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Gipfel mit Lauterbach – Ärzte warnen vor Wartelisten: "Wird noch schlimmer"


Mediziner warnen vor Unterversorgung
"Das ist das Schlimmste, was Lauterbach auslösen konnte"


Aktualisiert am 09.01.2024Lesedauer: 4 Min.
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Gesundheitsminister Lauterbach (Archivbild): Die Ärzte fordern eine bessere Bezahlung. (Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Am Dienstag berät Gesundheitsminister Lauterbach mit den Spitzen der Ärzteverbände. Die Mediziner wollen mehr Geld. Wenn sie sich mit Lauterbach nicht einigen, werden die Patienten weiter leiden.

Zwischen Weihnachten und Silvester wollten die Hausärzte schon einmal zeigen, was bald deutschlandweit drohen könnte: Sie waren nicht mehr da. Mehrere Ärzteverbände hatten dazu aufgerufen, zwischen den Jahren die Arbeit niederzulegen, um auf Missstände im Gesundheitssystem hinzuweisen. Mehrere Tausend Praxen blieben dicht, nur der Bereitschaftsdienst war noch zu erreichen. Weitere Streiks für den Januar sind bereits angedroht.

Wenn sich nicht etwas ändere, drohe dies dauerhaft, warnt Dirk Heinrich vom Virchowbund. Es werde zu einem Aufnahmestopp für Neupatienten und zu langen Wartelisten für Termine kommen. "Das gibt es heute schon, aber es wird noch viel schlimmer. Auf einen Facharzttermin werden Patienten dann zwischen einem halben Jahr bis zu einem Jahr warten müssen", sagte Heinrich t-online. Keine guten Aussichten – aber warum besteht die Gefahr einer Unterversorgung im ambulanten Bereich?

"In den letzten drei Wochen des Quartals arbeite ich für Gotteslohn"

Zuerst: Die Ärzte bemängeln schlechte Bezahlung. Seit 30 Jahren gibt es die Budgetierung. Das heißt: Niedergelassene Ärzte haben einen künstlichen Umsatzdeckel, können nur so viel bei den Krankenkassen abrechnen, wie diese zulassen. "In meiner Praxis in Hamburg habe ich eine Auszahlungsquote von 70 bis 75 Prozent", sagt Heinrich, selbst HNO-Arzt. "Jede vierte Leistung, die ich erbringe, wird schlichtweg nicht von den Kassen bezahlt. Anders ausgedrückt: In den letzten drei Wochen des Quartals arbeite ich für Gotteslohn."

 
 
 
 
 
 
 

Allerdings ist das deutschlandweit nicht einheitlich. In Bayern liege die Quote beispielsweise bei 96 Prozent. "Ärzte werden ihre Leistungen kürzen. Wer nur 70 Prozent bezahlt bekommt, wird auch nur noch 70 Prozent arbeiten", so Heinrich.

Ärzte sind enttäuscht von Lauterbach

Hinzu kommt: In den kommenden Jahren gehen viele ältere Ärzte in Rente. Zwar könnten sich generell viele – selbst noch gesunde – Ärzte vorstellen, weiterzumachen, aber das Vertrauen in die Politik sei weg, sagt Heinrich. Das liege insbesondere an einem finanziellen Anreiz, den der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gemeinsam mit seinem Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) – als Fachmann seiner Fraktion – eingeführt habe. "Wir haben damals gedacht, jetzt ist endlich Schluss mit der Budgetierung.".

