Luisa Neubauer attackiert Donald Trump "Propaganda, die Menschenleben kostet"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zwischen Klimaextremen und Trumpismus – im Exklusiv-Interview mit t-online spricht Luisa Neubauer über die Probleme der progressiven Bewegung in den USA. Sie warnt vor einem Erschöpfungszustand, der auch die Grünen in Deutschland erfassen könnte.
Bastian Brauns berichtet aus Washington.
Die Hurrikan-Katastrophen in den USA mit dutzenden Toten treffen in diesem Jahr mit der Endphase des Präsidentschaftswahlkampfs zusammen. In dieser entscheidenden Zeit bereist die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer die Vereinigten Staaten, um Lehren für den kommenden Bundestagswahlkampf in Deutschland zu ziehen.
Mit t-online teilt sie ihre Beobachtungen der politischen Spaltung in den USA und beschreibt, wie gefährlich diese für die Bekämpfung des Klimawandels ist. Für die unter Druck stehende Klimabewegung und auch für die Grünen gebe es darum nur einen richtigen Weg.
Frau Neubauer, Sie bereisen gerade die USA. Was machen Sie hier?
Ich bin für zwei Monate in den USA, um zu verstehen, wie Bewegungen und Zivilgesellschaft hier zwischen Klimaextremen und Trumpismus navigieren. Im besten Fall, um daraus für uns in Europa und Deutschland viel zu lernen. Ich halte dutzende Vorträge an Unis, Schulen und bei Organisationen, treffe Studierende, Aktivisten und Politiker und diskutiere mit ihnen. Was ich unter anderem erlebe, ist eine gewisse Überwältigung der progressiven Bewegungen.
Was meinen Sie damit?
Mir fällt hier auf, dass die Strategie der "Make America Great Again"-Fraktion erschreckend gut aufgeht. Es werden immer neue Feuer entfacht, neue Krisen produziert, die ablenken und auslaugen. Ein Beispiel, das wir auch in Deutschland mitbekommen haben, war die TV-Debatte der Präsidentschaftskandidaten. Dieser Moment, als Trump behauptet hatte, dass Migranten in Springfield, im Bundesstaat Ohio, die Haustiere der Amerikaner aufessen würden.
Was fällt Ihnen dabei auf?
Es ist nicht so flach, wie das in Deutschland womöglich ankommt, sondern ekelhaft gut durchdacht. Diese Lügen sprechen viele rassistische Denkmuster gleichermaßen an und verfangen. Die Folge ist: In Springfield gab es plötzlich Bombendrohungen an Schulen, offene Anfeindungen auf den Straßen. Viele Aktivisten, die gerade damit beschäftigt waren, in einem der Swing States Wahlkampf zu machen, mussten alles stehen und liegen lassen. Sie musste plötzlich ihre Zeit darauf verwenden, im Internet gegen die Lügen und Gerüchte anzuhalten und vor Ort Schutz für die Communitys zu organisieren.
Man könnte auch sagen, die Zivilgesellschaft funktioniert hier zum Glück noch.
Äußerungen wie die von Donald Trump sind kein Unfall. Dahinter stecken ganz gezielte Erschöpfungsmethoden des progressiven Spektrums. Das ist organisiert und kalkuliert. Das wird oft ausgeblendet, wenn über Trump gesprochen wird.
Zu diesen Ablenkungsmanövern gibt es den überlieferten Ausspruch von Steve Bannon, Trumps früherem Berater, der lautet: "Flooding the zone with shit". Erleben wir dieses "Zumüllen des öffentlichen Diskurses"?
Genau das kann man hier eins zu eins beobachten, live und real. Ich treffe Aktivisten, die bei Meetings schlicht todmüde sind, weil sie die ganze Nacht wach waren, um wieder ein Feuer auszutreten. Sie kommen immer weniger dazu, ihre eigentliche Agenda zu verfolgen. Sie sind ununterbrochen am Aufräumen von diesen Schneisen aus Lügen, Propaganda und Gewalt, die Rechtsradikale quer durchs Land schlagen. Viele Leute, die ich frage, wie sie sich auf ein mögliches Trump-Szenario einstellen, sagen mir, sie hätten dafür gar keine Kraft. Es geht gerade nur darum, irgendwie bis zur Wahl durchzuhalten und ihn zu verhindern.
