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Außenpolitik der USA, China und Russland: "Hat Trump gründlich zertrümmert”


Historiker Greiner
"Ein Dauerdrama, Sadismus inbegriffen"

InterviewVon Marc von Lüpke

12.06.2025 - 12:28 UhrLesedauer: 8 Min.
Donald Trump: Der US-Präsident setzt seine "America-First"-Politik um.Vergrößern des Bildes
Donald Trump: Der US-Präsident setzt seine "America First"-Politik um. (Quelle: Evelyn Hockstein/reuters)
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Donald Trump setzt in der Außenpolitik auf Furcht und Schrecken, ohne Hemmungen will der US-Präsident seine Ziele durchsetzen. Historiker Bernd Greiner analysiert die Lage.

Die USA stehen für Donald Trump an erster – und einziger – Stelle. Brachial setzt der US-Präsident selbst Verbündete unter Druck und demütigt bisweilen Staatsgäste im Oval Office. Wie gefährlich könnte diese Art der Außenpolitik für die Welt werden? Ziemlich gefährlich, warnt Bernd Greiner, Historiker und Experte für die Geschichte der USA.

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Im Gespräch erklärt Greiner, wie Trump vorgeht und warum seine Außenpolitik keinesfalls ein Ausrutscher in der amerikanischen Geschichte ist.

t-online: Herr Greiner, Besuche im Oval Office bei Donald Trump sind mittlerweile gefürchtet, immerhin blieben Bundeskanzler Friedrich Merz kürzlich Blessuren erspart. Wie betreibt Donald Trump Außenpolitik?

Bernd Greiner: Donald Trump hat es selbst einmal auf eine griffige Formel gebracht. "I run the world": Trump glaubt tatsächlich, nicht nur die USA, sondern die ganze Welt zu regieren – und zwar, wie er selbst sagt, mit dem Mittel der Angst und der Einschüchterung. Er hält sich für das Maß aller Dinge. Tatsächlich denkt und handelt Trump aber wie ein Mafioso. In der Außenpolitik – und nicht nur dort – hat er Unberechenbarkeit und Verrohung zum Geschäftsmodell erkoren. Trump will andere an die Wand drücken und erpressen. Er ist ein "Bully", ein Rowdy, ein Rüpel.

Trump wendet die militärische Taktik von "Shock and Awe" – "Furcht und Schrecken" – also in der Diplomatie an?

So ist es. Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit bilden den Goldstandard der internationalen Diplomatie, das hat Trump nun gründlich zertrümmert. Er hält sich an keine Spielregeln, selbst an die nicht, die er selbst definiert hat. Was Trump am Montag verkündet hat, kann ja am Dienstag bereits Makulatur sein. Er führt ein Dauerdrama auf, Sadismus inbegriffen. Erinnern wir uns doch an die Behandlung Wolodymyr Selenskyjs im letzten Februar, gefolgt vom Umgang mit dem südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa im Mai.

Zur Person

Bernd Greiner, Jahrgang 1952, ist habilitierter Historiker, Politologe und Amerikanist. Bis 2014 leitete Greiner den Arbeitsbereich "Theorie und Geschichte der Gewalt" am Hamburger Institut für Sozialforschung, 2015 war der Historiker Gründungsdirektor des "Berlin Center for Cold War Studies". Greiner lehrte an der Universität Hamburg und ist Autor zahlreicher Bücher, darunter eine Biografie Henry Kissingers, "Wächter des Imperiums" (2020), und eine Bilanz amerikanischer Außenpolitik: "Made in Washington. Was die USA seit 1945 in der Welt angerichtet haben" (2021). Am 18. September 2025 erscheint mit "Weißglut. Die inneren Kriege der USA – Eine Geschichte seit 1900" Greiners neues Buch im Verlag C.H. Beck.

Gleichwohl müssen die Europäer und der Rest der Welt irgendwie ein Auskommen mit Trump finden. Haben Sie eine Empfehlung?

