haben Angst, nach draußen zu gehen."

Tschernihiw, das am Ufer des Flusses Desna liegt, war eines der ersten Ziele jener russischen Truppenverbände, die von Belarus aus in die Ukraine eindrangen. So wollten sie schnell die etwas südlicher von Tschernihiw gelegene Hauptstadt Kiew erreichen.

Die meisten Vororte der Stadt sind völlig zerstört

Krankenhäuser, Schulen, ein Kino, das Stadtstadion, historische Gebäude – alles sei angegriffen worden, sagt die Augenzeugin Anna der BBC. Die meisten Vororte der Stadt seien völlig zerstört. Russland bestreitet weiter, zivile Einrichtungen in der Ukraine angegriffen zu haben. Eine offensichtliche Propagandalüge: Die Angriffe auf unzählige Wohnhäuser und andere nichtmilitärische Einrichtungen sind landesweit gut dokumentiert.

Tschernihiws Gouverneur Viacheslav Chaus berichtet, dass die Hälfte der 280.000 Einwohner der Stadt seit Beginn des Krieges geflohen sei. Nachdem Russland in der vergangenen Woche eine Brücke auf der Straße zur Hauptstadt bombardiert habe, sei Tschernihiw "abgeschnitten" von der Außenwelt. Die Einwohner könnten nirgendwo mehr hin, auch nicht die Verletzten, die unbedingt behandelt werden müssten. "Es gibt keinen sicheren Ausweg", sagt er.

Seitdem die Versorgungswege gekappt wurden, verschärft sich die humanitäre Lage in Tschernihiw weiter. Die "Deutsche Welle" berichtet von ersten möglichen Hungertoten. Viele Geschäfte seien geschlossen, die wenigen geöffneten hätten kaum Waren und die Preise seien kaum bezahlbar. Seit zwei Wochen würden zudem die Alarmsirenen der Stadt nicht mehr funktionieren.

47 Menschen beim Warten auf Lebensmittel getötet

Ein besonders furchtbarer Angriff ereignete sich am 3. März: Allein 47 Menschen, darunter neun Frauen, wurden getötet, als sie sich auf einem kleinen Platz in der Stadt versammelten. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International handelte es sich bei dem Bombardement höchstwahrscheinlich um einen russischen Luftangriff, bei dem mindestens acht ungelenkte Luftbomben eingesetzt wurden.

"Amnesty International war nicht in der Lage, ein legitimes militärisches Ziel am Ort des Angriffs oder in dessen Nähe zu identifizieren", so die Organisation. "Wir glauben, dass die meisten Opfer in der Warteschlange für Lebensmittel standen, als die Raketen einschlugen."

Lage ist weiter chaotisch

Die militärische Entwicklung in Tschernihw lässt sich weiterhin nur schwer überblicken. Das britische Verteidigungsministerium hatte unter Berufung auf Geheimdienstquellen mitgeteilt, ukrainische Streitkräfte hätten zwei Dörfer an einer wichtigen Versorgungsroute zwischen Tschernihiw nahe der belarussischen Grenze und der Hauptstadt Kiew zurückerobert.

Am Freitagvormittag teilte Tschernihiws Gouverneur Chaus mit, die russischen Truppen würden sich aus der nordukrainischen Region zurückziehen. Ein Hoffnungsschimmer? Vielleicht. Es seien allerdings immer noch einige russische Soldaten da, und auch Raketenangriffe seien weiter möglich, so der Gouverneur. "Das schließt niemand aus", sagt er in einer Videobotschaft.

"Aber es bedeutet nicht, dass die Bedrohung aus der Luft weniger wird", äußerte ein hochrangiger Pentagon-Vertreter. Auch wenn die Bodenpräsenz rund um Kiew verringert werde, setze das russische Militär die Stadt weiter mit Luftangriffen unter Druck. In den vergangenen 24 Stunden sei die Zahl der Lufteinsätze deutlich erhöht worden. Die Angriffe konzentrierten sich vor allem auf Kiew oder auch Tschernihiw.

Die ukrainischen Truppen müssten daher wachsam bleiben, warnt Chaus.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen Reuters und dpa
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