Auch bei den aktuellen Hurrikan-Katastrophen "Helene" und "Milton" gab es viele falsche Behauptungen, die mühsam widerlegt werden mussten.
Ein Hurrikan ist hier nicht nur ein Sturm, was ja schon schlimm genug wäre. Es ist der Anlass, die Realität infrage zu stellen. Selbst der Himmel wird hier verdächtigt, zum Vorteil eines politischen Lagers zu handeln. Menschen verbreiten die Verschwörungstheorie, dass es kein Zufall sei, dass es in Texas keinen Hurrikan gebe, obwohl das ja die gleiche Küste sei. Nach dem Motto: Alles frei erfunden, damit die Demokraten in Florida einen Vorteil im Wahlkampf haben.
Trump versucht derzeit, von diesen Katastrophen politisch zu profitieren und wirft Joe Biden und Kamala Harris Versagen vor.
Das Interessante ist, dass er am Anfang von "Helene" in North Carolina alles als harmlos abgetan hatte. Als die Katastrophe dann unübersehbar war, wurde blitzschnell in diesen Propagandamodus umgeschaltet. Angeblich würden den betroffenen Menschen in North Carolina Hilfsgelder vorenthalten, weil die ja an Migranten oder in die Ukraine gehen würden. Alles ein Versuch, eine reale Besserung der Verhältnisse zu verunmöglichen.
Solche Dynamiken sind auch in Europa und Deutschland zu beobachten. Steckt die Klimabewegung deswegen in einer Sackgasse?
Der US-Wahlkampf ist symptomatisch. Beide Lager, das rechtsextreme und das demokratische, hatten sich vorgenommen, gar nicht über das Klima zu sprechen. Die Logik war, mit Klima ließen sich keine Stimmen in den Swing States gewinnen. Aber mit den Hurrikans zeigt sich jetzt: Im Jahr 2024 ganze Wahlkämpfe ohne Klima zu planen, ist buchstäblich weltfremd. Es leugnet die Realitäten unseres Planeten. Die Erde lässt sich nicht auf diese Kalkulationen ein.
Das scheint im Wahlkampf trotzdem egal zu sein.
Weltweit wird zunehmend gegen das Klima gebrüllt. In Florida ließ Gouverneur Ron DeSantis selbst das Wort "Klimawandel" aus Gesetzestexten streichen. Mit der Begründung, man wolle keine "Klimaideologie" in der Politik. Jetzt zeigt sich: Man kann sich noch so breitbeinig hinstellen, die Klimakrise bleibt. Die Folgen dieser Aggression gegen alles Ökologische können wir in den USA genau beobachten: Menschen möchten sich nicht evakuieren lassen, weil sie denken, Gott würde ihnen im Zweifel helfen oder die Meteorologen übertreiben. Nach Jahren der Propaganda gegen alles "Grüne" wird es immer schwieriger, Menschen gegen tödliche Gefahren zu sensibilisieren und für Katastrophenschutz zu gewinnen. Das ist Propaganda, die Menschenleben kostet. Und diese Verharmlosung kommt längst nicht nur von Rechtsradikalen.
Die Gegenseite sagt, Hurrikans und Unwetter gab es schon immer.
Das ist richtig. Aber das Problem ist, dass sie heftiger und gefährlicher werden. Weil unsere Atmosphäre menschengemacht immer wärmer wird, hält sie mehr Feuchtigkeit. Dass warme Luft mehr Feuchtigkeit halten kann als kalte Luft, erleben wir jeden Tag alle in der Dusche. Das führt im Falle von Hurrikans, aber auch im Falle der vergangenen Fluten in Europa, zu diesen Rekord-Niederschlägen. Dazu sorgt die erhitzte Wassertemperatur vor Florida dafür, dass die Stürme in kurzer Zeit anwachsen. Im Ergebnis bedeutet das: Wir haben ein Klimaregime geschaffen, das gegen uns arbeitet. Unsere komplette Infrastruktur, Häuser, Straßen, Stromleitungen, Wasserversorgung, nichts ist auf solche Extremlagen vorbereitet. Schlicht, weil Städte, Versorgungsketten und Infrastruktur meist gebaut wurden, bevor wir das Klima derart verändert haben.
