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Coronavirus-Gesetz: Was ist dran am angeblichen Impfzwang?


Spahn-Idee im Faktencheck
Corona-Gesetz: Was ist dran am angeblichen Impfzwang?

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 05.05.2020Lesedauer: 5 Min.
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Impfstoff im Blick: Eine Virologin posiert mit einer Spritze zur Impfung gegen das Corona-Virus (Symbolfoto). Es gibt noch kein Mittel, aber schon Debatten. Ein Gesetzentwurf hat zwischenzeitlich die Furcht vor einem Impfzwang wachsen lassen.Vergrößern des Bildes
Impfstoff im Blick: Eine Virologin posiert mit einer Spritze zur Impfung gegen das Corona-Virus (Symbolfoto). Es gibt noch kein Mittel, aber schon Debatten. Ein Gesetzentwurf hat zwischenzeitlich die Furcht vor einem Impfzwang wachsen lassen. (Quelle: C.xHardt/FuturexImage/imago-images-bilder)

Impfzwang und massive Einschränkungen der Grundrechte durch ein neues Corona-Gesetz? In sozialen Netzwerken ist die Alarmstimmung groß. Doch für Aufregung oder sogar Panik besteht kein Grund.

Ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Coronavirus hat im Netz Angst und einen Ansturm auf eine Monate alte Petition ausgelöst: Menschen fürchten, dass das geplante Gesetz eine Pflicht zu einer Impfung mit einem vielleicht nicht ausreichend erforschten Impfstoff bedeuten könnte. Ein Text "Impfpflicht durch die Hintertür" der "Berliner Zeitung" war der meistgeteilte Beitrag in sozialen Netzwerken am Sonntag.

t-online.de macht den Faktencheck zum Gesetzentwurf:

Worum geht es? Im Entwurf zum "Zweiten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" gibt es eine Fülle von Regelungen, mit denen das Gesundheitsministerium in der Corona-Krise nachsteuern will. Dabei geht es zum Beispiel um eine Ausweitung der Tests und um bessere Ausstattungen der Gesundheitsämter. Eine große Diskussion hat der sogenannte "Immunitätsnachweis" ausgelöst.

Wozu soll der Nachweis dienen? Wer immun ist, kann sich nicht anstecken und das Virus nicht mehr verbreiten. Er stellt für andere kein Risiko dar. Für diese Menschen sind folglich weniger Vorsichtsmaßnahmen nötig, so der Gedanke. Die Ungerechtigkeit: Es entstünden möglicherweise Privilegien für Geheilte. Der Immunitätsnachweis könnte sich zu einer Art Freifahrtschein entwickeln. Weil voraussichtlich bald massenhaft Antikörpertests zu Verfügung stehen, könnte der Immunitätsnachweis für alle "Nicht-Infizierten" zum Problem werden, so die Befürchtung der Kritiker.

Was hat das mit Impfzwang zu tun? Zunächst nichts, im Gesetzentwurf steht auch nichts von einem Impfzwang. Allerdings, so die Befürchtung von Kritikern, könnte daraus eine indirekte Pflicht werden, sich impfen zu lassen, um am Leben wie gewohnt teilnehmen zu können. Das ist keine Verschwörungstheorie. Etwa der Kinderarzt Steffen Rabe, Vorsitzender des Vereins "Ärzte für individuelle Impfentscheidung", verurteilt das, weil die Einschränkungen insgesamt bei einer Erkrankung wie Covid-19 unverhältnismäßig seien. Manche Menschen haben Befürchtungen, ein im Eiltempo entwickelter Impfstoff könnte weniger sicher sein. Tatsächlich sollen Zulassungsverfahren beschleunigt werden. Eine Monate alte Petition, die sich eigentlich gegen die Impfpflicht bei Masern ausgesprochen hatte, bekam im Sekundentakt neue Unterzeichner.

Wann kommt der Immunitätsnachweis? Es ist inzwischen unklar, ob er überhaupt kommt. SPD-Chefin Saskia Esken hat inzwischen erklärt, dass die SPD diesem Punkt im Entwurf nicht zustimmen will, obwohl das Kabinett ihn beschlossen hat. Auch die an Landesregierungen beteiligten Grünen, FDP und Linken sperren sich deshalb und könnten das Gesetz im Bundesrat blockieren. Den kritischen Teil will Spahn nun herausstreichen. Ohne die umstrittene Passage könnte der Bundestag am 14. Mai in zweiter und dritter Lesung zustimmen, am 15. Mai der Bundesrat.

Was sind Gegenargumente? Minister Spahn selbst musste Bedenken einräumen: "Was macht es mit einer Gesellschaft, wenn ein Teil von Beschränkungen betroffen ist und ein anderer nicht? Das rührt an den Grundfesten", sagte er. Eine Sorge ist auch, dass bei Nicht-Immunen die Eingriffe in die Grundrechte weniger zurückgenommen werden, wenn es für Immune die Ausnahmen gibt.

