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Gegenoffensive der Ukraine | Ischinger: "Eine Schlappe für Putin"


Sicherheitsexperte Ischinger
"Eine erhebliche Schlappe für Putin"

  • Gerhad Spörl
InterviewVon Gerhard Spörl

Aktualisiert am 12.09.2022Lesedauer: 3 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Wladimir Putin steht nach der überraschend deutlichen Niederlage in Teilen der Ostukraine unter Druck.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Der Kremlchef steht nach der überraschend deutlichen Niederlage in Teilen der Ostukraine unter Druck. (Quelle: IMAGO/Gavriil Grigorov)

Der deutsche Sicherheitsexperte Wolfgang Ischinger über die mögliche Wende in der Ostukraine, Putins Reaktion darauf und das Ansehen der Außenministerin in Kiew.

Wolfgang Ischinger, 76 Jahre alt, gilt als einer der renommiertesten Experten in der Außenpolitik: Von 2001 bis 2006 war der studierte Jurist deutscher Botschafter in den USA, von 2008 bis 2022 leitete er die Münchner Sicherheitskonferenz. Ein Gespräch über Geländegewinne der Ukraine, Putins Reaktion darauf – und die Frage, wie lange dieser Krieg noch dauern könnte.

t-online: Herr Ischinger, Sie haben an einer internationalen Konferenz in Kiew teilgenommen, an der auch Außenministerin Annalena Baerbock sprach. Was war ihre Botschaft?

Wolfgang Ischinger: Die Botschaft der Außenministerin bei der YES-Konferenz war ein klares und nachdrückliches Bekenntnis zur weiteren tatkräftigen Unterstützung der Ukraine seitens Deutschlands.

Kanzler Scholz hatte überlegt, ebenfalls auf dieser Konferenz aufzutreten. Warum kam es nicht dazu?

Natürlich war auch der Bundeskanzler zu dieser Konferenz eingeladen worden. Soweit mir bekannt ist, hat die Bundesregierung im Abstimmungsprozess entschieden, dass die Außenministerin bei dieser Veranstaltung auftreten würde.

Die ukrainische Armee erobert gerade im Raum Charkiw etliche Dörfer und wichtige Städte wie Kupiansk zurück. Wie schätzen Sie diese Offensive ein – als Wende im Krieg?

Ob diese Offensive tatsächlich eine weiterreichende Wende im Kriegsgeschehen einleitet, bleibt abzuwarten. Eins ist allerdings klar: Es ist der Ukraine gelungen, die militärische Initiative zu ergreifen, und die russische Armee hat – unter Hinterlassung von viel schwerem Gerät – eine erhebliche Schlappe erlitten. Das wird nicht ohne Folgen bleiben, auch politisch.

Die "Süddeutsche Zeitung" schreibt heute, dass Putin den Krieg verliere, wenn es so weitergehe. Geht es so weiter?

Man muss kein Prophet sein, um die Aussage zu wagen, dass Putin diesen Krieg nicht mehr gewinnen kann, wenn man die ursprünglich proklamierten Kriegsziele zugrunde legt: die Auflösung der Ukraine. Freilich sind aber die russischen militärischen Ressourcen noch lange nicht erschöpft. Es erscheint mir deshalb voreilig, jetzt schon über Sieg oder Niederlage zu spekulieren. Leider spricht vieles dafür, dass dieser Krieg noch länger andauern wird.

Die entscheidende Frage wird sein, wie Wladimir Putin auf die ukrainischen Gebietsgewinne reagiert. Was erwarten Sie, was befürchten Sie?

Die ersten Reaktionen in den vergangenen zwei Tagen waren Raketenangriffe auf die Infrastruktur wie zum Beispiel auf Kraftwerke, aber auch auf die Zivilbevölkerung. Zu befürchten ist, dass Misserfolge der Armee Putin dazu verleiten könnten, solche Zerstörungsakte auszuweiten.

Was trauen Sie ihm zu – auch taktische Atomschläge, gerade weil eine Wende im Krieg eingetreten sein könnte?

Soweit bekannt, sieht die russische Nukleardoktrin den Einsatz nuklearer Waffen nur im Falle existenzieller Bedrohungen des Landes vor. Da dieser Krieg sich seit 2014 aber ausschließlich auf ukrainischem Territorium abspielt, ist diese Voraussetzung nicht gegeben. Ein weiteres Argument bei einer solchen Entscheidung könnte sein, dass Russland befürchten müsste, die ohnehin nur halbherzige Unterstützung Chinas vollends zu verlieren. Und Peking will sicher nicht gerne als Partner im ersten Einsatz nuklearer Waffen seit 1945 gesehen werden.

Annalena Baerbock hat erneut ihren ukrainischen Kollegen getroffen. Was denkt man in Kiew über den deutschen Beitrag zu diesem Krieg?

In Kiew würdigt man durchaus den deutschen finanziellen und inzwischen auch militärischen Beitrag zur Unterstützung der Ukraine. Aber dort wünscht man sich noch viel mehr davon.

Deutschland hat immerhin Waffen für 734 Millionen Euro geliefert, darunter auch schweres Gerät wie Panzerhaubitzen oder Flugabwehrpanzer. Ist es aus Ihrer Sicht an der Zeit, dass Deutschland nun doch Kampfpanzer liefert, damit die Ukraine ihre Offensive ausbauen kann?

Für weitere Offensiven benötigt die ukrainische Armee gepanzertes Gerät. Die Bundesregierung verwies bisher darauf, dass auch keiner unserer Partner Kampfpanzer westlicher Bauart geliefert habe. Das klingt ein bisschen so, als wolle sich Deutschland hinter den Nato-Partnern verstecken. Deutschland könnte seinen Führungsanspruch nun deutlicher machen, indem wir das Argument wie folgt umdrehen: Berlin ist zur Lieferung von Kampfpanzern oder Marder-Schützenpanzern gerne bereit, wenn Washington, London und Paris diesen Schritt mitgehen.

Trauen Sie sich eine Prognose zu, wie lange dieser Krieg noch dauert?

Vieles spricht dafür, dass er sich noch länger hinziehen dürfte, was unserer strategischen Interessenlage diametral widerspräche. Wenn wir uns ein möglichst rasches Ende dieses Krieges und den Beginn von Friedensverhandlungen wünschen, dann sollten wir jetzt dafür sorgen, dass aus den ukrainischen Geländegewinnen der vergangenen Tage eine Entwicklung wird, die zum Rückzug der russischen Armee aus den besetzten Gebieten in der Ostukraine führt. Das wäre die wichtigste Voraussetzung für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen.

Herr Ischinger, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Wolfang Ischinger
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