Zur Person
Luisa Neubauer (28) ist Klimaschutzaktivistin und Publizistin. In Deutschland ist sie eine der Hauptorganisatorinnen des von Greta Thunberg gegründeten Klimastreiks "Fridays for Future".
Was sagen Sie eigentlich dazu, dass die USA ausgerechnet unter der Regierung von Joe Biden und Kamala Harris mehr Erdöl fördern als je zuvor in der Geschichte?
Im amerikanischen Kongress ist Klimaschutz kein überparteiliches Interesse, und wie zersetzend diese Polarisierung ist, zeigen die politischen Deals, die dadurch immer wieder eingegangen werden. Die sehen dann etwa so aus: Es werden die Erneuerbaren deutlich ausgebaut, aber es darf auch mehr Öl und Gas gefördert werden, auch um es zu exportieren. Damit sind die USA jetzt zum größten Öl- und Gas-Exporteur der Welt geworden. Selbst wenn hier die Emissionen also sinken, steigen die Emissionen an anderer Stelle auf dem Planeten. Die letzten Klimagesetze der USA, wie der Inflation Reduction Act etwa, werden in dieser Hinsicht in Deutschland gerne romantisiert. Es wäre wohl ein guter Moment, hier genau hinzugucken und diese Fehler nicht zu wiederholen.
Trotzdem gibt es in den USA keine Massendemonstrationen, die mit Fridays for Future vergleichbar wären.
Das ist wahr. Die Bewegungen hier, wie das "Sunrise Movement" oder "Third Act" sind im Verhältnis zur Bevölkerung viel kleiner. Dafür gibt es unendlich viele Initiativen, die sich vor Ort für die gerechte Umsetzung der Transformation einsetzen, wovon wir in Deutschland viel lernen können. Aber ja, ich werde hier regelmäßig darauf angesprochen, wie wir es schaffen, mal eben 75.000 Menschen wie beim Klimastreik vor drei Wochen auf der Straße zu bringen. Das wirkt von hier aus geradezu utopisch.
Zurück zur Propaganda-Schlacht im Hinblick auf das Klima. Gibt es in Wahrheit kein Mittel gegen die von Ihnen beschriebenen Ablenkungsmanöver?
Es gibt nicht das eine "Mittel", aber es gibt Wege: Etwa benennen, was unwahr ist, was rechtsextrem oder Propaganda ist. In den USA hat man aufgehört, Trump als Rechtsextremen zu bezeichnen, der Backlash war zu groß. Stattdessen nennt man ihn "weird", also komisch. Die Konsequenz: Eine Wahl, bei der de facto die Demokratie zur Disposition steht, wird als "rechts gegen links" dargestellt. Das macht es leicht, zu vergessen, wie weit der Diskurs bereits verdreht wurde.
Beobachten Sie, dass den Demokraten das derzeit gelingt?
In den USA zeigt sich, dass es sich lohnt, über Anstand und Respekt zu sprechen, und die Muster der Mobbing- und Lügenrhetorik aufzuzeigen. Das macht Barack Obama im Wahlkampf erfolgreich. Er geht immer wieder darauf ein, dass die Opfer dieser Anti-Harris-Propaganda von Trump letztlich die ganz normalen Bürger sind. Ganz akut etwa, wenn sie mitten im Hurrikan nicht mehr wissen, ob sie von der Regierung Hilfe erwarten können.
In Deutschland hat sich Ihre grüne Partei nach schlechten Wahlergebnissen aber gerade schon selbst zerpflückt.
Die Konservativen in Deutschland haben so lange gegen die Grünen gebrüllt, dass sie dafür mit Sahra Wagenknecht koalieren müssen. Nebenbei haben sie Menschen massenhaft gegen Klimaschutz aufgebracht, wohl wissend, dass auch eine unionsgeführte Regierung Klimagesetze und Klimaziele einhalten muss. Die Anti-Klima-Propaganda gegen die Grünen frisst sich selbst auf. Die Strategie der Rechtspopulisten wirkt wie ein Bullshit-Bumerang: Man ruft so lange in den Wald rein, bis es heraus hallt und man "im Namen der Menschen", umso lauter genauso weiter macht.
