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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Experte über Israel-Iran-Konflikt "Dann könnte die Stimmung rasch kippen"

Nach dem Angriff Israels auf den Iran droht die Lage zu eskalieren. Ein Experte warnt, dass auch die Bevölkerung rebellieren könnte – in beiden Ländern.
Der Konflikt zwischen Israel und dem Iran ist in der Nacht weiter eskaliert. Nachdem Israel im Rahmen der Operation "Rising Lion" zahlreiche Ziele im Iran attackiert hat, schlug der Iran in der Nacht mit mehreren Wellen zurück. Auch Israel greift weiter an.
Beide Seiten haben bereits angekündigt, ihre Angriffe in den nächsten Tagen fortzusetzen. Der Nahostexperte Richard C. Schneider sagt t-online, es sei das Ziel der israelischen Regierung, "die iranische Bedrohung als Ganzes auszuschalten". Dabei gehe es nicht nur um das Atomprogramm, sondern auch sämtliche Vermittler. Das sei bei der Hisbollah im Libanon und der Hamas in Gaza bereits teilweise gelungen.
Experte Schneider: Noch steht die Bevölkerung hinter Netanjahu
"Die sogenannte 'Achse des Widerstands' ist heute nicht mehr vollständig funktionsfähig", erklärt Schneider. Laut Schneider empfinden Netanjahu und viele Israelis den Iran mit seinen Stellvertretern als existenzielle Bedrohung.

Zur Person
Richard C. Schneider war von 2006 bis 2016 Leiter des ARD-Studios Tel Aviv. Später war er zunächst für den "Spiegel" in der Region unterwegs, mittlerweile arbeitet er für die "Neue Zürcher Zeitung". Zuletzt veröffentlichte er das Buch "Die Sache mit Israel, 5 Fragen zu einem komplizierten Land".
In Israel stehe die Bevölkerung daher aktuell mehrheitlich hinter der Entscheidung der Regierung, den Iran anzugreifen. So seien "die Zustimmung und Unterstützung in der israelischen Gesellschaft überwiegend groß", betont Schneider. "Es gibt einen breiten Konsens, dass ein atomarer Iran eine existenzielle Bedrohung für das Land wäre."
Das sei aber nicht für immer garantiert. Sollte die Zahl der Toten steigen und das Ausmaß der Zerstörung massiv steigen, "könnte die Stimmung rasch kippen". Nach den ersten iranischen Angriffen sind drei Todesopfer auf israelischer Seite bekannt, zudem wurden mehrere Häuser stark beschädigt.
Angriff könnte das Gegenteil bewirken
Derweil sieht Schneider im Iran die Möglichkeit eines Umsturzes. Wenn die Bevölkerung merke, dass das Regime im Laufe des Krieges wanke, "dann könnte eine neue Revolution möglicherweise die Herrschaft des Ajatollahs hinwegfegen". Das sei aber keinesfalls sicher: "Das Regime wird mit großer Härte und Brutalität im Land alles tun, um genau das zu verhindern." Auf iranischer Seite gab es nach Staatsangaben bisher über 70 Tote.
Seit der Islamischen Revolution von 1979 ist der Iran eine Islamische Republik mit einem Ajatollah an der Staatsspitze. Der aktuelle Ajatollah, Ali Chamenei, hatte Israel nach dem Angriff schnell Vergeltung geschworen.
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Schneider warnt nun, dass der Angriff Israels das Gegenteil von dem eigentlichen Ziel erreichen könnte: "Wenn das Regime überlebt, dann kann man mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass Teheran den Atomwaffensperrvertrag offiziell aufgeben wird und die Bombe so schnell wie möglich bauen will." Das hätte wohl "neue kriegerische Auseinandersetzungen und Chaos" zur Folge. Für eine eindeutige Prognose sei es aber zu früh.
Allerdings könnte sich der Krieg auch noch ausweiten. Schließlich haben die USA, Jordanien und auch Frankreich erklärt, Israel bei der Verteidigung zu unterstützen. Besonders heikel könne es werden, wenn der Iran sich entscheide, die Straße von Hormus, eine für den Handel wichtige Meerenge, zu sperren oder amerikanische Militärbasen in der Region anzugreifen. Dann "dürfte die US-Army in den Krieg möglicherweise auch aktiv einbezogen werden", erklärt Schneider. In dem Fall würde Israel "nicht mehr allein angreifen".
- Anfrage an Richard C. Schneider