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Zum journalistischen Leitbild von t-online.100-Milliarden-Euro-Projekt Chefsache FCAS: Kann Merz den Kampfjet noch retten?

Frankreichs Präsident ist zu Gast in Berlin. Es dürfte ein anstrengender Besuch werden: Auf dem Spiel steht eines der größten Rüstungsprojekte Europas.
Beim Arbeitsbesuch von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Mittwochabend in der Villa Borsig in Berlin dürfte ein Thema ganz oben auf der Agenda stehen: Die Zukunft des gemeinsamen Kampfjets FCAS. Die Abkürzung steht für Future Combat Air System, zu deutsch Luftkampfsystem der Zukunft.
Spannungen gibt es bei dem 2017 von Berlin und Paris beschlossenen Rüstungsprojekt schon länger, nun droht die Entwicklung eines modernen, europäischen Tarnkappenbombers gar zu scheitern. "Es geht nicht darum, das Projekt zu verlassen, sondern zu entscheiden, ob es fortgesetzt wird oder nicht", sagte am Dienstag der Chef des französischen Flugzeugbauers Dassault, Eric Trappier.
Dassault ist zuständig für die Entwicklung des eigentlichen Kampfjets, der im Einsatz von Drohnenschwärmen begleitet werden und in einer Datenwolke mit anderen Kampfeinheiten kommunizieren soll. Erst kürzlich hatte Dassault-Chef Trappier die Politik aufgeschreckt mit der angeblichen Forderung, dass sein Konzern 80 Prozent der Entwicklung von FCAS übernehmen sollte.
Entsprechende Berichte wies Trappier bei der Halbjahrespressekonferenz am Dienstag zwar zurück. Zugleich bekräftigte der selbstbewusste Konzernchef aber die Forderung nach einer klaren Führung bei FCAS und kritisierte übertrieben "demokratische Abstimmungen" bei dem Projekt – eine Breitseite gegen den deutsch-franzöischen Projektpartner Airbus.
Paris soll Berlin ein Angebot gemacht haben
Nach den bisherigen Vereinbarungen sollen Frankreich, Deutschland und Spanien zu je einem Drittel an der Entwicklung des Nachfolgers des deutschen Eurofighter und der französischen Rafale beteiligt werden. Während Frankreich beim FCAS die Führung übernehmen sollte, war Deutschland diese Rolle bei dem gemeinsam zu entwickelnden Kampfpanzer MGSC (Main Ground Combat System) zugedacht. Der MGSC sollte eigentlich ab 2040 den Leopard 2 und den französischen Kampfpanzer Leclerc ablösen. Doch auch bei diesem schon 2012 verabredeten Rüstungsprojekt gibt es Streit zwischen den Partnern.
Wenn es nach Trappier geht, soll Dassault nun als Entwickler des eigentlichen Kampfjets frei über die Verteilung von Subunternehmen entscheiden können. "Und wenn die einen die Aufgabe nicht erfüllen können, will ich die Freiheit zum Wechsel haben", so Trappier. Einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zufolge soll Paris Berlin bereits eine Art Tausch angeboten haben: Wenn Dassault die Führung bei der Entwicklung des Kampfjets bekommt, soll die in Bayern ansässige Rüstungssparte von Airbus mehr Autonomie bei der Entwicklung der begleitenden Drohnensysteme bekommen.
Das aber soll Berlin abgelehnt haben, um technologisch nicht ins Hintertreffen zu geraten im strategisch wichtigen Bereich der Kampfjetentwicklung. Auch die Frage nach dem geistigen Eigentum und den künftigen Exportaussichten sollen Gegenstand des deutsch-französischen Gezerres sein. Für Frankreich ist zudem die Zeitfrage entscheidend: FCAS soll die alternden Kampfjets vom Typ Rafale ersetzen, die zu Frankreichs nuklearer Abschreckung gehören. Und die für 2040 angestrebte Indienststellung von FCAS gilt bereits als fraglich.
Offen ist, ob Macron und Merz den Streit über das Projekt mit geschätzten Kosten von bis zu 100 Milliarden Euro beilegen können. Der Kanzler hatte kürzlich eingeräumt, dass es "unterschiedliche Auffassungen" darüber gebe, wie das Konsortium zusammengesetzt werde. "Ich möchte unbedingt, dass wir bei den Verabredungen bleiben, die wir im Hinblick auf FCAS mit Frankreich und Spanien getroffen haben", sagte er beim Besuch Nato-Generalsekretär Mark Rutte Anfang Juli in Berlin.
Paris hält sich bedeckt
"Aber wir sind hier noch nicht bei einem Ergebnis, das mich abschließend zufriedenstellt", so Merz weiter. Die Regierung in Paris wiederum hält sich zu ihrer Position nach außen bedeckt – und scheint die Kommunikation in der Frage Dassault-Chef Trappier zu überlassen.
Zugespitzt hat sich der Streit zuletzt vor allem wegen Donald Trump. Seit ihrem Antritt im Januar macht die US-Regierung immer wieder deutlich, dass ihr an der Verteidigung Europas nicht viel liegt. Gleichzeitig waren westliche Militärs und Geheimdienste immer eindringlicher vor der Gefahr eines baldigen russischen Angriffs auf Nato-Territorium. Bis 2030 müsse Deutschland verteidigungsfähig werden, so das Mantra von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Im Zuge der Rüstungsdebatte sind nun auch die ungeklärten Konflikte bei FCAS wieder stärker in den Blick geraten.
GCAP macht FCAS Konkurrenz
Hinzukommt, dass FCAS bald in eine neue Projektphase eintritt. Derzeit läuft die Phase 1B, in der die Technologie für den sogenannten Demonstrator entwickelt wird. Ein Demonstrator ist eine Art Machbarkeitsstudie, aber noch kein vorführbarer Prototyp. In der 2026 beginnenden Phase 2 soll bis 2029 zunächst ein flugfähiges Modell entwickelt werden, das der Vorstufe eines Prototyps entspricht. Dassault-Chef Trappier dürfte also deshalb Druck machen, um vor dem Eintritt in die konkretere Phase 2 klare Verhältnisse bei FCAS zu schaffen.
Klar ist, dass sowohl Macron als auch Merz ein Interesse an einer schnellen Beilegung des Streits haben, denn: Die Konkurrenz schläft nicht. So wollen Großbritannien, Italien und Japan nun ihrerseits unter dem Namen GCAP (Global Combat Air Programme) oder Tempest einen neuen Tarnkappen-Bomber entwickeln.
Anfang Juni gab die EU-Kommission grünes Licht für die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens. Dieses soll die japanischen F-2-Kampfflugzeuge sowie die britischen und italienischen Eurofighter ersetzen. Deutschland dagegen will seine Eurofighter-Flotte durch US-Kampfjets vom Typ F-35 ersetzen. Dabei sollte nicht zuletzt FCAS helfen, die europäische Abhängigkeit von amerikanischen Waffen zu überwinden.
- theaviationist.com: Dassault Seeks 80% of FCAS Workshare to Get the Delayed Program Moving
- flightglobal.com: Dassault warns over FCAS future unless ‘clear leader’ is appointed
- faz.net: Neuer Streit um Europas teuerstes Rüstungsprojekt
- tagesschau.de: Gemeinsamer Kampfjet vor dem Aus?
- bundeswehr.de: FCAS – Future Combat Air System
- Material der Nachrichtenagenturen AFP und Reuters
- Eigene Recherche