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Corona-Desaster: Wird Florida zur Covid-Hölle für den ganzen USA?


Besuch in Florida
Die amerikanische Corona-Hölle

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns, Orlando

Aktualisiert am 07.09.2021Lesedauer: 7 Min.
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Auf dem Weg in die Notaufnahme: Orlando hat nicht mehr genug IntensivbettenVergrößern des Bildes
Auf dem Weg in die Notaufnahme: Orlando hat nicht mehr genug Intensivbetten (Quelle: imago-images-bilder)

Volle Intensivstationen, kaum noch Tests und Pandemie-Einschränkungen: Zehntausende Amerikaner machen dennoch in Florida Urlaub. Den USA droht deshalb insgesamt ein Desaster.

Endlich Urlaub! Morgan, eine junge Frau aus Maine, steigt ins Flugzeug nach Florida. Vom nördlichsten Bundesstaat an der Ostküste der USA will sie in den südlichsten. Palmen. Sonne. Disney World. Fünf schöne Tage mit ihrem Freund möchte sie in dem weltberühmten Freizeitpark verbringen. Das Hotel ist gleich auf dem Gelände. "Vom Flughafen in Orlando werden wir direkt abgeholt."

Morgan erzählt, dass es in Disney World so gut wie keine Corona-Restriktionen mehr gebe. "Vor einem Jahr haben sie noch Temperatur bei den Gästen gemessen", sagt sie. Tatsächlich verlangt Disney World von seinen Besuchern weder eine Impfung noch einen Test oder einen Genesenen-Nachweis. Selbst Masken müssen seit Kurzem nicht mehr überall getragen werden.

So will es auch der republikanische Gouverneur von Florida, Ron DeSantis. Geschäften, die Kunden ohne Masken, Tests oder Impfungen abweisen, drohen sogar empfindliche Geldbußen. Seine Philosophie als Gouverneur sei es, die "individuelle Freiheit zu schützen", sagte er kürzlich. Jeder soll selbst seiner Gesundheit Schmied sein.

Doch ganz so einfach ist es in der Pandemie nicht. Ja, das sei eine harte Zeit, sagt Morgan im Ferienflieger. Für die Kinder genauso wie für sie selbst. Geimpft ist Morgan nicht. Obwohl sie in Maine als Lehrerin in einer Vorschule arbeitet. Seit Kurzem müsse sie dort wieder Maske tragen, weil die Corona-Zahlen steigen. "Die Kleinen fragen mich, warum ich mein Gesicht nicht zeige." Sie erzählt, dass sie dann ihre Maske für einen kurzen Moment abnehme und sage: "Hey, das bin immer noch ich."

Für Morgan heißt Florida: Freiheit und endlich Abstand vom bedrückenden Alltag.

Für die USA könnte das, was sich dort gerade abspielt, allerdings der Anfang einer neuen Corona-Episode sein. Mit offenem Ausgang.

Ein Feiertag als Bedrohung für die ganze Nation

Denn in den USA ist es nicht anders als in vielen Ländern: Die Pandemie scheint beinahe vergessen, die Menschen wollen ihr altes Leben zurück. Und das Verpasste nachholen. Am Montag war Labour Day, vergleichbar mit dem Tag der Arbeit in Deutschland. Die große Mehrheit der Amerikaner hatte frei. Die meisten von ihnen nutzen das lange Wochenende für ein bisschen Urlaub. Vor allem zieht es sie in den Süden, nach Florida.

Man könnte auch sagen: Sie machen sich freiwillig auf in die Corona-Hölle der USA. Denn in dem Bundesstaat mit seinen Stränden, Clubs und riesigen Freizeitparks um Orlando explodieren die Covid-19-Zahlen wie nie zuvor seit Beginn der Pandemie. So wie fast im gesamten Süden der USA. Experten fürchten deshalb seit Wochen, dass es nach diesem Labour Day ein sehr böses Erwachen für die gesamten Vereinigten Staaten geben könnte. Schließlich fliegen alle Eltern mit ihren Kindern von Orlando, Miami oder Jacksonville wieder nach Hause. "Wer nicht geimpft ist, dem empfehlen wir dringend, nicht zu verreisen", warnte etwa Dr. Rochelle Walensky, die Leiterin der US-Gesundheitsbehörde CDC vergangene Woche bei einer Pressekonferenz. Es war die Warnung vor dem Reiseziel Florida als nationalem Superspreading-Event. Bei Morgan und vielen anderen kam dieser Appell allerdings nicht an.

Dabei zählte die CDC Mitte August in Florida fast 50.000 neue Covid-19-Fälle am Tag. Umgerechnet auf die Bevölkerung in Deutschland entspräche das rund 200.000 Fällen täglich.

