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Corona | Verweigerer und Zögerer: Verlieren die USA das Impfrennen?


Verweigerer, Zögerer und Unwissende
Verlieren die USA das Impfrennen?

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns

15.05.2021Lesedauer: 6 Min.
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Joe Biden bei einer Pressekonferenz: Der US-Präsident gibt sich alle Mühe, für das Impfen zu werbenVergrößern des Bildes
Joe Biden bei einer Pressekonferenz: Der US-Präsident gibt sich alle Mühe, für das Impfen zu werben (Quelle: Evan Vucci/ap-bilder)

Die USA drohen beim Impfen zurückzufallen. Händeringend versucht Joe Biden skeptische Anhänger der Republikaner, aber auch Minderheiten zu erreichen. Eine Situation, die auch in Deutschland drohen kann.

Joe Biden ist ein Präsident der leiseren Töne. Aber derzeit klingt er wie ein Marktschreier, der seine verderbliche Ware noch schnell loswerden muss. Oder wie der Moderator eines der vielen rund um die Uhr laufenden Teleshopping-Sender.

Wann und wo der US-Präsident kann, platziert er Sätze wie diese: "Der Impfstoff ist umsonst für jeden – umsonst!", "Texten Sie Ihre Postleitzahl an diese Telefonnummer, und Sie bekommen sofort den nächsten Ort mitgeteilt, an dem Sie sich impfen lassen können" oder: "Es ist einfach. Es ist bequem. Und es ist kostenlos!"

Obendrein gibt Joe Biden Rabattaktionen bekannt. Wer etwa im Bundesstaat Maine Fischer oder Jäger sei, müsse für seine Lizenz nicht mehr bezahlen, wenn er sich impfen lasse. Und wer kein Auto habe, könne sich umsonst von den privaten Fahrdiensten Uber oder Lyft hin und zurück kutschieren lassen. Zuletzt warb Biden mit dem Slogan "Vaxxed or Masked" damit, dass Geimpfte vielfach keine Masken mehr tragen müssten.

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Auch New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio vertilgte kürzlich bei einer Pressekonferenz öffentlichkeitswirksam eine Portion Pommes und einen Burger der Restaurantkette Shake Shack. "Mmmm… vaccination", schmatzte de Blasio in die Kameras, um auf deren Umsonst-Aktion "Get your vax, get your Shack" aufmerksam zu machen.

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Fehlende Impfbereitschaft

So amüsant die politischen Werbemaßnahmen wirken mögen, so ernst ist der Hintergrund: Ausgerechnet die USA, das Land mit dem meisten verfügbaren Impfstoff, drohen das Rennen um eine ausreichende Immunisierung ihrer Bevölkerung zu verlieren. Dabei war dort lange wie auch in Deutschland das erklärte Ziel die sogenannte Herdenimmunität, also der Moment, in dem ausreichend viele Menschen immun gegen Covid-19 sein werden, um zu einem Leben ohne Einschränkungen zurückkehren zu können.

Bis zum amerikanischen Nationalfeiertag, dem Independence Day am 4. Juli, wollte Joe Biden deshalb mindestens 70 Prozent der Erwachsenen zumindest zum ersten Mal geimpft haben. Und immerhin, in den drei Bundesstaaten New Hampshire, Massachusetts und Vermont wurde dieses Ziel bereits erreicht.

Deutschland holt allmählich auf

Doch nach der von Trump gestarteten "Operation Warp Speed" und dem unter Joe Biden forcierten Tempo beim Impfen verlangsamt sich nun der Anstieg der Impfrate in vielen Bundesstaaten immer weiter. Ernüchterung und Sorgen machen sich bei den Verantwortlichen breit.

Laut aktuellen Daten der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC haben bislang rund 43 Prozent der US-Bürger ihre erste Impfung erhalten. Rund 36 Prozent sind bereits vollständig geimpft. Zum Vergleich: Laut Bundesgesundheitsministerium haben in Deutschland inzwischen immerhin rund 36 Prozent der Menschen ihre erste Impfung, rund 11 Prozent haben schon alle Dosen erhalten.