Wer glaubt, dass sich jemand wie Trump besänftigen und einbinden ließe, macht sich zum Narren. Momentan können die USA ihre Überlegenheit noch auf vielen Feldern ausspielen. Und trotzdem ist ihre Position längst nicht mehr unangefochten. Nötig ist eine Art Unabhängigkeitserklärung der Europäer gegenüber den Vereinigten Staaten. Nehmen wir den digitalen Raum: Dort herrscht eine Abhängigkeit Europas von den USA, die der früheren Abhängigkeit von russischer Energie in nichts nachsteht. Und was das Militärische betrifft, wäre Europa gut beraten, nicht alles wiederzukäuen, was aus Washington aufgetischt wird – also sein Heil in einer endlosen Hochrüstung zu suchen.

Sie beschreiben einen Kraftakt, der reichlich Zeit und europäische Solidarität erfordert.

Vor uns liegt ein steiniger Weg, da dürfen wir nicht blauäugig sein. Aber auf die eigene Stärke zu setzen und eine verstärkte europäische Kooperation und Integration zu realisieren, ist der einzig sinnvolle Weg. Also weg von der Logik des Nullsummenspiels und der Vorstellung, dass man selbst nur gewinnen kann, was man anderen wegnimmt. Diese von Trump favorisierte Idee ist naiv und obendrein gefährlich.

Was heißt das konkret?

Es bedeutet in erster Linie, dass Probleme wie Klimakollaps, Pandemien oder Migration eine arbeitsteilige Herangehensweise verlangen. Entweder man findet gemeinsame Lösungen oder man scheitert zusammen.

Die Vereinigten Staaten erleben einen relativen Machtverlust, Trump macht vor allem China dafür verantwortlich. Wie weit könnte der Konflikt eskalieren?

Dass absteigende Weltmächte versuchen, aufsteigenden Konkurrenten in die Parade zu fahren, ist historisch nichts Neues. Und dass sie bei der Wahl konfrontativer Mittel zum Scheitern verurteilt sind, ist ebenfalls ein Muster.

Die von Ihnen beschriebene Konstellation wird als Thukydidesfalle bezeichnet, benannt nach dem Historiker des Krieges zwischen Athen und Sparta in der Antike.

Genau. Im Grunde ähneln sich die historischen Konstellationen seit der Antike bis in unsere Gegenwart immer wieder. All diese Eskalationen und verheerenden Zuspitzungen gehen stets von einem Nullsummenspiel aus, damit pflastert man den Weg ins Desaster. Wenn Trump und seine Administration an ihrem Kurs festhalten, riskieren sie eine Eskalation mit unüberschaubaren Folgen – wie andere Imperien in der Vergangenheit, die sich mit ihrem Machtverlust nicht abfinden wollten.

Droht gar Krieg im Pazifik? Trump rühmt sich immer wieder, keine Kriege zu beginnen, sondern sie zu beenden.

Wer wie Trump gegenüber China auf Eskalation setzt, setzt unkontrollierbare Dynamiken in Gang. Denken Sie nur an den Juli 1914. Damals wollte niemand in Berlin, Wien, London, Paris und Sankt Petersburg einen mehrjährigen Weltkrieg vom Zaun brechen. Und gleichzeitig war niemand willens oder fähig, rechtzeitig auf die Bremse zu treten. Dies im Blick zu behalten und sich den USA gegebenenfalls entgegenzustellen, ist im ureigensten Interesse der Europäischen Union.

Dringt man mit Vernunft zu Trump durch?

Trump und Vernunft passen nicht zusammen. Davon abgesehen sollten wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass wir es bei den Vereinigten Staaten mit einem gutmütigen Imperium zu tun hätten, das unter Trump lediglich auf Abwege geraten wäre.

Trumps Slogan von "America First" ist jedenfalls nicht seine Erfindung.

Trump ist kein Betriebsunfall der Geschichte. Was er heute propagiert, hat zahlreiche Vorläufer in der amerikanischen Geschichte. Denken Sie an William McKinley, den 25. Präsidenten der Vereinigten Staaten, den Trump heute bewundert, weil er seinerzeit für gewaltige Schutzzölle verantwortlich zeichnete. Und dieser McKinley agierte im ausgehenden 19. Jahrhundert wie ein rabiater Imperialist.

