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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Entdeckung vor Usedom Umweltschützer spricht von "Katastrophe"

In der polnischen Ostsee ist das womöglich größte Öl- und Gasvorkommen in der Geschichte des Landes entdeckt worden. Nicht alle freuen sich über die Nachricht.
In Polen hat die Meldung Begeisterung ausgelöst: Vor der Küste der Insel Usedom will das kanadische Unternehmen CEP das größte Öl- und Gasvorkommen in der Geschichte Polens entdeckt haben, wie der Rohstoffkonzern am Montag mitteilte. Bis zu 33 Millionen Tonnen Öl und rund 27 Milliarden Kubikmeter Erdgas vermutet CEP in der Lagerstätte vor Swinemünde (Świnoujście).
Nach Angaben des polnischen Chefgeologen Krzysztof Galos könnte die Förderung in der Wollin Ost 1 genannten Lagerstätte in drei bis vier Jahren beginnen. Dann werde das Feld auf mehrere Jahre vier bis fünf Prozent des jährlichen polnischen Ölbedarfs decken, so Galos. Von einem "historischen Moment für den polnischen Energiesektor" schwärmte gar CEP-Chef Rolf G. Skaar.
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Klage gegen Containerhafen in Swinemünde
Auf deutscher Seite hingegen hält sich die Begeisterung über den Fund in Grenzen. Auf der Insel Usedom, die größtenteils zu Deutschland gehört, blicken die Anwohner schon jetzt sorgenvoll über die Grenze nach Świnoujście. Dort soll bis 2030 ein Tiefwasserhafen für bis zu 400 Meter lange Containerschiffe entstehen. Der geplante Hafen soll in der Lage sein, zwei Millionen Schiffscontainer jährlich umzuschlagen. Zum Vergleich: Im Hafen der polnischen Stadt Gdańsk, immerhin der fünftgrößte Europas, werden jährlich 2,2 Millionen Container umgeschlagen. Auf deutscher Seite ist die Sorge groß, dass der neue Hafen den Tourismus auf Usedom beeinträchtigen könnte.
Darum haben die Bürgerinitiative Lebensraum Vorpommern und die Gemeinde Heringsdorf, die unmittelbar an Swinemünde grenzt, das Verwaltungsgericht Warschau eingeschaltet. Die Kläger wollen nachweisen, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung der polnischen Behörden unvollständig war – und hoffen, dass der Bau des Hafens noch gestoppt wird.
Bis zum 4. August will das Gericht in der Sache entscheiden. Doch mit dem Öl- und Gasfund direkt vor der Küste – das Feld liegt nur etwa sechs Kilometer von Swinemünde entfernt – zeichnet sich nun schon das nächste Problem für den Tourismus in der Region ab.
Landesregierung sucht Kontakt nach Polen
In der Schweriner Landesregierung scheint man sich der Tragweite des Projekts bewusst zu sein. "Usedom ist eine bedeutende Urlaubsregion und ein touristisches Aushängeschild Mecklenburg-Vorpommerns mit einer besonders schützenswerten Natur. Die Sorge über mögliche Auswirkungen einer Rohstoffförderung vor der Küste ist deshalb verständlicherweise groß", teilt das Landeswirtschaftsministerium auf Anfrage von t-online mit.
"Sollten sich die Planungen zu Gas- oder Ölförderungen in Grenznähe auf polnischer Seite weiter konkretisieren, gibt es klare Erwartungen: Selbstverständlich müssten die umfangreichen Regelungen zum Umweltschutz strikt eingehalten und auch die Interessen des Tourismus berücksichtigt werden", heißt es weiter in der Stellungnahme. Man stehe dazu im Austausch mit den polnischen Behörden.
Deutsche Umwelthilfe kritisiert Landesregierung
Die Deutsche Umwelthilfe bewertet das Handeln der Landesregierung in der Sache aber durchaus kritisch. "Umweltminister Till Backhaus (SPD) schien sehr überrascht zu sein von der Meldung über den Fund vor Usedom", erklärt Constantin Zerger t-online; er ist bei der Umwelthilfe zuständig für den Bereich Energie und Klimaschutz. "Dabei haben wir die Landesregierung schon vor einem halben Jahr auf die Aktivitäten von CEP in der polnischen Ostsee hingewiesen. Wenn die Landesregierung davon nichts weiß, wirkt das auf mich, als würde sie ihre Rolle nicht richtig wahrnehmen."
Die Landesregierung müsse nun den Dialog mit den polnischen Nachbarn suchen, weitere Informationen zur genauen Lage und zum Umfang der Lagerstätte einholen und eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung veranlassen, so Zerger. "Auch wenn nur auf polnischer Seite gebohrt wird, hat das auf jeden Fall auch Auswirkungen auf die deutsche Seite", erklärt der frühere Umweltmanager der Deutschen Bahn. "Für die Ausbeutung der Vorkommen müssen nicht nur Fördertürme und eine Pipeline gebaut werden, das bedeutet auch mehr Schiffsverkehr."
"Solche Jubelmeldungen sind immer mit Vorsicht zu genießen"
Zerger ist aber auch skeptisch, was die wirtschaftlichen Aussichten einer Förderung angeht. "Solche Jubelmeldungen sind immer mit Vorsicht zu genießen. Die Angaben von Konzernen wie CEP sind nicht zu überprüfen, und noch ist nicht klar, ob sich das Vorkommen vor Usedom technisch überhaupt so ausbeuten lässt, dass es sich wirtschaftlich lohnt." Grundsätzlich hält es der Umweltschützer für eine "Katastrophe, dass man im 21. Jahrhundert, vor dem Hintergrund der Klimakrise, überhaupt noch mit Öl und Gas anfängt."
Dass es überhaupt zur Erkundung neuer fossiler Lagerstätten kommt, hängt laut Constantin Zerger auch mit der Energiekrise im Zuge des russischen Überfalls auf die Ukraine zusammen. "Viele Rohstoffkonzerne haben unheimlich an der Energiekrise verdient und sind nur deshalb überhaupt in der Lage, neue Vorkommen zu erschließen." Angesichts des globalen Trends zu erneuerbaren Energien und tendenziell sinkenden Erlösen für fossile Energieträger sähen die Ölkonzerne jetzt ihre letzten Chancen gekommen, so Zerger: "Entweder jetzt noch mal oder nie wieder."
- ndr.de: Gericht verhandelt über Containerhafen Swinemünde
- notesfrompoland.com: "Biggest oil discovery in Poland’s history" made in Baltic Sea (englisch)
- notesfrompoland.com: German group files further legal challenge to planned Polish deepwater port (englisch)
- businessinsider.com.pl: 22 Millionen Tonnen Öl in der Ostsee entdeckt. Wir haben herausgefunden, wer dahinter steckt. (polnisch)
- businessinsider.com.pl: Das größte Ölvorkommen Polens wurde entdeckt. "Die Entdeckung des Jahrzehnts." (polnisch)
- Pressemitteilung CEP zum Fund vor Usedom
- E-Mail vom Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern vom 22. Juli
- Telefonat mit Constantin Zerger von der Deutschen Umwelthilfe am 22. Juli
- Eigene Recherche