Aber was wollen Sie dagegen tun?
Die ökologische Mehrheit in Deutschland darf sich angesichts der Propaganda, die oft nur destruktiv, antidemokratisch und in Teilen postfaktisch ist, nicht klein machen lassen. Es ist egal, wie man zu Robert Habeck steht, aber politische, demokratische Parteien im 21. Jahrhundert, die sich beweisen wollen, benötigen einen Plan, um Menschen vor den Klimakatastrophen zu schützen. Das muss das Mindestmaß für die nächste Bundestagswahl sein. Das hat nichts mit grün oder ökologisch zu tun, sondern mit demokratischem Anstand und Verantwortungsbewusstsein. Wer Politik ohne Klima machen will, macht Märchenpolitik. Und dafür haben wir keine Zeit.
Gräbt sich die Klimabewegung nicht selbst das Wasser ab? Indem sich etwa Greta Thunberg beim Krieg im Nahen Osten aufseiten der Palästinenser schlägt, lenkt sie von ihrem Kernthema ab. Sie machen sich angreifbar.
Ich kann hier nur für mich sprechen – und ich erlebe in Deutschland eine ganz andere Dynamik. Wenn ich im Fernsehen bin und über das Klima spreche, muss ich damit rechnen, danach tagelang angegriffen zu werden, nicht mit Kritik an meinen Klimaforderungen, sondern mit Frauenhass. Plötzlich ist nicht mehr das Klima, sondern mein Körper ein Thema und mein Geschlecht. Im nächsten Moment werde ich gefragt, ob ich den Feminismus nicht besser von den Klimafragen trennen müsste.
Also ist die Klimabewegung mehr als nur Klimabewegung?
Ich halte nichts davon, die Komplexität der Welt zu leugnen. Natürlich sprechen wir beim Klima über soziale Gerechtigkeit, damit Klimamaßnahmen fair werden, und wir sprechen über Geflüchtete, weil wir wissen, dass die Klimakrise Fluchtursachen produziert. Das ist keine "Vermischung" von Themen, sondern die Bereitschaft, Zusammenhänge zu erkennen.
Egal, ob es Trump in den USA ist oder die AfD und das BSW in Deutschland – diese populistischen Bewegungen haben auch deswegen Erfolg, weil grüne Politik als Bedrohung für den Wohlstand wahrgenommen wird.
Das ist eine höfliche Formulierung. Diese Wahrnehmung ist ja kein Zufall, sondern kalkulierte Folge von so viel Anti-Klima-Propaganda, dass selbst mir die Wärmepumpen aus den Ohren rauskommen. Selbst die konservativsten Wirtschaftsinstitute sind sich heute einig, dass fehlender Schutz vor Klimakatastrophen eine riesige Gefahr für unsere Wirtschaft ist. Wer unter Wohlstand versteht, blind die Welt kaputt machen zu können, ohne über die Folgen nachdenken zu müssen, dem wünsche ich einen gemütlichen Tag in der Fantasy-Abteilung von Thalia.
Wie sieht grüner Wohlstand aus?
Wer unter Wohlstand versteht, sicher vor Katastrophen sein können, Freiheit zu genießen, weil Regierungen sie schützen, sich für die Zukunft etwas aufbauen zu können, weil wir diese Zukunft schon heute im Blick haben – der hat inhärent ein Interesse daran, dass wir unsere Erde in einem lebenswerten Zustand halten. Der Druck von Rechts steigert den Anspruch, Klimapolitik zu erklären, zugänglich zu sein und auch den Humor nicht zu verlieren. Aber der Druck von Rechts darf keine Sekunde lang ein Anlass sein, das Niveau in der Politik auf ihr post-faktisches und zunehmend anstandsloses Level zu senken – weder in den USA noch in Deutschland, noch sonst irgendwo.
- Interview mit Luisa Neubauer