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Joe Bidens Versprechen an die Welt hat einen Haken


Neuer US-Präsident
Bidens Versprechen an die Welt hat einen Haken


Aktualisiert am 21.01.2021Lesedauer: 4 Min.
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Joe Biden mit Vorvorgänger Barack Obama: "Nicht jede Meinungsverschiedenheit muss ein Grund für totalen Krieg sein."Vergrößern des Bildes
Joe Biden mit Vorvorgänger Barack Obama: "Nicht jede Meinungsverschiedenheit muss ein Grund für totalen Krieg sein." (Quelle: Patrick Semansky/getty-images-bilder)

Endlich ist er weg! Washington atmet auf, jetzt da die Präsidentschaft Donald Trumps Geschichte ist. An einem historischen Tag verspricht Joe Biden dem Ausland viel – doch es gibt einen Haken.

Es sind dramatische zwei Sätze, aufgeladen mit Pathos, in normalen Zeiten würde man sie übertrieben nennen. Doch es sind keine normalen Zeiten in Amerika.

Als Joe Biden frisch vereidigt als 46. Präsident der Vereinigten Staaten ans Podium an der Westfront des US-Kapitols tritt, sagt er zunächst: "Die Demokratie ist zerbrechlich." Und dann: "Die Demokratie hat gesiegt."

Dort, wo Biden spricht und die wenigen Hundert Gäste versammelt sind, prügelte vor genau zwei Wochen ein Mob und versuchte, eine demokratische Wahl mit Gewalt zu stoppen. Dort, wo eine vom alten Präsidenten angestachelte Meute wütete, startet nun der neue Präsident ins Amt.

Ein außergewöhnlicher Machtwechsel

Was zu anderen Zeiten demokratische Routine gewesen wäre, ist nun ein außergewöhnlicher Machtwechsel, den Washington, die USA und die Welt erlebten. Vier Jahre nachdem Trump selbst die Macht in einer populistischen Revolution erlangte und sein Land in den Schleudergang warf, bis er den Mob auf das Kapitol und Amerikas Politiker hetzte.

Diese Inauguration findet ohne Menschenmassen statt. Bei der Zeremonie sind nur ein paar Hundert Politiker, Gäste und Journalisten anwesend. Das hat mit Corona zu tun und mit der Furcht vor neuem Aufruhr durch Trump-Anhänger. Lady Gaga schmettert die Nationalhymne und Jennifer Lopez verziert den alten Folksong "This Land is Your Land" mit etwas Spanisch.

John F. Kennedy mahnte bei der Amtseinführung einst: "Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann, sondern fragt, was ihr für euer Land tun könnt." Donald Trump unkte von einem "amerikanischen Gemetzel", das er auf der Stelle beenden wolle. Und Joe Biden? Der ist typisch Joe Biden.

Biden: Bitte keinen "totalen Krieg" mehr

Seine Rede kommt ohne brillante Rhetorik aus, aber bietet eindringliche Botschaften und eindeutige Haltung: Amerika könne nur gedeihen, wenn es wieder zusammenfinde und anständig miteinander umgehe, lautet der rote Faden. "Nicht jede Meinungsverschiedenheit muss ein Grund für totalen Krieg sein", sagt der 78-Jährige. Es sind Sätze, die Trump nie glaubhaft hätte sagen können.

Die Rede ist auch – das war zuletzt selten, wenn ein US-Präsident sprach – in der Realität verankert. Wenige Zeiten in der US-Geschichte seien herausfordernder und schwieriger gewesen, sagt Biden.

"Ein neues Kapitel für Amerika und die Welt"

Das ist gewiss keine Übertreibung. Und wohl gerade deshalb ist die Stimmung am Kapitol von Hoffnung geprägt. Es sind die geladenen Gäste der Demokraten, deshalb ist das nicht überraschend, aber doch auffällig. Mit wem man auch vor Ort spricht, sie alle drücken diesen Gedanken aus. Die demokratische Abgeordnete Abigail Spanberger etwa formuliert es stellvertretend für viele so: "Das ist ein neues Kapitel für Amerika und hoffentlich für die gesamte Welt.“

Es geht sowieso auffällig viel um die Welt. Biden selbst spricht ausdrücklich das Ausland an und sagt: "Wir werden unsere Bündnisse reparieren und uns wieder mit der Welt beschäftigen. Selbst die junge schwarze Dichterin Amanda Gorman, die am Ende spricht, richtet ihren Beitrag an "die Amerikaner und die Welt." Hallo Welt, wir sind zurück, das ist die Botschaft des 20. Januars.

In Europa wird man das sehr gern hören. Doch Bidens Versprechen an die Welt hat den Haken, dass der neue Präsident noch dringlicher die tiefe Krise Amerikas im Inneren überwinden muss. Manches wird Biden ändern: Er wird ins Pariser Klimaabkommen zurückkehren, klare Maßnahmen gegen eine Pandemie erlassen, für die sich sein Vorgänger nicht recht interessierte. Bidens Demokraten haben seit Mittwoch auch eine hauchdünne Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses.

Trumps Schadensbilanz

Doch zu Trumps Schadensbilanz zählt ein noch tiefer gespaltenes, verunsichertes, angeschlagenes Land. Corona ist außer Kontrolle, hat bereits 400.000 Leben gekostet und Millionen in Armut geschleudert. Auf eine gemeinsame Realität können sich zwei verfeindete Seiten nicht mehr einigen – und mit tatkräftiger Hilfe von Trump hat sich ein Lager weit von der Realität und womöglich auch der Demokratie entfernt. Trump ist bei einem Großteil seiner Anhänger weiter ein Held, seine Erzählungen – egal wie weit entfernt von der Realität – dominieren weiter bei den einflussreichen Meinungsmachern auf Fox News und in den sozialen Netzwerken.

Interessieren Sie sich für die US-Politik? Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt über seine Eindrücke aus den USA und den Machtwechsel von Donald Trump zu Joe Biden einen Newsletter. die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.

Trump tat in seinen letzten Amtsstunden wenig, um Bidens Projekt der Einheit den Weg zu ebnen. Stattdessen war er seit Andrew Johnson 1869 der erste Präsident, der die Inauguration schwänzte. Im Morgengrauen verließ er ein letztes Mal das Weiße Haus, was bei der Mehrheit der Amerikaner für große Erleichterung sorgte. Eine letzte Rede, ein letzter Flug mit der Air Force One, jetzt ist Donald Trump Ex-Präsident in Florida.

Er verlässt das Weiße Haus mit schlechteren Beliebtheitswerten als seine Vorgänger. Zu seiner Bilanz gehören neben 400.000 Corona-Toten auch 30.000 Lügen, die die nimmermüde "Washington Post" dokumentierte. Das Vertrauen in die Politik ist auf dem Tiefpunkt. Daran wird auch die Feierstunde der Demokratie am Kapitol nichts ändern.

Trump ist weg. Doch das Amerika, das er geschaffen hat, hat er Biden vererbt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen vor Ort, eigene Recherchen
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