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Anti-Queer-Gesetz von Putin: "Es ist jetzt noch beängstigender, hier zu leben"


Putin erlässt radikales Gesetz
"Es ist noch beängstigender geworden, hier zu leben"


Aktualisiert am 07.01.2023Lesedauer: 6 Min.
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Die Polizei in Sankt Petersburg hält Demonstrierende während einer Demo fest. Die Rechtslage für sexuelle Minderheiten in Russland ist nun noch einmal deutlich kritischer geworden.Vergrößern des Bildes
Die Polizei in Sankt Petersburg hält Demonstrierende während einer Demo fest. Die Rechtslage für sexuelle Minderheiten in Russland ist nun noch einmal deutlich kritischer geworden. (Quelle: imago stock&people)

Ein neues Gesetz in Russland verbietet es, über schwules, lesbisches und queeres Leben zu kommunizieren. Fünf Betroffene schildern t-online, was das für sie bedeutet.

In Kinos, im Radio, in persönlichen Blogs, auf Internetseiten und selbst in Büchern ist es nun in Russland verboten: Weder über schwule noch über lesbische Sexualität oder etwa Transmenschen darf gesprochen oder geschrieben werden. Anfang Dezember 2022 hat Kremlchef Wladimir Putin ein entsprechendes Gesetz unterzeichnet – mit dramatischen Folgen.

Mit Putins Unterschrift wurde die Rechtslage für sexuelle Minderheiten verschärft. Bereits seit 2013 ist es in Russland verboten, Minderjährige über Themen wie Homo- oder Transsexualität aufzuklären. Dies, so die Argumentation, sei Verbreitung von "Propaganda". Jetzt wurde das Gesetz auf alle Altersklassen und praktisch alle Lebensbereiche ausgeweitet.

Wer offen über LGBTQIA-Themen spricht, muss mit hohen Geldstrafen rechnen, auch vorübergehende Berufsverbote sind möglich. Mehr dazu lesen Sie hier. Die "traditionellen Werte", so heißt es im Gesetz, sollten geschützt werden. Andere Formen als Heterosexualität zählen demnach nicht dazu und werden als Bedrohung verstanden. Das Gesetz stellt zudem Homosexualität auf die gleiche Ebene wie Pädophilie.

LGBTQIA-Regenbogenflagge
LGBTQIA-Regenbogenflagge (Quelle: IMAGO/Ollie Thompson)

Was ist LGBTQIA?

Die Abkürzung setzt sich aus den Anfangsbuchstaben mehrerer englischer Begriffe zusammen. Deutsch übersetzt stehen sie für: lesbisch, schwul, bisexuell, trans, queer, inter und asexuell. Teils wird auch nur die Abkürzung LGBTQI oder LGBT verwendet, manchmal wird ein + ergänzt, um alle in der Abkürzung Nichtgenannten einzuschließen. Queer ist dabei ein Sammelbegriff für Menschen, die aus dem heterosexuellen Raster fallen oder sich nicht einer bestimmten Geschlechteridentität zuordnen. Die Community und Menschen, die sie unterstützen, nutzen weltweit die Regenbogenfarben als Erkennungsmotiv.

Die Folgen sind zahlreich: Russische Hilfsorganisationen, die Opfer queerfeindlicher Gewalt unterstützen, stehen vor dem Aus. Blogger, die Beiträge zu queeren Themen posten, rutschen in die Illegalität. Und Verlage nehmen Bücher aus dem Verkauf, die Homosexualität thematisieren, weil sie Strafen fürchten. Besonders kurios: Manche Verlage weisen darauf hin, dass selbst russische Klassiker womöglich umgeschrieben werden müssen. Dostojewskijs "Die Dämonen" oder Nabokows "Lolita" thematisieren "nichttraditionelle" Sexualität, auch das könnte als "Propaganda" ausgelegt werden.

Was droht den Betroffenen? Wie gehen sie mit der staatlichen Repression um? Fünf Menschen aus Russland, die teils unerkannt bleiben wollen, haben es t-online erzählt, in Videotelefonaten und langen E-Mails.

Leo Veles, YouTuber und Publizist

"Ich hatte mein Coming-out vor langer Zeit. Offen schwul zu sein ist für mich so selbstverständlich wie Atmen, Essen oder Schlafen. In meinen Blogs schreibe ich über die Rechte von queeren Menschen. Ich rezensiere queere Literatur. Ich schreibe queere Prosa. Aber in Russland schwul zu sein ist ein täglicher Test für die Welt und mich selbst. Das Erbe der sowjetischen homophoben Haltung in der Gesellschaft ist noch sehr stark.

