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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Migrationskritische Partei "Japan-AfD" feiert Wahlsieg

Eine nationalistische Partei sichert sich bei den Senatswahlen in Japan überraschend große Stimmanteile. Sanseito zeigt inhaltliche Nähe zur AfD in Deutschland.
Ihr Erfolg war eine Überraschung für viele Experten. Bei den Senatswahlen in Japan am vergangenen Wochenende gelang es der rechtspopulistischen Sanseito (zu Deutsch: "Teilhabepartei"), rund 12 Prozent der Stimmen auf sich zu vereinen, obwohl die Partei erst vor fünf Jahren gegründet wurde.
Die Rechtspopulisten verfolgen einen migrationskritischen Kurs. Sie haben politische Nähe zur rechtsextremen AfD in Deutschland und bezeichnen US-Präsident Donald Trump als politisches Vorbild. Doch warum ist in Japan gerade jetzt eine derartige Partei im Aufschwung? t-online gibt einen Überblick.
Reispreis und schwache Wirtschaft
2020 ging Sanseito aus dem YouTube-Kanal eines gewissen Sohei Kamiya hervor. Auf seinem Kanal vertrat Kamiya hauptsächlich fremdenfeindliche politische Ansichten und verbreitete Verschwörungstheorien. So erklärte er, dass die Juden hinter dem Untergang des Japanischen Kaiserreichs ständen. Während der Corona-Pandemie 2020 entschloss er sich, seine unterschiedlichen politischen Inhalte in einer Partei zusammenzuführen. Bei der zwei Jahre später stattfindenden Senatswahl errang Sanseito daraufhin 3,3 Prozent der Stimmen und zog mit einem Abgeordneten – Kamiya selbst – in den japanischen Senat (Shūgiin) ein. Japan hat ähnlich wie die USA oder Großbritannien ein Zwei-Kammer-System, wobei ein Gesetz von beiden Kammern angenommen werden muss. Der Shūgiin ist dabei die etwas wichtigere der beiden Kammern, da er die Entscheidungen der anderen Kammer (Sangiin) überstimmen kann.
Dass es der Partei innerhalb von drei Jahren gelang, ihr Ergebnis nahezu zu vervierfachen, liegt laut dem japanischen Journalisten Daiki Sakakibara an der wirtschaftlichen Situation Japans und der damit verbundenen Wut auf die Regierung. Seit Jahren wächst die japanische Wirtschaft nur noch im Kommabereich und leidet unter einer enorm schwachen Währung. Doch das größte wirtschaftliche Problem in Japan ist der Reispreis. Der ist in diesem Jahr explodiert und ist nun mehr als doppelt so teuer wie noch vor einem Jahr. "In Japan ist das eine große Sache", so Sakakibara.
Sanseito findet auf die wirtschaftliche Schwächephase des Landes vor allem eine Antwort: Die Partei möchte der Migration nach Japan einen Riegel vorschieben. In Anlehnung und Huldigung an Donald Trump nennen die japanischen Rechtspopulisten diese Politik "Japan First". Diese migrationsfeindliche Rhetorik verfängt laut Sakakibara besonders bei einer Gruppe von Menschen, nämlich der "verlorenen Generation". Dies bezeichnet in Japan Menschen, die zwischen 1970 und 1980 geboren wurden und während oder direkt nach der großen Wirtschaftskrise die Schule oder Ausbildung beendet haben und aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation nie richtig auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen konnten.
Drei Prozent Ausländeranteil
Doch auch bei Jungwählern konnte die Partei punkten, die internetaffiner sind als ältere Generationen. Laut einer Nachwahlbefragung der japanischen Zeitung "The Asahi Shimbun" gaben 37 Prozent der Wähler von Sanseito an, bei der Wahlentscheidung durch die sozialen Medien beeinflusst worden zu sein, mehr als bei der jeder anderen Partei. "Sanseito profitiert zum einen von der Schwäche der anderen Parteien in den sozialen Medien, zum anderen hat die Partei eine sehr gute eigene Präsenz im Internet. Sehr eingängige Slogans und leicht verständliche Botschaften wie zum Beispiel 'Japan First'", so Sakakibara.
