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Grünen-Politiker unterschreibt Rüstungsexporte: "Schuld ist unvermeidlich"


Rüstungsexporte an Ukraine
"Schuld ist unvermeidlich"

InterviewVon chrismon-Autor Sebastian Drescher

27.05.2022Lesedauer: 5 Min.
Interview
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Sven Giegold (l.) und Robert Habeck am Rande der Sondierungsgespräche 2021: Gemeinsam kümmern sie sich im Wirtschaftsministerium auch um Rüstungsexporte.Vergrößern des Bildes
Sven Giegold (l.) und Robert Habeck am Rande der Sondierungsgespräche 2021: Gemeinsam kümmern sie sich im Wirtschaftsministerium auch um Rüstungsexporte. (Quelle: Michael Kappeler/dpa-bilder)

Als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium unterschreibt der Grünen-Politiker Sven Giegold viele Vereinbarungen für Rüstungsexporte an die Ukraine. Wie er damit umgeht, verrät er im Interview.

Dieses Interview erschien zuerst auf chrismon.de.

Wer bestimmt, welche Waffen Deutschland liefert?

Sven Giegold: Ich zeichne für alle klassischen Rüstungsexporte. Die Entscheidungen fallen meist auf der Basis einer Beurteilung des Außenministeriums, aber das Wirtschaftsministerium steht in der Verantwortung. Wenn es um Abgaben der Bundeswehr geht, ist das Bundesverteidigungsministerium zuständig. Das ist eine Aufgabe, die ich mir weder gesucht noch jemals als Tätigkeitsbereich vorhergesagt hätte.

Entscheidet nicht der Bundessicherheitsrat unter Vorsitz des Kanzlers?

Ja, bei vergleichsweise wenigen politisch relevanten Kriegswaffen ist das so. Auch diese Entscheidungen bereiten wir in unserem Ministerium mit vor. Aber der Großteil der Rüstungsexporte sind sogenannte sonstige Rüstungsgüter oder auch Dual-Use-Güter, die man sowohl zivil als auch militärisch nutzen kann – Sensortechnik, bestimmte Chemikalien oder Hochleistungsrechner. Die gehen nicht in den Bundessicherheitsrat. Gerade bei den sonstigen Rüstungsgütern stellen sich schwierige ethische und geopolitische Fragen, etwa bei Zulieferungen von Kriegswaffen für Drittländer oder europäische Gemeinschaftsprojekte. Diese Entscheidungen liegen letztlich bei uns.

Sven Giegold ist Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Von 2009 bis zu seinem Wechsel ins BMWK war er Mitglied des Europäischen Parlaments. Sven Giegold ist bekennender Christ und engagiert sich beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, ab 2007 als Mitglied der Präsidialversammlung und ab 2015 als Mitglied des Präsidiums.

Und Sie wissen: Durch die Lieferungen können Menschen sterben?

Ich erhalte regelmäßig Listen, aufbereitet von unglaublich gewissenhaften und hart arbeitenden Beamtinnen und Beamten, über deren Genehmigung wir entscheiden müssen. In den Listen steht: Worum handelt es sich, in welche Länder sollen die Produkte gehen, was ist der Genehmigungswert? Natürlich prüfen wir, wie es die Empfängerländer mit Demokratie und Menschenrechten halten, ob die Waffenlieferungen unseren Sicherheitsinteressen entsprechen und ob sie in Konflikten zum Einsatz kommen.

Es gibt eindeutige Fälle: Wir liefern in Nato-Staaten, in andere gefestigte Demokratien mit guter Menschenrechtslage und natürlich nach Israel. In andere Länder liefern wir gar keine Waffen – in Diktaturen zum Beispiel. Besonders scharfe Maßstäbe gelten für Kleinwaffen. Bei wieder anderen Ländern ist es nicht so eindeutig. Das beschäftigt mich jedes Mal sehr lange. Ich versuche, eine konsequente ethische Linie zu finden und nicht mal so, mal so zu entscheiden. Das hat mich in den vergangenen Monaten viel Kraft gekostet.

Geht es derzeit oft um die Ukraine?

Lieferungen für die Ukraine erfolgen getrennt von den anderen Fällen, weil wir diese Entscheidungen unverzüglich und schnell treffen müssen – und das auch tun. Natürlich ist die Lieferung von Waffen immer eine Niederlage. Es bleibt das Ziel der Gewaltfreiheit. Aber die Ukraine steckt in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, die Ukrainerinnen und Ukrainer haben das Recht, sich zu verteidigen. Umso mehr angesichts der unschuldigen Opfer und Kriegsverbrechen Russlands.

Ist es für Sie ein Unterschied, ob Handfeuerwaffen oder schwere Waffen wie Panzer geliefert werden?

Natürlich. Doch in der Ukraine liegt das Hauptproblem in der Gefahr einer immer weiteren Eskalation. Daher haben wir den Korridor, in dem wir Genehmigungen erteilen, auch Schritt für Schritt erweitert. Ich habe Probleme mit dem, was ich aus Teilen der alten Friedensbewegung höre: Dort denkt man, man habe ethisch das Richtige getan, wenn der Krieg schnell vorbei sei. Mit anderen Worten: Man verweigert die Unterstützung von Waffenlieferungen und damit den Opfern die Möglichkeit, sich zu verteidigen. Putin droht damit, das, was er als das alte Russland bezeichnet, wiederherzustellen. Frieden entsteht hier nicht durch Zurückhaltung.

