Reaktionen auf Rückzug von Brosius-Gersdorf Ein "ungeheuerlicher Vorgang"
Frauke Brosius-Gersdorf hat sich zurückgezogen. Die Juristin wird nicht mehr für den Posten als Verfassungsrichterin kandidieren. Die ersten Reaktionen.
Die von der SPD nominierte Juristin Frauke Brosius-Gersdorf will nicht länger für die Richterstelle am Bundesverfassungsgericht kandidieren. Dies teilte die 54-Jährige über ihre Bonner Anwaltskanzlei mit.
"Nach reiflicher Überlegung stehe ich für die Wahl als Richterin des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr zur Verfügung", erklärte die Potsdamer Juraprofessorin demnach. "Mir wurde aus der CDU/CSU-Fraktion – öffentlich und nicht-öffentlich – in den letzten Wochen und Tagen sehr deutlich signalisiert, dass meine Wahl ausgeschlossen ist. Teile der CDU/CSU-Fraktion lehnen meine Wahl kategorisch ab."
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SPD-Fraktion reagiert enttäuscht
Die SPD-Fraktion im Bundestag, die Frauke Brosius-Gersdorf nominiert hatte, reagierte enttäuscht auf den Rückzug der Juristin. "Wir werden als SPD-Bundestagsfraktion einen neuen Vorschlag für eine geeignete Besetzung unterbreiten, weiterhin mit klarer Orientierung an fachlicher Exzellenz", kündigte Fraktionschef Matthias Miersch an. "Wir erwarten von unserem Koalitionspartner, dass Absprachen künftig Bestand haben. Ein solcher Vorgang darf sich nicht wiederholen."
Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) sieht die Verantwortung bei der Union: "Die SPD hat immer zu dieser exzellenten Kandidatin gestanden. Diejenigen, die am Ende nicht zu ihrem Wort innerhalb der Koalition gestanden haben, müssen dringend aufarbeiten was da passiert ist", forderte der SPD-Chef. "So ein Vorfall darf sich nicht wiederholen."
Auch die SPD-Co-Vorsitzende Bärbel Bass sieht die Versäumnisse für den Rückzug der Kandidatin bei CDU und CSU: "Ich bedaure sehr, dass die Union nicht in der Lage war, Frauke Brosius-Gersdorf wenigstens zu einem Gespräch mal einzuladen", so die SPD-Chefin. "Ich finde, das muss die Union noch mal für sich aufarbeiten", sagte Bas dem "Spiegel".
Unions-Fraktionschef Jens Spahn hatte die Entscheidung über die Besetzung des Verfassungsgerichts kurz vor der Sommerpause abgesagt, offiziell wegen Plagiatsvorwürfen gegen Brosius-Gersdorf. Doch versagten mehrere Abgeordnete aus Spahns Fraktion der von der SPD nominierten Kandidatin die Stimmen – auch wegen deren Positionen zur Abtreibung.
Bas fürchtet eine polit-kulturelle Verwerfungslinie in der schwarz-roten Koalition. Es mache ihr große Sorgen, "dass rechte Netzwerke es wirklich geschafft haben, eine Kampagne gegen Frauke Brosius-Gersdorf zu führen", sagte Bas dem "Spiegel". Ihre Mahnung: "Wenn es so ist, dass eine Richterwahl beeinflusst werden kann, dann haben wir ein Problem."
Auch der ehemalige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ist enttäuscht über den Schritt der Juristin: "Die Kampagne der Rechtspopulisten gegen Brosius-Gersdorf war erfolgreich", schreibt der SPD-Politiker. "Danke an die Kollegen der Union. Das wird man sich gut merken können", fügt er sarkastisch hinzu.
Spahn bedauert Vorgang
Unions-Fraktionschef Jens Spahn will nach dem Rückzug der Richterkandidatin Frauke Brosius-Gersdorf mit der SPD gemeinsame Lösungen finden. Spahn sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Der Entscheidung von Frau Prof. Brosius-Gersdorf gilt größter Respekt. Für ihre juristische Expertise und persönliche Integrität genießt sie zu Recht hohe Anerkennung. Jenseits der sachlichen Auseinandersetzung gab es herabsetzende und beleidigende Kritik, die Frau Prof. Brosius-Gersdorf in den letzten Wochen erdulden musste. Diese verurteilen wir ausdrücklich. Das habe ich ihr auch persönlich im Namen der Unionsfraktion gesagt."
Spahn sagte weiter: "Ich bedauere, dass diese Lage auch durch die zu späte Ansprache unserer inhaltlichen Bedenken entstehen konnte. Nun werden wir mit der nötigen Ruhe und Sorgfalt eine gemeinsame Lösung mit unserem Koalitionspartner finden."