Doch die Partei profitiert laut dem Journalisten auch noch von dem Umstand, dass durch den schwachen Yen in den vergangenen Jahren immer mehr Touristen in das Land gekommen sind. Das habe dazu geführt, dass besonders in den touristischen Gegenden die Ablehnung gegen Ausländer noch einmal gestiegen sei. Generell hat die Migration nach Japan in den letzten Jahren zugenommen. Offiziellen Statistiken zufolge leben insgesamt knapp 3,7 Millionen Ausländer in Japan, was bei einer Bevölkerung von 123 Millionen Menschen rund drei Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Ausländeranteil bei rund 15 Prozent und ist damit knapp fünfmal so hoch wie in Japan.
Auffällige Ähnlichkeiten zur AfD
Ein weiterer Faktor für den Wählerzuwachs der Rechtspopulisten könnte laut Sakakibara die konservative Liberaldemokratische Partei (LDP) sein. Die Partei, die seit Jahren in Japan regiert, war unter dem langjährigen Premierminister Shinzō Abe deutlich nach rechts gerutscht. Nach dessen gewaltsamen Tod im Jahr 2022 orientierte sich die Partei wieder stärker zur politischen Mitte hin, was laut Sakakibara ein Machtvakuum offen ließ, welches die Rechtspopulisten besetzen konnten.
Darüber hinaus weist die Sanseito laut dem Journalisten viele Ähnlichkeiten mit der AfD auf. So kritisierten die japanischen Rechtspopulisten während der Corona-Pandemie die Maßnahmen der Regierung scharf und verbreiteten Verschwörungstheorien gegen das Impfen. Zwar sprach sich die AfD zu Beginn der Pandemie für strenge Regeln gegen das Coronavirus aus, doch nach ungefähr einem Jahr sprang die Partei auf den Anti-Lockdown-Zug auf. Das erschloss beiden Parteien eine Wählerschaft, die sie allein mit einer fremdenfeindlichen Rhetorik nur schwer für sich hätten gewinnen können.
Russlandnähe und Antisemitismus
Daneben verbinden Sanseito und AfD auch noch eine dubiose Nähe zu Russland. So wurde ein Mitglied der Partei sehr prominent vom russischen Propagandasender "Sputnik" interviewt, was laut Sakakibara bei einigen Beobachtern die Sorge aufkommen ließ, dass Russland versuchen könnte, sich in die Wahl in Japan einzumischen. Zwar distanzierte sich Parteigründer Kamiya von dem Interview seines Parteikollegen, doch auch er hatte in der Vergangenheit gefordert, dass die Sanktionen gegen Russland abgeschwächt werden sollten und er behauptete, dass "Russland nicht allein schuld sei am Krieg in der Ukraine". Japan zählt zu den größten Unterstützern der Ukraine in Asien und arbeitet dabei eng mit der Nato zusammen.
Auch das sonstige Programm ist der AfD sehr ähnlich. So ist Sanseito gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, sieht die Rolle der Frau vor allem als Hausfrau und Mutter und leugnet die Verbrechen des eigenen Landes im Zweiten Weltkrieg. Darüber hinaus ist Kamiya in der Vergangenheit mit antisemitischen Verschwörungstheorien aufgefallen. So sagte er unter anderem, dass das "jüdische internationale Kapital" von der Corona-Pandemie profitiere.
Trotz dieser Ähnlichkeiten gibt es laut dem Journalisten aber bislang keine Kontakte zwischen den Rechtspopulisten in Deutschland und Japan. Doch Sakakibara hält es für möglich, dass sich diese nach dem überraschend guten Abschneiden der Sanseito jetzt etablieren könnten. Denn auch die AfD sucht international immer wieder nach politischen Kräften, die eine ähnliche Ideologie vertreten wie sie selbst.
- Gespräch mit Daiki Sakakibara
- timesofindia.indiatimes.com: "Japanese first voters back Trump-inspired party to Make Japan Great Again, wins big in key elections" (Englisch)
- scmp.com: "What’s behind the rise of Japan’s Sanseito, a far-right, Trump-loving, anti-vaccine party?" (Englisch)
- asahi.com: "Japan’s far-right Sanseito riding wave of young voters" (Englisch)