Dieses Interview erscheint in Kooperation mit dem Magazin "chrismon". Die Zeitschrift der evangelischen Kirche liegt jeden Monat mit 1,6 Millionen Exemplaren großen Tages- und Wochenzeitungen bei – unter anderem "Süddeutsche Zeitung", "Die Zeit", "Die Welt", "Welt kompakt", "Welt am Sonntag" (Norddeutschland), "FAZ" (Frankfurt, Rhein-Main), "Leipziger Volkszeitung" und "Dresdner Neueste Nachrichten". Die erweiterte Ausgabe "chrismon plus" ist im Abonnement sowie im Bahnhofs- und Flughafenbuchhandel erhältlich. Mehr auf: www.chrismon.de

Sie sind evangelischer Christ. Inwieweit prägt Sie das in dieser Lage?

Der Glaube trägt. Das Handeln in der Welt ist für mich ohne dieses Fundament nicht denkbar. Ich trage das Hadern mit mir, die Zweifel, mit denen ich umgehen muss, täglich vor Gott. Wir treffen Entscheidungen, die sich im Nachhinein als gefährlich oder falsch herausstellen können. Den Luxus, nicht zu entscheiden, haben wir nicht. Ich denke oft an Dietrich Bonhoeffers Glaubensbekenntnis in schwerer Zeit: Schuld ist unvermeidlich. Er sagt: Es gibt Situationen, in denen verantwortliches Handeln nur noch möglich ist, indem man zur Schuldübernahme bereit ist.

Um die Friedensethik gibt es Streit ...

Ja, es gibt eine Debatte darüber, ob wir eine aktualisierte Position zur Friedensethik brauchen. Das finde ich zu wenig an Positionierung und Hilfestellung für die vielen Menschen, die nun in irgendeiner Form mit diesem Krieg zu tun haben. Die ganze Gesellschaft macht sich Gedanken. Ich vermisse die laute, orientierende Stimme der Kirche.

Was erwarten Sie?

Die Kirche sollte nicht den Anspruch erheben, dass aus dem Glauben nur eine einzige Position folgen kann. Sie kann aber aus einer christlichen Haltung heraus begründen, was man tun kann und wo Grenzen sind. Und da wundert mich angesichts der Tiefe der ethischen Fragen, wie wenig zu hören ist.

Sind Sie in Kontakt mit leitenden Geistlichen?

Derzeit nicht persönlich, aber ich habe natürlich die Rede der EKD-Ratsvorsitzenden Annette Kurschus auf der Friedensdemo gehört. Mich hat der Beitrag des Journalisten und EKD-Synodalen Arnd Henze beeindruckt, der ja selbst aus der Friedensbewegung kommt – die suchende Haltung in seinen Worten. Und ich hatte Gespräche mit der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung, einem ökumenischen Arbeitsverbund zur Entwicklungspolitik, die Rüstungskontrollberichte vorlegt. Auch in der Gruppe Politisches Nachtgebet reden wir über das Thema.

Helfen solche Gespräche?

Es tut gut zu merken, dass auch andere Christinnen und Christen zu einer grundsätzlich ähnlichen Einschätzung kommen wie ich: dass in dieser Situation Waffenlieferungen in der Abwägung aller Argumente geboten sind – gerade mit dem Blick auf die unschuldigen Opfer der Aggression. Und dass das keine Position ist, mit der ich persönlich allein klarkommen muss. Aber mir ist wichtig, dass das nie eine Entscheidung sein sollte, die man mit dem Brustton der Überzeugung vor sich herträgt. Es bleibt für mich immer der Zweifel. Und natürlich die Suche nach Wegen zum Frieden, die bei allem militärischen Handeln immer bleiben muss.

Das schlichte Gebet – hilft Ihnen das, gut durch diese Zeit zu kommen?

Gut? Zeiten des Krieges sind nicht gut. Aber das Gebet hilft mir, diese Arbeit machen zu können. Ich hoffe, sie damit besser meistern zu können.

Weiterführende Links auf chrismon.de:

► Ist christliche Friedensethik überholt? Putins brutaler Krieg gegen die Ukraine stellt die Friedensbewegung vor ein Dilemma. Weiterlesen auf chrismon.de.

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► Schwere Waffen für die Ukraine? Eine Mehrheit im Bundestag ist dafür. Der FDP-Abgeordnete Ingo Bodtke hat sich als Einziger aus seiner Fraktion enthalten. Ein Interview über Gewissensfragen in Kriegszeiten. Weiterlesen auf chrismon.de.

► "Bei einem Genickschuss müssen sie nicht lange nach der Todesursache suchen": Satellitenbilder zeigen Massengräber in der Ukraine. Wie kann man die Toten identifizieren? Wie Kriegsverbrechen nachweisen? Interview mit Reinhard Dettmeyer, Präsident des Berufsverbandes. Deutscher Rechtsmediziner. Weiterlesen auf chrismon.de.

► Was Laien für traumatisierte Geflüchtete tun können und wie sie sich dabei vor Überforderung schützen – das weiß Birgit Kracke, Ärztin für Psychiatrie/Psychotherapie. Weiterlesen auf chrismon.de.

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