Grüne reagieren entgeistert
Die Grünen-Fraktion reagiert entgeistert auf den Rückzug der von der SPD für das Verfassungsgericht nominierten Juristin Frauke Brosius-Gersdorf. Die beiden Fraktionschefinnen Katharina Dröge und Britta Haßelmann zweifelten die Handlungsfähigkeit der schwarz-roten Koalition an. Brosius-Gersdorf sei eine "exzellente, hoch qualifizierte Juristin", betonten sie, ihr Rückzug sei ein "ungeheuerlicher Vorgang".
Die Verantwortung dafür trage Unions-Fraktionschef Jens Spahn, der sein Wort gegeben habe und nicht mehr halten könne. "Ein Fraktionsvorsitzender einer Regierungsfraktion, dessen Wort nicht mehr zählt, weder gegenüber dem Koalitionspartner noch anderen demokratischen Fraktionen, ist ungeeignet für eine solch verantwortungsvolle Aufgabe."
Ähnlich sieht es der Grünen-Abgeordnete Janosch Dahmen. "Jens Spahn hat sein Wort gebrochen. CDU und SPD haben Frauke Brosius-Gersdorf der Hetze preisgegeben", schreibt er auf X. "Wer so mit Verfassungsrichtern umgehe, sei "für ein Amt des Fraktionsvorsitzenden nicht mehr geeignet – und gefährdet das Vertrauen in unsere Institutionen".
Jakob Blasel, Bundessprecher der Grünen Jugend, kritisiert den Koalitionspartner der SPD: "Wie kann sich die CDU so krass von rechtsextremen Medien und Anti-Demokratinnen wie Ludwig (Saskia Ludwig, CDU-Bundestagsabgeordnete aus Brandenburg) treiben lassen?", fragt Blasel auf X. Er bekomme Angst vor amerikanischen Zuständen im Verfassungsgericht, schreibt der Nachwuchspolitiker.
Till Steffen, der für die Grünen im Bundestag sitzt, kritisiert vor allem Jens Spahn, der es nicht geschafft habe, die Fraktion zur Wahl von Brosius-Gersdorf zu bringen: "Das werden die SPD-Abgeordneten nicht verzeihen", so Steffen. "Spahn hat die Koalition noch in den ersten 100 Tagen komplett destabilisiert." Bundeskanzler Friedrich Merz müsse jetzt "Konsequenzen ziehen".
Linke attackieren "Versager Spahn"
Der stellvertretende Linken-Fraktionsvorsitzende Luigi Pantisano schrieb auf X, CDU/CSU hätten ganze Arbeit geleistet, eine renommierte Juristin niederzumachen. Er machte den Unionsparteien deutliche Vorwürfe: "Schämt Euch allesamt! Ihr lasst Euch von Rechtsextremisten treiben." Der "Versager Spahn" müsse zurücktreten. Auch die SPD bezeichnete er als "peinlich".
"Es ist kein gutes Zeichen für den Zustand unserer Demokratie, dass die rechte Hetzkampagne schlussendlich Erfolg hatte", erklärte die Linken-Innenpolitikerin Clara Bünger. Brosius-Gersdorf sei persönlich attackiert und ihre wissenschaftliche Arbeit in den Dreck gezogen worden. Es werde sich zeigen, wie viele fähige Juristen und Juristinnen sich noch zu einer Kandidatur für das Verfassungsgericht bereitfänden, fügte Bünger hinzu.
"Das Bundesverfassungsgericht wurde in diesem Prozess beschädigt, besonders durch das Verhalten der Unionsfraktion und ihrem Vorsitzenden Jens Spahn, der nicht in der Lage oder willens war, die Fraktion zu führen", erklärte Bünger.
"Plagiatsjäger" verbreitet Verschwörungserzählungen
Der "Plagiatsjäger" Stefan Weber, der Teil der Medienkampagne gegen die Juristin war, verliert sich auf X dagegen in rechte Verschwörungserzählungen und fordert ein "Nominierungsverbot" für die SPD bei der Besetzung von Verfassungsrichtern: "Das finstere Spiel wird mit anderen Köpfen fortgesetzt", schreibt Weber. "Die Köpfe für den geplanten linken Überstaat sind austauschbar und es gibt deren zur Genüge." Die Erzählung eines linken Überstaats wird insbesondere in rechten und rechtsextremen Kreisen verbreitet. Eine faktische Grundlage dafür gibt es nicht.
Schadenfreude herrscht bei der AfD. So erklärt die Bundestagsabgeordnete Carina Schießl, der Rückzug von Brosius-Gersdorf sei ein "Sieg des Lebens über eine Kultur des Todes". Dabei bezieht sie sich auf die oftmals falsch dargestellte Position der Juraprofessorin zum Abtreibungsrecht.
- Kurznachrichtendienst X
- Nachrichtenagentur dpa