Die Grafik zeigt den prozentualen Anteil der Einwohner in den USA und Deutschland, die bereits die erste Impfdosis erhalten haben (Quelle: Our World in Data):

Werden die USA nun womöglich von anderen Ländern eingeholt werden? Droht auch in Deutschland ein Abfall der Impfgeschwindigkeit? Laut der CDC ist die Impfquote gerade in ländlichen Gebieten deutlich geringer als in Großstädten und in dicht besiedelten Gegenden. Aber selbst in urbanen Gegenden verlangsamte sich zuletzt der Anstieg. Wenn die USA keine ausreichend hohe Immunisierungsquote erreichen, könnte das Land im nächsten Winter erneut von vielen Covid-19-Ausbrüchen heimgesucht werden. Davor warnte zuletzt auch der Immunologe und Chefberater des US-Präsidenten in Gesundheitsfragen Anthony Fauci.

Republikaner-Anhänger zögern

Einer der Gründe für die Verlangsamung sollen Menschen sein, die als "Vaccine Hesitants", "Impfzauderer" bezeichnet werden. So sagen laut Umfragen etwa im Bundesstaat Wyoming mehr als ein Viertel der Erwachsenen, dass sie sich "definitiv nicht" oder "womöglich nicht" impfen lassen wollen. In Ohio, Montana, North Dakota und Kentucky sagen das ebenfalls mehr als 20 Prozent.

Viele US-Medien haben dabei anhand von Umfragen insbesondere Wählerinnen und Wähler der Republikaner ausgemacht. Tatsächlich hatte bereits Mitte April das Umfrageinstitut der Monmouth Universität im Bundesstaat New Jersey erhoben, dass 43 Prozent der Republikaner-Anhänger eine Impfung umgehen wollen. Bei den Demokraten waren es damals nur 5 Prozent, die nicht vorhaben sich impfen zu lassen.

Das ist durchaus bemerkenswert, insbesondere weil Ex-Präsident Donald Trump selbst längst geimpft wurde, er mit der "Operation Warp Speed" einen achtbaren Mit-Erfolg an der schnellen Entwicklung hatte und er die republikanische Anhängerschaft zuletzt wieder dazu aufrief, sich impfen zu lassen. Er sei gewissermaßen der "Vater des Impfstoffes" ließ er zudem verlauten und dieser Impfstoff sei ein "Wunder", sagte er in einem Interview mit der "New York Post".

Übergriffiger Staat und Freiheitseinschränkungen

Trump scheint somit nicht der unmittelbare Grund für die Impfskepsis vieler Republikaner-Anhänger zu sein. Dass die grundsätzliche politische Einstellung aber einer der Hauptgründe ist, sich gegen die Impfempfehlungen des Staates zu stellen, diese Einschätzung teilen viele US-Experten. Insbesondere die Anhänger der gerade unter Republikanern weit verbreiteten Ideologie des "Amerikanischen Exzeptionalismus" sind demzufolge skeptisch. Viele empfinden vereinfacht gesagt das, was vom Staat kommt, als übergriffig und als Einschränkung der eigenen Freiheit.

Selbst unter Senatoren und Abgeordneten des Repräsentantenhauses gibt es diesen Graben. So beträgt laut einer Befragung die Impfquote bei Demokraten in beiden Kammern inzwischen 100 Prozent. Bei den Republikanern erklären 44,8 Prozent der Abgeordneten des Repräsentantenhauses, sie seien geimpft. Bei den republikanischen Senatoren sind es mindestens 92 Prozent.

Soziale Fragen und fehlende Zugänge

Tatsächlich sind die Gründe für den Rückfall der Impfgeschwindigkeit aber komplexer, als dass man sie nur auf die politische Einstellung zurückführen kann. Sehr oft geht es auch um soziale Fragen und fehlende Informationen und Zugänge.