1898 führten die USA Krieg gegen Spanien und annektierten die Philippinen, Guam, Puerto Rico und Hawaii.

Exakt. Trumps Drohungen an die Adresse Kanadas und Grönlands oder seine Ansprüche auf den Panamakanal fügen sich in diese Tradition. Ich war darüber wenig erstaunt.

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Inwiefern?

All dies passt zu "America First". Die USA reklamieren für sich das Recht zur Expansion. Dieser Anspruch basiert auf der religiös aufgeladenen Vorstellung, von himmlischen Kräften zur Führungsmacht auf diesem Planeten bestimmt zu sein. Wir müssen "America First" ganz wörtlich verstehen. Bezogen auf die Welt seit 1945 bedeutet das, wie selbstverständlich die Rolle als globale Hegemonialmacht in Anspruch zu nehmen. Für alle anderen – Freund und Feind – sind Plätze in den hinteren Reihen reserviert.

Bei Trump noch etwas weiter hinten als bei seinen Vorgängern von den Demokraten?

In jedem Fall. Aber wir sollten die Präsidenten der USA insgesamt in einem etwas weniger rosigen Licht sehen. Schauen Sie sich einmal deren Antrittsreden oder außenpolitischen Grundsatzerklärungen seit 1945 an. Die Überzeugung, dass die USA eine auserwählte, allen anderen überlegene Nation sind und bleiben müssen, durchzieht alles – egal, ob Republikaner oder Demokraten den Präsidenten stellen. Unter Trump verdichtet sich diese Tradition zu einem ebenso anmaßenden wie ignoranten Hyper-Nationalismus. Das macht die Sache so gefährlich.

Womit wir wieder bei Furcht und Schrecken sind, mit denen Trump operiert.

Auch das ist keineswegs Trumps Erfindung. Richard Nixon hantierte mehrfach mit der "Madman-Strategie“, in der Theorie wie in der Praxis. Er wollte andere, zum Beispiel Ho Chi Minh in Nordvietnam, mit der Suggestion zum Nachgeben zwingen, dass in Washington ein Irrer das Kommando führt, der im Zweifel zu allem fähig ist.

In Ihrem Buch "Made in Washington" zitieren Sie Nixons Berater Henry Kissinger: "Wann immer wir Gewalt einsetzen, müssen wir es auf eine leicht hysterische Weise tun."

Kissinger war wiederholt Nixons Papagei. In diesem Fall raunte er von der angeblichen Kunst, durch das Vortäuschen von Irrationalität und Unberechenbarkeit sowie durch schnelles, brutales Überreagieren auch in scheinbar ausweglosen Situationen anderen seinen Willen aufzunötigen. Ob Trump je davon gehört oder darüber gelesen hat, sei dahingestellt. Aber ein derartiges Auftreten entspricht seinem mafiösen Naturell.

Ist Trump gut darin?

Trump kann gut den wilden Mann markieren, aber er ist eben kein Nixon. Nixon spielte mit Irrationalität, er täuschte sie vor. Das aber kann man von Trump nicht unbedingt behaupten. Damit sind wir bei einem wesentlichen Punkt: So sehr Trump an Traditionen und Vorbilder anknüpft, er fällt doch immer wieder aus dem Rahmen.

Was meinen Sie damit?

Über seine diktatorischen Fantasien haben wir schon gesprochen. Ein Weiteres kommt hinzu. Seit Gründung der Vereinigten Staaten vor fast 250 Jahren hat kein Präsident sein Amt derart zur persönlichen Bereicherung missbraucht. Was Trump tut, ist völlig schamlos und hemmungslos. Seine gesamte Nahostpolitik ist darauf ausgelegt, in die eigene Tasche zu wirtschaften, von Katar lässt er sich wie zum demonstrativen Beleg auch noch einen Jumbojet schenken. Dazu passt auch der Zollzirkus. Hier gibt es Hinweise, dass Trumps eigene Firmen und ein paar Geschäftspartner von den damit einhergehenden Spekulationen auf sinkende oder steigende Börsenkurse profitiert haben. Insiderhandel nennt man das, normalerweise wandert man dafür ins Gefängnis. Nicht zuletzt folgt die Forderung an die Nato-Partner zur massiven Erhöhung ihrer Rüstungsetats einem wirtschaftlichen Profitmotiv. Denn wo soll Europa das Gros seiner neuen Rüstungsgüter bestellen? Selbstverständlich in den USA. Europas Rüstung als Konjunkturprogramm für Amerika und als Devisenpumpe für Trumps Oligarchen – es klingt überspitzt und kommt der Wahrheit doch sehr nahe.