Auch wenn die Zahlen zuletzt zurückgingen: Die Intensivstationen vieler Krankenhäuser in Florida sind nicht nur bis auf den letzten Platz belegt. Nein, sie sind mittlerweile so überfüllt, dass Kliniken auf andere Trakte ausweichen und improvisieren müssen. So gut es eben geht. Die meisten schwer erkrankten Patienten sind nicht geimpft. Wichtige Operationen werden seit Wochen aufgeschoben.

Besonders bitter ist, dass in Florida mehr Menschen an Corona sterben denn je. Es gibt Tage, an denen werden mehr als 1.000 Corona-Tote gezählt. Im südlichsten Landkreis Miami-Dade starben zuletzt 15 Mitarbeiter und Lehrer von Schulen, darunter ein erst 30-Jähriger. Den republikanischen Gouverneur Ron DeSantis nennen hier deshalb viele nur noch "Ron Death Santis" oder "Massenmörder".

Zahlentricks der Regierung und Rekorde bei Touristen

Kritik erntet seine Regierung etwa, weil sie kurzerhand die Zählmethode geändert hat. Nicht mehr das tatsächliche Todesdatum, sondern das Meldedatum ist relevant. Das könnte zumindest kurzzeitig zu einem nur scheinbaren Absinken der Todeszahlen führen. Auch sonst wird hier gern mit Corona-Statistiken getrickst. Der Grund dafür liegt nahe: Florida hängt extrem vom Tourismus ab. Für das als weltweite Touristen-Hauptstadt geltende Orlando sind Gäste eine wirtschaftliche Lebensversicherung. Entsprechend dürfte kaum eine Region in den USA ökonomisch so anfällig für Covid-19-Restriktionen sein.

Während Zehntausende Menschen in den vielen Vergnügungsparks von Walt Disney und Universal ihre ungewohnte Freiheit genießen, wirkt Orlandos Innenstadt am Labour Day hingegen wie ausgestorben. Ganz so, als habe sich die Stadt einen freiwilligen Lockdown verpasst. Die meisten Geschäfte haben geschlossen. In der Innenstadt vor einer Zigarren-Bar, die ausgerechnet den Namen "Corona Cigar Co." trägt, entspannen ein paar Männer in Liegestühlen und paffen den Dunst in den Himmel. Der schwere Tabakduft mischt sich mit der feuchtwarmen Luft. Die Straßen glänzen von einem kurzen Wolkenbruch.

Mangelware Sauerstoff

Diesen Regen hatte Orlandos Bürgermeister Buddy Dyer noch angekündigt und geradezu herbeigesehnt. Seit Tagen warnt die Stadt, mit dem Wasser möglichst sparsam umzugehen. Denn noch ein Problem gibt es plötzlich im US-Epizentrum der Sommerpandemie: Weil die Kliniken zur Beatmung ihrer Patienten immer größere Mengen Sauerstoff benötigen, stehen sie plötzlich in ungewollter Konkurrenz mit den Wasserwerken. Denn diese verwenden zur Aufbereitung ebenfalls große Mengen an Sauerstoff. Dass die vielen Freizeitparks nun ebenfalls Wasser sparen werden, ist jedoch unwahrscheinlich.

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In einem der größten Krankenhäuser Orlandos arbeitet Amanda Davis (Name auf Wunsch geändert) als Fallmanagerin gerade jeden Tag daran, dass jeder Covid-19-Patient trotzdem ausreichend Sauerstoff bekommt. "Wir haben es bislang immer noch gerade so geschafft", sagt sie. "Auch Menschen, die wegen Covid ihre Arbeit verloren und deshalb keine Krankenversicherung haben, bekommen von uns Sauerstoff." Der Mangel sei technisch zwar zu lösen, aber die Produktion hinke der Nachfrage einfach hinterher. Ein noch größeres Problem beschreibt die Mittdreißigerin so: "Selbst wenn die Menschen irgendwann womöglich keinen Sauerstoff mehr benötigen, können wir sie noch lange nicht aus den Intensivstationen entlassen. Dabei kommen längst die nächsten, die dringend angeschlossen werden müssen."

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Auch wenn sie die Corona-Hölle hautnah miterlebt, findet Davis die Politik von Gouverneur Ron DeSantis trotzdem richtig. Sie selbst sei zwar geimpft, wolle aber niemanden dazu zwingen. Das Gleiche gelte für Tests und Masken. "Das berührt die individuelle Freiheit von jedem. Wenn wir diese verletzen, dann verraten wir das, worauf unser Staat gründet. Auf dem Recht, für sich selbst die richtigen Entscheidungen zu treffen", sagt Davis. Sie setzt darauf, dass die Menschen die richtigen Informationen und den Zugang zu Impfstoffen, Masken und Tests bekommen. Das Ausmaß an kursierenden Falschinformationen sei ihr bekannt. "Im Zweifel lernen wir es alle auf die harte Tour. Spätestens, wenn man selbst betroffen ist, denkt man danach vielleicht anders", sagt sie. Eine Kollegin von ihr hat erst vor drei Tagen ihren 62-jährigen Vater verloren. "Er war geimpft. Auch das schützt nicht jeden vor dem Tod. Aber es verringert das Risiko erheblich."

