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NSU-Prozess – "Terror ist salonfähig": Deutschland droht ein zweiter NSU


Zum Terror-Urteil
Deutschland droht ein zweiter NSU

  • Jonas Mueller-Töwe
MeinungVon Jonas Mueller-Töwe

Aktualisiert am 14.07.2018Lesedauer: 3 Min.
Meinung
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Fremdenfeindliche Ausschreitungen in Rostock Lichtenhagen 1992: Der Terror des NSU entwuchs einem gesellschaftlichen Klima des Fremdenhasses – 20 Jahre später drohen weitere Terrorgruppen zu entstehen.Vergrößern des Bildes
Fremdenfeindliche Ausschreitungen in Rostock Lichtenhagen 1992: Der Terror des NSU entwuchs einem gesellschaftlichen Klima des Fremdenhasses – 20 Jahre später drohen weitere Terrorgruppen zu entstehen. (Quelle: ullstein bild)

Der NSU-Prozess ist vorbei – die Aufklärung darf es noch lange nicht sein. Zu viele Spuren weisen auf weitere Täter. Und die zweite Terror-Generation steht möglicherweise schon bereit.

Morde, Sprengstoffanschläge, Raubüberfälle – die Rechtsterroristin Beate Zschäpe und vier Helfer des sogenannten "Nationalsozialistischen Untergrunds" sind verurteilt. Damit darf die Aufklärung nicht enden. Zu viele Umstände der Taten liegen noch im Dunkeln, zu viele mögliche Tatbeteiligte sind bislang im schlimmsten Fall unbekannt – und die nächste Generation der Rechtsterroristen könnte bereits heranwachsen.

Die Biographien der NSU-Terroristen, ihrer Helfer und Unterstützer sind eng mit den gesellschaftlichen Radikalisierungsprozessen der Neunziger Jahre verbunden. Böhnhardt, Zschäpe, Mundlos: Das Kerntrio der Terrorgruppe entstammte einer rechtsradikalen Szene, die im Deutschland der Neunziger Jahre nicht überall Außenseiter war. Im Gegenteil: Der Terrorismus war eingebettet in ein Milieu aus Bürgerlichen und Parteien, die die Ideologie der Täter teilten oder billigten. Er war eingebettet in ein umfassendes Klima des Rassismus und des Nationalismus.

Der Terror ist heute salonfähig

Die Fremdenfeindlichkeit, die Asyldebatte, der kurzzeitige Aufstieg rechtsradikaler Parteien wie der NPD im wiedervereinigten Deutschland – viele der Phänomene, die die Neunziger Jahre prägten, begegnen uns 20 Jahre später wieder. Die Bilder der brennenden Flüchtlingsheime der vergangenen Jahre ähneln den damaligen Pogromen in Rostock-Lichtenhagen, Solingen und Hoyerswerda – und auch die Unterstützerbasis dieser erneuten Gewaltwelle ist vergleichbar. Vokabular und Weltbild, mit denen die NPD einst noch provozierte, sind heute eine offenbar salonfähige "Alternative für Deutschland".

Mit der AfD hat es eine Partei in Bundestag und Landesparlamente geschafft, die militanten Rechtsradikalen ähnlich nahe steht wie die NPD. Begrifflich, personell und ideologisch. Der Landesvorsitzende Brandenburgs, Andreas Kalbitz, besuchte im Jahr 2007 – als der NSU im Verborgenen bereits zehn Menschen ermordet hatte – ein paramilitärisches Zeltlager der nationalsozialistischen "Heimattreuen Deutschen Jugend". Wenig später wurde der Verein als verfassungsfeindlich verboten – im NSU-Prozess in München vertrat ein ehemaliger Führungskader den angeklagten Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben als Anwalt.

Die AfD ist der sichere Hafen

Und Kalbitz ist nicht das einzige Beispiel. Auch in weiteren Teilen der Partei ist eine Nähe zu jenen Kreisen festzustellen, die nicht nur ideologisch dem rechtsextremen Terrorismus das Feld bereiten. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Jan Nolte beschäftigt als Mitarbeiter einen mutmaßlichen Komplizen des Terrorverdächtigen Franco A., der sich Waffen für Anschläge auf Politiker besorgte. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Petr Bystron wurde lange Zeit vom Verfassungsschutz für seine Nähe zur Identitären Bewegung beobachtet – bis sein Einzug ins Parlament das unmöglich machte.

Wer den bewaffneten Kampf gegen die bundesdeutsche Republik, gegen vermeintliche Migranten, Linke oder Liberale aufnimmt oder propagiert, so scheint es, hat in der AfD einen sicheren Hafen. Der Prozess gegen die nun verurteilte zehnfache Mörderin Beate Zschäpe und ihre Helfer – für den AfD-Bundestagsabgeordneten Frank Pasemann nichts als ein "Schauprozess". Die tiefe Verachtung des Rechtsstaats, die radikale Milieus seit jeher kennzeichnet – sie hat seit der letzten Bundestagswahl ihre Verbündeten im Parlament. Von dort aus liefern sie mit Racheschwüren gegen das System, Minderheiten und Andersdenkende den Soundtrack zur Gewalt auf den Straßen, zu den Waffenkammern, die auch nun wieder im Verborgenen angelegt werden.

Denn die rechtsradikale Szene hat nichts an Gefährlichkeit eingebüßt. Immer wieder werden Anschlagspläne und rechtsterrroristische Strukturen öffentlich oder zum Glück zerschlagen. Einige träumen von einer verdeckten Armee, die es aufzubauen gilt. Einige träumen von Nazi-Idyllen im Harz. Andere paktieren bereits mit verbotenen Terrororganisationen im Ausland. Der mörderische Kampf der Rechtsextremisten ist noch nicht vorbei. Er hat alte und neue Verbündete. Täter der ersten Terror-Generation sind möglicherweise noch nicht gefasst, eine zweite Generation könnte bereits in den Startlöchern stehen. Das Urteil im NSU-Prozess darf darüber nicht hinwegtäuschen.

Sonst werden bald weitere Opfer zu beklagen sein.

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