Gibt es eine rote Linie, die Trumps Außenpolitik kennzeichnet?

Immer wieder werden Trump irgendwelche Rationalitäten unterstellt, etwa der Versuch, China und Russland durch raffiniertes Taktieren gegeneinander auszuspielen und damit Richard Nixon nachzueifern. Solche Analogien greifen ins Leere. Trump folgt lediglich kurzfristigen Gewinnerwartungen. Das schien bei seinem bizarren Vorschlag durch, aus Gaza eine Art Riviera zu machen. Und wenn daraus nichts wird, baut er seine Trump-Towers eben an anderer Stelle. In Moskau zum Beispiel.

Donald Trump wollte den Ukraine-Krieg eigentlich binnen 24 Stunden beendet haben, nun tobt dieser Konflikt weiter. Warum tritt Trump Russland nicht energischer entgegen?

Trump hat mit dem untrüglichen Sinn eines Straßenschlägers erkannt, dass Putin Stärke simulieren muss, um seine Schwäche zu kaschieren. Davon abgesehen, interessiert ihn die Ukraine nicht, allenfalls als Quelle von Rohstoffen. Auf China hingegen ist er manisch fixiert, dessen Stärke treibt ihn um. Er sieht in Peking einen Konkurrenten, den man zurechtweisen und degradieren muss. Im Umkehrschluss sollte man das dortige Regime nicht idealisieren. Aber für den Umgang mit einem Staat wie China fehlen Trump alle Voraussetzungen. Er ist für sein Amt in jeder Hinsicht ungeeignet, er hat keine Geduld, ist leicht erregbar, ausgesprochen rachsüchtig und unwillig, sich mit komplexen Zusammenhängen auseinanderzusetzen.

Sie hatten Europa zu einer Unabhängigkeitserklärung an die USA aufgefordert. Würde dies in Washington nicht wiederum eine Gegenreaktion zeitigen?

Die USA sehen es prinzipiell nicht gern, wenn ihr hegemonialer Führungsanspruch infrage gestellt wird. Die Ostpolitik von Bundeskanzler Willy Brandt hat Richard Nixon seinerzeit die Wände hochgejagt: Ein wichtiger Bündnispartner, eine europäische Mittelmacht, nahm für sich das Recht in Anspruch, eigene Interessen zu verfolgen und selbstbewusst gegenüber Washington aufzutreten. Unerhört! Dennoch lässt sich mit kluger Diplomatie vieles erreichen, zumal die USA ihren Zenit überschritten haben und mehr denn je an die Grenzen ihrer Macht stoßen – auch wenn Trump und seine Entourage das nicht anerkennen wollen oder können.

Die Düpierung alter Verbündeter wie Kanada, Japan und Europa dürfte eher den Gegenspielern der USA nützen?

Darauf könnte es hinauslaufen. "Wenn dein Feind einen Fehler macht, störe ihn nicht dabei", sagte ein ranghoher Beamter der chinesischen Regierung unlängst in einem Interview. Umso wichtiger ist es, nicht weiter wie das Kaninchen auf die Schlange im Weißen Haus zu starren und die intellektuelle Energie auf das Interpretieren von Trump zu verschwenden. Das Nachdenken über Wege aus der Gefahr, die Arbeit an positiven Visionen sollte im Mittelpunkt stehen, darauf kommt es an.

Herr Greiner, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Bernd Greiner via Telefon
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