Zu wenig Kühlraum für die Leichen

Weil in Florida aber nur gut die Hälfte der Einwohner vollständig geimpft ist, sind Millionen Menschen dem Virus noch immer schutzlos ausgesetzt. Entsprechend viele sterben. All die Covid-Toten von Orlando müssen zuerst gekühlt und später verbrannt werden. Beides ist derzeit kaum noch zu leisten. Die Betreiber der örtlichen Krematorien und Bestattungsinstitute haben sich schon mehrfach öffentlich geäußert. Bereits im August sei die Anzahl der Toten so hoch gewesen wie sonst im ganzen Jahr.

Ein paar Meilen außerhalb des Stadtzentrums liegt das Büro des Bestattungsinstituts Amaryllis Cremation. Wegen der Covid-19-Infektionsgefahr ist es auch an diesem Tag geschlossen. Persönliche Termine gibt es nur nach telefonischer Absprache. Die Betreiber wissen, wie die Krankheit enden kann.

Am Telefon meldet sich eine der Besitzerinnen von Amaryllis Cremation. Sie nennt sich Sarah und wirkt aus der Puste. Zeit für ein längeres Gespräch könne sie sich zwar leider nicht nehmen. "Wir sind den ganzen Tag damit beschäftigt, uns um die Familien der Hinterbliebenen zu kümmern und ihnen die Asche ihr Liebsten zu überreichen." Nur so viel: Das, was über die Kapazitätsprobleme der Krematorien in den Lokalzeitungen zu lesen sei, stimme. 14 große Kühltransporter sind inzwischen von der sogenannten "Central Florida Disaster Medical Coalition" an Krankenhäuser in ganz Florida geschickt worden, drei davon auch an Kliniken in Orlando.

Corona trifft Alte, Junge und in letzter Zeit auch immer häufiger Kinder. Lagen im Juni im Schnitt noch sechs Kinder mit Covid-19 in Floridas Krankenhäusern, waren es in der letzten Augustwoche bereits 66. Zwei starben jüngst in Jacksonville im Norden Floridas. Kinder unter zwölf Jahren stellen laut aktuellen Gesundheitsdaten der CDC in Florida die Gruppe mit den meisten Ansteckungen. Während sie bei anderen Altersgruppen inzwischen wieder sinken, steigt die Anzahl bei ihnen noch immer.

Gouverneur: "Ich will keinen biomedizinischen Sicherheitsstaat"

Eltern, Schüler und Lehrer kämpfen deshalb im ganzen Bundesstaat vor Gericht dafür, zumindest Masken verpflichtend einsetzen zu dürfen. Gouverneur Ron DeSantis aber sieht auch das als Einschränkung der Freiheit. "Ich will keinen biomedizinischen Sicherheitsstaat", sagte er jüngst und legte sofort Berufung gegen eine Gerichtsentscheidung ein, die zu seinen Ungunsten ausfiel. Masken dürfen deshalb nach wie vor nicht verordnet werden.

In einer kleinen Kapelle im Inneren der großen Klinik, in der Amanda Davis arbeitet, liegt neben einer Desinfektionsflasche und einem Kugelschreiber ein Buch aus. Patienten und Angehörige können hier ihre Gebetswünsche eintragen. Am Wochenende hat jemand diese Sätze eingetragen: "Lord I pray for all the people with Covid that are here in the hospital and around the world. Please keep my family and friends healthy and end the pandemic. Amen." Jeden Tag beten hier Menschen für die Covid-Kranken und wünschen ihrer Familie und ihren Freunden, gesund zu bleiben.

Keine Tests bei Reisen nötig

In den kommenden Wochen wird sich nicht nur in Orlando zeigen, ob zumindest diese Gebete erhört wurden. Am Feriendrehkreuz Florida verlangen auch die Fluggesellschaften keine Covid-Tests mehr als Voraussetzung zum Einstieg in eine Maschine. So könnten Geimpfte und Ungeimpfte wie die Lehrerin aus Maine, die sich Morgan nennt, und ihr Freund das Virus weiter in den ganzen USA verbreiten.

Die Regierung des nordöstlichsten Bundesstaats hat dieser Tage ein Video aus der Intensivstation eines Krankenhauses veröffentlicht. Es soll die Menschen aufrütteln, insbesondere jene, die noch nicht geimpft sind.

Aus Floridas Krankenhäusern soll es solche Bilder nicht geben. Deshalb begnügt sich die Regionalregierung mit Pressekonferenzen. Nicht nur die Freiheit ist hier etwas sehr Individuelles. Auch die Pandemie erleben viele nur, wenn sie wirklich selbst betroffen sind.

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