Du kannst verprügelt werden, weil du vermeintlich schwul aussiehst. Du kannst umgebracht werden, wie es Roman Yedalov passiert ist (Yedalov wurde 2019 nach dem Besuch eines schwulenfreundlichen Clubs mit seinem Partner in Moskau erstochen. Der Täter rief homophobe Äußerungen, Anm. d. Red.). In mehreren Regionen Russlands gibt es Geheimgefängnisse, in die schwule Menschen entführt, dort gefoltert und getötet werden. Die Behörden weigern sich, ihr Verschwinden zu untersuchen.

Seit 2013 hat durch das erste Gesetz die Zahl der 'Fake-Dates' zugenommen, ein Phänomen, bei dem homophobe Banden schwule Männer zu einem "Date" locken, sie schlagen, ausrauben und mit einem Outing erpressen. Ich war selbst Opfer eines solchen "Dates" und habe es wie durch ein Wunder überlebt. Diese Erfahrung wünsche ich niemandem.


Quotation Mark

"Homophobe Propagandisten im Fernsehen werden sich jetzt vom Gesetz geschützt fühlen."


Leo Veles, YouTuber


Homophobe Aktivisten haben meine Daten im Internet veröffentlicht, mit Adresse und Telefonnummer. Ich habe Drohungen erhalten. Unbekannte schrieben, dass sie zu mir kommen, mich töten, zerstückeln und in Paketen an meine Verwandten schicken würden.

Übergriffe werden jetzt sicher zunehmen. Homophobe Propagandisten im Fernsehen werden noch mehr ihren Hass bei den Zuschauern schüren. Sie werden sich jetzt bestätigt und vom Gesetz geschützt fühlen. Homophobe Politiker in Russland sagen: 'Wir verbieten nicht das Phänomen als Ganzes, wir verbieten zu sagen, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen so normal sind wie heterosexuelle Beziehungen.' Für mich klingt das so: 'Wir verbieten nicht, dass die Sonne im Osten aufgeht, aber wir verbieten, sich über den sonnigen Tag zu freuen oder neutral oder positiv über ihn zu sprechen.' Queere Menschen sind in Russland Menschen zweiter Klasse.

Sollte ich eine Geldstrafe bekommen, werde ich versuchen, in der Community Geld zu sammeln. Das ist gängige Praxis unter russischen Aktivisten. Viele sind verängstigt, einige haben das Land verlassen, andere sind geblieben, ziehen es aber vor, ein abgeschottetes Leben zu führen. In der Hoffnung, dass die Repression an ihnen vorbeigeht.

Auch ich habe Angst, aber ich fühle auch Verantwortung. Wenn alle vernünftigen queeren Menschen Russland verlassen, wer wird dann die Situation ändern? Ich bleibe so lange wie möglich. Sollte ich irgendwann nur noch die Wahl haben: sterben oder gehen, dann werde ich gehen.

Bis dahin verteidige ich mein Recht, und wenn ich bis vor das Verfassungsgericht ziehen muss. Ich habe mich zehn Jahre lang mit meiner Identität auseinandergesetzt, jetzt werde ich nicht wieder so tun, als wäre ich heterosexuell oder würde nicht existieren."

Jelena Klimowa, IT-Redakteurin und Schriftstellerin

"Viele Menschen aus der Szene verfallen jetzt in Panik, wissen nicht, was zu tun ist. Vor allem, wenn sie in sozialen Medien offen für die Community sprechen. Weil so vieles unklar ist. Auch für mich. Was zählt jetzt zu 'Propaganda'? Auch ein Gedicht, das ich über eine lesbische Frau geschrieben habe? Und können jetzt queere Menschen noch einen Psychologen konsultieren oder ist das dann auch schon verboten, wenn sie über queere Themen sprechen?

In der Vergangenheit wurden Firmen, Aktivistinnen und Aktivisten mit Strafen belegt. Ich bereite mich nicht darauf vor, mein Leben zu ändern. Ich wache nicht morgens auf und sage: 'Hurra, hallo, ich bin lesbisch, schaut her!' und erzähle es ständig. Aber es ist eine Tatsache, die ich nicht leugnen werde. Wegen des neuen Gesetzes wurden mittlerweile fast alle meiner Bücher aus dem Verkauf genommen, weil sie homosexuelle Beziehungen erwähnen oder beschreiben.