Mit der sogenannten Neupatientenregel konnten Ärzte statt 70 Prozent für neue Patienten 100 Prozent abrechnen. Patienten ohne festen Hausarzt sollten damit schneller einen Termin bekommen. Doch dann folgte nach knapp drei Jahren das überraschende Ende, eingeleitet von Lauterbach. Er sagte, die Regelung habe keinen Nutzen gebracht. Durch den Wegfall sparten die Krankenkassen 500 Millionen Euro im Jahr. Den niedergelassenen Ärzten wiederum fehlte auf einen Schlag ebenjene Summe. "Durch die Abschaffung vor zwei Jahren ist nicht nur ein finanzieller Schaden für die niedergelassenen Ärzte entstanden, sondern auch ein riesiger Vertrauensverlust. Das ist das Schlimmste, was Lauterbach auslösen konnte. Das Vertrauen der Ärzte in die Verlässlichkeit von Politik ist weg."

Gipfel bei Lauterbach

Im Bundesgesundheitsministerium finden die Hilferufe der Ärzteschaft Gehör. Am Dienstag wird Minister Karl Lauterbach (SPD) mit den Spitzen der Verbände zusammenkommen, um über die angespannte Lage zu beraten. Das Ministerium wollte nicht mitteilen, wer zum Krisentreffen eingeladen ist.

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An dem Treffen ab dem Nachmittag werden die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Bundesärztekammer, der Hausärzteverband, der Verband der Kinderärzte, der Fachärzteverband und der Spitzenverband der Krankenkassen (GKV) teilnehmen, wie t-online aus Teilnehmerkreisen erfahren hat.

In ihren Forderungen sind die Verbände recht ähnlich. Mit Ausnahme der Krankenkassen, für die es mit höheren Budgets teurer wird: "Wir haben die Hoffnung, dass die Ärzteverbände nicht länger die Patientinnen und Patienten leiden lassen, sondern dass es wieder einen guten Dialog zwischen Politik und Ärzteschaft gibt", sagt ein Sprecher des GKV-Spitzenverbandes t-online.

Den Funken Hoffnung scheint es zu geben: Wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet, soll Lauterbach offen dafür sein, Honorar-Obergrenzen aufzuheben. Außerdem sollen bürokratische Erleichterungen geschaffen werden.

"Der Zeitpunkt ist günstig"

Dem Treffen wird neben Fachärzte-Chef Heinrich auch Markus Beier vom Hausärztinnen- und Hausärzteverband beiwohnen. Deutschlandweit seien knapp 5.000 Hausarztpraxen unbesetzt, 11.000 offene Stellen gebe es bei den medizinischen Fachangestellten. "Die Hausärzte müssen mit immer weniger Zeit immer mehr kranke Patienten versorgen. Bisher sind die Ankündigungen, uns zu stärken, immer noch nicht umgesetzt", sagt Beier t-online. Er erhofft sich endlich Besserung vom Spitzengipfel bei Lauterbach.

Neben mehr Geld geht es Beier um eine neue Struktur. "Patienten sollten nicht in unserem überkomplexen Gesundheitssystem alleingelassen werden, sondern in Hausärzten die erste und koordinierende Anlaufstelle haben. Hausärzte überweisen dann an den richtigen Facharzt." Patienten sollten durch einen finanziellen Bonus der Krankenkassen für die sogenannte hausarztzentrierte Versorgung begeistert werden, fordert Beier.

Der Hausärzte-Chef hofft nun auf neue Lösungen. "Der Zeitpunkt ist günstig: Erfahrungsgemäß werden im Januar Gesetze angeschoben, die bis zur Sommerpause abgeschlossen werden. Ankündigungen und Versprechen müssen sich in den kommenden Wochen in Gesetzen wiederfinden."

Auch die Fachärzte setzen auf den Krisengipfel mit Lauterbach. "Wir sind gespannt, was Lauterbach uns an Lösungen präsentieren wird", sagt Dirk Heinrich vom Virchowbund. "Er kennt die Probleme. Wenn er uns einlädt, nur um uns sein 'Nein' zu erklären, ist das ein überflüssiger Termin." Es müsse konkrete Zusagen geben. Jetzt liege der Spielball bei Karl Lauterbach.

Verwendete Quellen
  • Telefongespräch mit Dirk Heinrich
  • Telefongespräch mit Markus Beier
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