Kritiker befürchten auch, dass sich Menschen absichtlich anstecken, um mögliche Vorteile eines Immunitätsnachweises zu erlangen. Die WHO warnt zudem, eine durchstandene Infektion bedeute nicht zwingend Immunität. Es gibt auch Befürchtungen, dass damit eine Hürde fällt und Arbeitgeber in viel stärkerem Maß und nicht nur bei Corona Zugriff auf Informationen zur Art der Erkrankung eines Mitarbeiters bekommen könnten. Der Entwurf war allgemein formuliert, ohne SARS-CoV2 zu nennen.

Wie konkret ist das Vorhaben? Die nun zurückgestellte Regelung sei "vorsorglich" gemeint gewesen, sagte Gesundheitsminister Spahn. Er räumte ein: Bisher ist noch gar nicht gesichert, dass jemand, der infiziert war, sich nicht erneut anstecken könnte. Auch Impfstoffe gibt es noch nicht, die für eine Immunität sorgen könnten. Trotzdem ist für einen möglichen Immunitätsnachweis die Entwicklung eines digitalen Gesundheitszertifikats durch Unternehmen im Verein "Digital Health Germany" bereits weit fortgeschritten: Per App könnte dann etwa am Flughafen oder Arbeitsplatz ausgelesen werden, dass jemand immun ist. Tests damit könnten im Mai anlaufen, berichtete die "Süddeutsche Zeitung".

War das ein heimliches Vorhaben? In sozialen Netzwerken wurde zum Teil verbreitet, die Bundesregierung habe den Gesetzentwurf "versteckt" oder wolle das "heimlich durchziehen". Das ist Unsinn: Das Ministerium informierte per Pressemitteilung mit einem Link zum Wortlaut des Entwurfs und ging dabei auf sechs Punkte ein. Einer war der mögliche Immunitätsnachweis. Spahn stellte das Gesetz auch in einer Pressekonferenz vor. Die heftigen Reaktionen könnten ihn aber überrascht haben. Erst legte er den Immunitätsnachweis auf Eis, um sich eine Einschätzung des Ethikrats zu holen. Am Montag machte er dann klar, dass es ohne andere Parteien die Regelung nicht geben werde.

Werden Grundrechte durch das Gesetz eingeschränkt? Jein. In sozialen Netzwerken heißt es, wenn das Gesetz beschlossen wird, würden Briefgeheimnis oder Unverletzlichkeit der Wohnung nicht mehr gelten. Der wahre Kern daran ist, dass diese Einschränkungen der Grundrechte bereits möglich sind. Das Infektionsschutzgesetz hat die Grundlage für Regelungen in den Ländern geschaffen, die in Bund-Länder-Abkommen und Regelungen der Länder umgesetzt sind. Zum Teil sind die Maßnahmen mit den Lockerungen wieder zurückgenommen worden, möglich sind sie weiterhin und können auch verlängert werden.

Am bekanntesten sind etwa die Eingriffe in Versammlungsfreiheit oder die Freizügigkeit, die den Aufenthalt an bestimmten Orten untersagen. Weniger bekannt und im Leben der meisten Menschen auch ohne Bedeutung: Es wurde auch die Möglichkeit geschaffen, dass ein Amtsarzt die Wohnung einer mutmaßlich infizierten Person betreten darf, um diese untersuchen zu können. Schriftliche Mitteilungen möglicherweise Infizierter dürfen in Ausnahmen auch gelesen werden. Grundrechte werden also gegeneinander abgewogen: Das Recht Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit gegen die Grundrechte der mutmaßlich infizierten Person.

Gibt es im Gesetz andere Regelungen zum Impfen? Es gibt Passagen zur Grippeschutzimpfung. Die Menge der vorgehaltenen Grippeimpfstoffe soll um etwa ein Drittel im Wert von 50 Millionen Euro erhöht werden. Der Hintergedanke: Wenn sich zur kommenden Saison mehr Menschen freiwillig gegen die Grippe impfen, gibt es immerhin weniger Grippekranke, sollte es zu einer Covid-19-Welle kommen.

Gibt es in Deutschland eine Impfpflicht? Jein. Mit dem Masernschutzgesetz ist beschlossen worden, dass Eltern vor Beginn der Kita- und Schulzeit nachweisen müssen, dass ihre Kinder gegen Masern geimpft sind. Auch das Personal muss die Nachweise erbringen. Wer nicht gegen Masern geimpft ist, wird nicht zwangsgeimpft, darf aber nicht den Kindergarten besuchen. Die Schulpflicht wiegt aber schwerer – ein nicht geimpftes Kind darf von der Schule nicht ausgeschlossen werden. Faktisch bedeutet die Regelung aber, dass Eltern um das Impfen kaum herumkommen. So sollen die Masern ausgerottet werden.

Verwendete Quellen
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