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"Ich werde mich nicht selbst zensieren"


Jelena Klimowa, Schriftstellerin


Die Bücher verteile ich jetzt kostenlos online. Es schmerzt, dass das passiert ist. Aber die Verlage wollen keine Probleme. Denn niemand weiß, wie das neue Gesetz angewendet wird und sie wollen kein Risiko. Die Strafen sind sehr hoch. Sollte mich jemand auffordern, meine Bücher oder Posts umzuschreiben, werde ich mich wehren, mir einen Anwalt nehmen oder zu einer Beratungsstelle gehen. Ich werde mich nicht selbst zensieren."

Dmitry Michailow, Student

"Ich lebe als schwuler Mann, aber nicht offiziell. Offen bin ich damit nur Menschen gegenüber, von denen ich weiß, dass sie angemessen damit umgehen. Ich wurde in meiner Heimatstadt, einer kleinen Militärstadt nahe Moskau, heftig für mein vermeintliches 'Anderssein' gemobbt. In Moskau wurde es besser. Hier kann ich auch mit Make-up in die Metro und niemand sagt etwas. Ich denke, daran wird sich durch das Gesetz nicht viel ändern.

Aber an meiner Uni haben wir eine Gruppe und sind mit anderen Uni-Gruppen vernetzt, da wird jetzt viel diskutiert. Einige fürchten, dass schwulenfreundliche Clubs schließen und sie ihre Safe Spaces verlieren, also Orte, an denen sie offen gay sein können. Das glaube ich nicht. Es wird wohl eher problematisch in den sozialen Medien. Dort wird sicher mehr kontrolliert. Ich habe meinen Twitter-Account durchsucht und einiges aus meinem Alltag, vom Dating etwa, gelöscht. Wir fürchten, dass wir Bußgelder für Posts bekommen. 400.000 Rubel (etwa 6.000 Euro) für Privatpersonen – das kann sich niemand von uns leisten."

YouTube-Duo "HAOYANG & GELA"

"Mit dem Gesetz wird alles, was wir tun, als 'Irreführung junger Menschen' definiert. Selbst wenn wir nur auf russischem Boden atmen, kann uns das als 'Verbreitung des Schwulenvirus' angelastet werden. Es ist noch beängstigender geworden, hier zu leben. Jeden Tag werden mehr dumme Gesetze verabschiedet. In der Vergangenheit gab es Angriffe, Schläge und Morde an queeren Menschen. Oder Kündigungen von der Arbeit wegen der sexuellen Orientierung. Jetzt wird diese Diskriminierung auf legislativer Ebene gebilligt.

Putin und die Politik wollen mitten in der laufenden 'Spezialoperation' in der Ukraine von inneren Problemen im Land ablenken. Sie sagen, die Regierung schütze ihr 'Volk' vor äußeren Feinden in der Ukraine und vor inneren Feinden. Und einer dieser Feinde sind wir. Wir, queere Menschen, sind angeblich Spione, die die Gesellschaft korrumpieren und die Kinder zerstören.

Wir kommen aus Kasan, diese Stadt ist 200-prozentig homophob. Klar haben wir überlegt, umzuziehen oder auszuwandern, aber das Problem ist, dass ich, Haoyang, nicht wegkann, ich muss noch zwei Jahre studieren. Und uns fehlt das Geld. Die Leute denken, Blogger verdienen viel. Das ist Unsinn. Und zurzeit ist es mit russischem Pass ohnehin schwierig auszuwandern. Menschen aus Russland sind fast nirgendwo erwünscht.

Wir bleiben weiter auf unserem YouTube-Kanal und in sozialen Medien aktiv, überlegen aber, wie wir uns schützen. Bald wird uns ein Unternehmen die Geoblock-Funktion zur Verfügung stellen, damit verstecken wir unseren Kanal gewissermaßen im russischen Internet. Nur mithilfe eines VPN-Zugangs können Menschen in Russland ihn dann finden. Und dann werden wir anfangen, über Politik zu reden. Wir werden uns nicht verstecken und auch der Rest der Community wird nicht schweigen.

Verwendete Quellen
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