Das sagt etwa Tom Frieden, der unter Barack Obama von 2009 bis 2017 die US-Gesundheitsbehörde CDC geleitet hatte. Heute ist er leitender Präsident und CEO der Gesundheitsinitiative "Vital Strategies". Die Erzählung von konservativen Impfverweigerern sei "nicht sehr genau", kritisierte Frieden kürzlich. Man müsse die Gründe sehr viel breiter betrachten.

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"Die Wahrheit ist", sagt Tom Frieden auf schriftliche Anfrage von t-online, "dass den meisten Menschen nicht die Bereitschaft fehle, sondern der Zugang zu Impfstoffen". Dies sei das größere Problem als die Komplettverweigerer. "Mehr als 77 Prozent der weißen Erwachsenen, die eine Impfung wollen, haben sie bekommen, verglichen mit 60 Prozent der schwarzen Erwachsenen und 55 Prozent der Hispanics, die sie wollen."

Damit sind ausgerechnet jene Gruppen, die stärker von Covid-19-Erkrankungen betroffen waren, derzeit schlechter geschützt durch Impfungen.

Das Impfen entpolitisieren

Aber wie die Menschen überzeugen? "Es ist wichtig, dass wir das Politische beim Informieren über das Impfen heraushalten und uns an die Kommunikation von Wissenschaft und Fakten halten", so Frieden. Dazu müsse man auch ehrlich damit umgehen, was man nicht wisse. Ärzte und das Gesundheitspersonal seien wichtige Botschafter. "Wir müssen auch zuhören – die Menschen wollen befähigt werden, nicht indoktriniert". Auch das Bloßstellen und Mobben von Verunsicherten oder Verweigerern funktioniere nicht. Zugleich bestehe aber die Notwendigkeit, Fehlinformationen zu bekämpfen.

Laut Frieden habe man festgestellt, dass folgende fünf Fakten bei der Bevölkerung Anklang gefunden und dazu beigetragen haben, die Menschen zu überzeugen, sich impfen zu lassen:

  1. Das Infektionsrisiko ist weitaus höher als das Impfrisiko. Selbst gesunde junge Menschen können schwer erkranken, sterben oder durch eine COVID-19-Infektion langfristig geschädigt werden.
  2. COVID-19-Impfstoffe bleiben nicht im Körper. Sie bereiten das Immunsystem darauf vor, das Virus zu bekämpfen, und verschwinden dann.
  3. Fast jeder Arzt, dem ein COVID-19-Impfstoff angeboten wurde, hat ihn auch so schnell wie möglich erhalten.
  4. Je mehr von uns geimpft werden, desto schneller haben wir unsere Jobs und unsere Wirtschaft zurück.
  5. Impfungen können in den kommenden Monaten mindestens 100.000 Amerikanern das Leben retten, die sonst durch COVID-19 getötet würden.

Solche Überzeugungsstrategien dürften auch für Deutschland in den kommenden Wochen und Monaten immer wichtiger werden. Im Interview mit "t-online" sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach dazu: "Wir können nicht sagen, die Pandemie ist für uns, die Impfwillingen, beendet und für die anderen eben nicht." Harte Verweigerer erreiche man zwar tatsächlich nicht, "aber wir dürfen es uns nicht zu einfach machen, indem wir Impfverunsicherte in die gleiche Ecke stellen", so Lauterbach. Die könne man nämlich gut erreichen, aber man müsse eben etwas dafür tun.

Dazu brauche es entsprechende Impfkampagnen, nicht unbedingt von Politikern, sondern von Führungspersönlichkeiten, die in den jeweiligen Gemeinschaften Vertrauen genießen, so Lauterbach. Es gehe nicht nur um einen Dienst an der Gemeinschaft, sondern in erster Linie um die Menschen selbst. Bestimmte Gruppen seien auf den Intensivstationen noch immer deutlich überproportional vertreten. "Wir müssen da mit Fingerspitzengefühl herangehen. Aber wir müssen da unbedingt etwas unternehmen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Schriftliches Interview mit Tom Frieden, Ex-Präsident der CDC
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