t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikDeutschland

"Dummschwätzer" | Neuer Rekord! Im Bundestag wird so viel gepöbelt wie nie


So oft wie seit 1990 nicht mehr
"Lügner, Dummschwätzer": Im Bundestag wird mehr gepöbelt

Von Miriam Hollstein

Aktualisiert am 15.11.2022Lesedauer: 3 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
imago images 193585987Vergrößern des Bildes
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas: Die SPD-Politikerin muss im Plenarsaal häufiger für Ordnung sorgen als ihr Vorgänger Wolfgang Schäuble. (Quelle: Political-Momenst/imago images)

Die Stimmung im Bundestag wird rauer. Rund ein Jahr nach der Konstituierung des Parlaments gibt es einen Rekord an Ordnungsrufen.

Die Zahl der Ordnungsrufe im Bundestag hat einen neuen Rekord seit der Wiedervereinigung erreicht. Nur rund ein Jahr, nachdem sich das neue Parlament konstituiert hat, wurde schon 19 Mal eines seiner Mitglieder für unangemessenes Verhalten auf diese Weise gemaßregelt. Zum Vergleich: In der vergangenen Amtszeit war diese Zahl erst nach über zwei Jahren erreicht. Vor allem eine Fraktion tut sich dabei besonders negativ hervor.

Von den 19 Ordnungsrufen galten allein zwölf der AfD. Zwei Ordnungsrufe kassierte die SPD, zwei weitere die Union. Drei galten dem fraktionslosen Abgeordneten Matthias Helferich.

Auch in der Einzelstatistik ist die AfD besonders auffällig: Mit insgesamt fünf Ordnungsrufen hat die AfD-Politikerin Beatrix von Storch häufiger gegen die "Würde des Parlaments" verstoßen als alle anderen Parlamentarier. Auf Platz zwei liegen mit jeweils drei Ordnungsrufen gleichauf ihr Fraktionsfreund Stephan Brandner und Matthias Helferich. Letzterer war einst Vize-Landessprecher der AfD in Nordrhein-Westfalen, kam 2021 in den Bundestag, blieb auf Druck der AfD-Führung aber fraktionslos, nachdem rechtsextreme Äußerungen von ihm bekannt geworden waren. Die beiden Ordnungsrufe der SPD gehen auf das Konto eines einzigen Parlamentariers, Christian Petry. Grüne, Linke und FDP scheinen die besten Manieren zu haben: Für alle drei Fraktionen ist bislang kein einziger Ordnungsruf verzeichnet.

Die Gründe für die Ordnungsrufe waren unterschiedlich. Recht häufig ging es um Beleidigungen wie "Lügner" (Stephan Brandner über den SPD-Politiker Ralf Stegner) oder "Dummschwätzer" (der SPD-Politiker Christian Petry zum AfD-Parlamentarier Petr Bystron).

Aber nicht nur untereinander wurde gepöbelt: Der fraktionslose Helferich kassierte einen Ordnungsruf, nachdem er den Chef des Bundesverfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, in einer Debatte einen "installierten Behördenextremisten" genannt hatte. Stephan Brandner wurde unter anderem auch wegen einer Anspielung auf den Nationalsozialismus zur Ordnung gerufen; er hatte Mitglieder der anderen Fraktionen als "politisch gleichgeschaltet" bezeichnet. Eine gewisse Vielseitigkeit und Unbelehrbarkeit bewies Beatrix von Storch: Mal trug sie trotz Anordnung keine Maske, dann beleidigte sie Mit-Parlamentarier als "Vollidiot" oder "Kindermörder", dann wieder postete sie ein Foto aus einer Sitzung in den sozialen Netzwerken.

Erster Ordnungsruf galt einem AfD-Politiker

Den ersten Ordnungsruf in der neuen Legislatur kassierte ein weiterer AfD-Politiker: Thomas Seitz, der einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde, als er lebensgefährlich schwer an Corona erkrankte, nachdem er sich zuvor im Bundestag mit dem Tragen einer zerlöcherten Maske über die Pandemiemaßnahmen lustig gemacht hatte.

Am 16. Dezember postete er während der laufenden Plenarsitzung auf Facebook ein Foto des jungen Grünen-Abgeordneten Max Lucks und und schrieb dazu: "Auch als selbsterklärter 'schwuler Katholik' muss man nicht in einem solchen Aufzug ans Rednerpult treten. Max Lucks – von welcher Partei der wohl kommt?" Lucks hatte eine Kombination aus Sneakers und einer gewollt zu kurzen Anzughose getragen. Doch der Vorgang blieb nicht unbemerkt und wurde von der neuen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) umgehend mit einem Ordnungsruf geahndet.

Auch bei den Rügen, die für geringfügigere Verstöße gegen die Würde des Parlaments ausgesprochen werden, ist dieser Bundestag bereits auf Rekordniveau seit der Wende: Insgesamt gab es in dieser Wahlperiode bereits zehn Rügen und damit so viel wie in der gesamten vergangenen Legislatur.

Unerreichter Rekordhalter der Ordnungsrufe

Es zeigt sich, dass alle Appelle, im Bundestag respektvoll miteinander umzugehen, wenig gefruchtet haben. Noch rauer ging es laut Bundestagsstatistik allerdings in der Bonner Republik zu: Dort wurden in der zehnten Wahlperiode (1983–1987) 132 Ordnungsrufe verzeichnet, in der allerersten (1949–1953) sogar 156.

Legendär sind die Beleidigungen des früheren SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner (1906–1990). Den einstigen CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer (der 2021 erfolglos mit seiner eigenen Partei bei der Bundestagswahl antrat) nannte er "Hodentöter", den CDU-Politiker Georg Kliesing ein "geistiges Eintopfgericht". Insgesamt kassierte Wehner 77 Ordnungsrufe in seiner Laufbahn – ein bis heute ungebrochener Rekord.

Verwendete Quellen
  • Anfrage bei der Verwaltung des Deutschen Bundestags
  • Eigene Recherche
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website