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Russland und Dirigent Waleri Gergijew hat sich an Putin verkauft


Kolumne "Russendisko"
Für Putins Liebling wurde ein Traum wahr

MeinungEine Kolumne von Wladimir Kaminer

24.07.2025 - 09:30 UhrLesedauer: 4 Min.
Wladimir Putin und Waleri Gergijew (Archivbild): Der Dirigent ist ein Mann des Kremls, meint Wladimir Kaminer.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin (l.) und Waleri Gergijew (Archivbild): Der Dirigent ist ein Mann des Kreml, meint Wladimir Kaminer. (Quelle: Valery Sharifulin/imago-images-bilder)
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In der Ukraine lässt Wladimir Putin seine Armee wüten, andernorts soll sein Dirigent Waleri Gergijew zum Einsatz kommen. Der Musiker hat einen kometenhaften Aufstieg hinter sich, meint Wladimir Kaminer.

Schriftsteller sind berüchtigte Spinner und Hochstapler: Sie verwirren uns mit ihren Mythen und Legenden, sodass die Menschen nichts Besseres zu tun haben, als diese Mythen und Legenden nachzuahmen oder zu widerlegen. Mich hat in der Jugend der Bibelkanon sehr verwirrt, er hat mich beinahe überzeugt, dass Männer eine Rippe weniger als Frauen haben. In einem atheistischen Land aufgewachsen, suchten wir, die Jugendlichen, selbstverständlich nicht in unseren sozialistischen Lehrbüchern die Antworten auf die wichtigen Fragen des Lebens.

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Wer sind wir? Woher kommen wir? Unser Staat mit seinen Lehrbüchern wollte uns einreden, wir stammen von den Affen ab. Das hörte sich unglaubwürdig an. Die Bibel bot uns eine andere Variante. Angeblich formte Gott den ersten Mann aus Lehm und schuf später aus seiner Rippe eine Frau, damit sich der erste Mann nicht zu doll langweilt. Als Teenager in der Pubertät haben wir diese Story geliebt. Meine damalige Freundin und ich, wir zählten uns gegenseitig die Rippen. Heute wäre diese Nummer nicht so leicht über die Bühne gegangen, aber damals waren wir beide strohdünn, jede Rippe leicht zu sehen.

(Quelle: Frank May)

Zur Person

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit Jahrzehnten in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Russendisko". Sein aktuelles Buch ist "Mahlzeit! Geschichten von Europas Tischen", am 27. August 2025 erscheint dann "Das geheime Leben der Deutschen".

Wir zählten sie bei mir mehrmals, ich sollte eine weniger haben als die Freundin. Leider erwies sich diese schöne Geschichte als Fake News. Wir hatten beide zwölf, auf beiden Seiten, unabhängig vom Geschlecht, genau wie bei den Affen eben. Seit dieser Enttäuschung stehe ich jeder Legende der Weltliteratur äußerst misstrauisch gegenüber und kann inzwischen eine gewisse Gesetzmäßigkeit erkennen: Je schöner die Legende, umso weniger hat sie mit der Realität zu tun.

Zurzeit beschäftigt mich eine andere schöne Sage: Der Künstler, der seine Seele dem Teufel verkauft und im Austausch dafür magische Kräfte bekommt, die ihn anfangs superproduktiv, letzten Endes aber doch nicht groß, sondern kaputt machen. Der Pakt mit dem Teufel kann nur ins Verderben führen, wenn Deine Kunst dem Bösen dient, möchte der Autor uns sagen.

Pakt zwischen zwei Teufeln?

Und was meinen Sie, liebe Leser? Stimmt die schöne Geschichte? Von wegen! Das Gegenbeispiel liefert uns der russische Musiker Waleri Gergijew, der umtriebige Intendant und Dirigent: Der sich mit allen seinen Seelen und Sälen, mit allen seinen Theatern und Orchestern dem Putin verkauft hat, selbst unersättlich vom Krieg und Leid der Menschen profitiert – und immer wieder im Westen herzlich willkommen ist.

"Gergijew sei ein herausragender Dirigent unserer Zeit", sagte der Chef des italienischen Festivals Un’estate da Re, wo Gergijew am 27. Juli 2025 seinen "Nussknacker" spielen sollte. "Und wir wollen die Kunst nicht zum Spielball der Politik machen." Also wäre Gergijew an dem Datum in der Reggia di Caserta gewesen, im Rahmen des von der Region Kampanien organisierten Festivals. Russische Dissidenten und ukrainische Kulturschaffende waren darüber empört und protestierten heftig, das italienische Kulturministerium war auch gegen den Auftritt.

Doch das Festival untersteht nicht dem italienischen Kulturministerium und kann im Prinzip einladen, wen es will. Nach langem Hin und Her entschied die Festivalleitung, Gergijew wieder auszuladen, vorläufig. In den Medien entfalteten sich daraufhin die Diskussionen: Wie gut ist Gergijew wirklich? Tatsächlich nur gut oder schon herausragend?

Ich würde sagen, der Mann ist sehr sportlich. Mit seinen zwei Privatjets und dem gekauften niederländischen Pass absolviert Putins Liebling bis zu 300 Auftritte im Jahr, er muss also wirklich magische Kräfte besitzen, so viele "Nussknacker" kann niemand pro Jahr dirigieren. Ich habe versucht, Gergijews Routen zu verfolgen: Deutschland, Schweiz, Österreich, Italien, Lettland und Frankreich, überall auf der Welt – Nussknacker, außer in Kanada, dem einzigen Land, das ihn auf eine Sanktionsliste setzte.

Konzert in Ruinen

Gergijew macht mit seiner Anwesenheit Putins Regime im Westen wieder salonfähig: Nachts wird geflogen, vormittags geprobt und abends aufgeführt. Als Putins Vertrauensfigur und Russlands Softpower hatte Gergijew bereits in vielen von den Russen zerbombten Städten gespielt, ob im georgischen Zchinwali oder dem syrischen Palmyra: Zuerst fliegen die russischen Raketen, dann kommen die Panzer und dann gibt Gergijew auf den Ruinen den "Nussknacker".

Der Mann hat während des aktuellen Krieges selbst für die russischen Verhältnisse eine ungewöhnlich erfolgreiche Karriere hingelegt. Kein Geheimdienstler, kein General kann sich mit einem solchen Aufstieg brüsten. Auf Putins Befehl wurde ihm sein größter Wunsch erfüllt, die "Russische Imperiale Theaterdirektion" gegründet, mit Waleri Gergijew als Chef.

Nicht einmal Gergijew selbst weiß, wie viele Theaterhäuser er leitet, aber die zwei größten – das Bolschoi-Theater in Moskau und das Mariinski-Theater in Sankt Petersburg – sind selbstverständlich dabei. Sein eigenes Imperium wächst und wächst, seine sechs Stiftungen bekommen Milliarden vom Staat, das begeisterte Publikum klatscht in die Hände, die Nüsse rollen durch die Welt.

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