Hagia Sophia wird zur Moschee Wir dürfen uns von Erdogan nicht provozieren lassen
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Der türkische Präsident Erdogan will die Hagia Sophia wieder zur Moschee machen. Das kann man kritisieren. Doch für Türkei-Bashing taugt die Sache nicht.
63.000 Menschen finden in ihr Platz zum Gebet. Sie ist die größte Moschee der Türkei und eine der größten der Welt. Erst letztes Jahr wurde die Çamlıca in Istanbul eröffnet – als eine von mehr als 3.000 Moscheen in der Stadt. Es ist nicht Not am Mann. Es gibt genug Moscheen in Istanbul. Warum also muss die Hagia Sophia, die einstige Hauptkirche des östlichen Christentums, von ihrem jetzigen Zustand als Museum in eine Moschee umgewandelt werden? Darauf kann es nur eine Antwort geben: aus politischem Machtkalkül der Regierung. Und das ist das Problem.
Nationalisten und Islamisten fordern diese Provokation gegenüber dem Westen und der Christenheit schon seit Jahren ein. Staatspräsident Erdogans Macht basiert auf diesen Gruppen. Er braucht sie als Wählerinnen und Wähler, deshalb gab er ihrer Forderung nun nach.
Ein weiteres Indiz für dieses Kalkül ist das symbolträchtige Datum, dass er für die Wiedereröffnung der Hagia Sophia als Moschee gewählt hat: den 24. Juli. An diesem Tag vor knapp 100 Jahren wurde 1923 der Vertrag von Lausanne geschlossen. Damit erkannten die Alliierten die Unabhängigkeit und Souveränität der Türkei an, wie Heinrich August Winkler in seiner "Geschichte des Westens" schreibt. Hernach zogen die fremden Truppen auch aus Istanbul ab. Ein Datum also ganz nach dem Geschmack von Recep Tayyip Erdogan.
Moskau schäumt, der Papst leidet Schmerzen
Man sollte der türkischen Regierung hier nicht auf den Leim gehen – weder als Anhänger noch als Gegner. Die Hagia Sophia wird der Entwicklung des Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger keine positive Wendung geben. Sie wird weder die gesellschaftliche Spaltung überwinden noch die Wirtschaftsprobleme lösen. Stattdessen sorgt sie für neue Schwierigkeiten: Moskau schäumt, die EU bedauert, Papst Franziskus leidet im Vatikan Schmerzen und orthodoxe Christen in den USA rufen nach dem Einschreiten Donald Trumps.
Darüber hinaus bestätigt die türkische Regierung, die weltweit immer lautstark ihre Stimme gegen Islamfeindlichkeit erhebt, die Kritik ihrer Gegnerinnen und Gegner und schüttet Benzin in die Feuer der antimuslimischen oder antitürkischen Rassisten. Mit seinem Vollzug der gerichtlich gestatteten Umwandlung ohne jedwede Not stellt Erdogan die Religion des Islams so dar, als sei sie weiterhin auf dem Eroberungszug, um sich weitere Teile der Welt ganz im Sinne von Islamisten einzuverleiben. Damit scheint sich der Kreis zu schließen, den Recep Tayyip Erdogan 1997 eingeschlagen hat. Damals – noch Oberbürgermeister von Istanbul – zitierte er folgende Verse: "Die Minarette sind unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme, die Moscheen unsere Kasernen, die Gläubigen unsere Soldaten", die dem nationalistischen Autor Ziya Gökalp um 1912 zugeschrieben werden.
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Erdogans Entscheidungen sind in den vergangenen Jahren eine schwere Hypothek für die Türkei gewesen. Eine Katastrophe ist seine jetzige Entscheidung daran gemessen nicht. Übertrieben auf ihn zu reagieren und sich provozieren zu lassen, hieße daher, sich seinem Kalkül zu fügen.
Am Ende geht es vielen nur um Türkei-Bashing
Leider tun das viele. Bei jenen, die besonders gern kritisch von Europa aus auf die Türkei schauen, schwingt oft eine gehörige Portion Heuchelei mit. Am Ende geht es ihnen gar nicht um die Hagia Sophia, sondern bloß um Türkei-Bashing. Ihnen kommt jeder Anlass zupass, um das Land am Bosporus und Menschen türkischer Herkunft niederzumachen. Solche Spalter agieren ganz im Sinne des AKP-Chefs, dem verhärtete Fronten zum Machterhalt dienen. Wem tatsächlich an einer konstruktiven Auseinandersetzung gelegen ist, der nimmt das zur Kenntnis und kalkuliert es in seine Kritik ein.
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Wenn wir nun die Absichten Erdogans, welche auch immer das sind, ebenso wie die (Vor-)Urteile über die Türkei ausblenden, ist der Fall Hagia Sophia weniger düster, als er scheint. Niemandem wird der Zutritt verwehrt. Dem Christentum geht die Hagia Sophia nicht verloren. Dem Christentum ist die Sophienkirche bereits 1453 mit der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen verloren gegangen. In der Folge wurde sie zur Moschee.
1935 ging sie ihm dann ein zweites Mal verloren, nachdem der Gründer der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, aus dem geistlichen Haus ein säkulares Museum gemacht hatte. So argumentiere nicht ich, sondern Felix Körner: "Ich empfinde es nicht als Drama, dass jetzt ein Museum wieder Gebetshaus wird", führte er gegenüber dem Domradio aus. Bemerkenswert. Felix Körner ist nicht irgendjemand. Er ist Jesuitenpater, promovierter Islamwissenschaftler, promovierter und habilitierter katholischer Theologe, ordentlicher Professor an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom und darüber hinaus ausgewiesener Türkeikenner. Diesem Mann kann man sein Gehör durchaus mal schenken – eher als manchem Krakeeler.
Das Zauberwort heißt "teilen"
Felix Körner wird mir verzeihen, wenn ich hier dennoch eine andere Auffassung vertrete. Meines Erachtens sollte die Hagia Sophia zunächst ein Museum bleiben, auch wenn ich seinem mit Augenzwinkern vorgetragenen Sekundärargument etwas abgewinnen kann: Als Moschee werde sie für alle wieder zugänglich sein, ohne Museumseintritt zu zahlen.
Aber Zweifel sind auch an der Entscheidung Atatürks für eine Säkularisierung der Ayasofya Camii erlaubt. War es legitim, einer Glaubensgemeinschaft ein so wichtiges Gebäude einfach wegzunehmen?
Eine ideale Lösung läge meines Erachtens in einer multireligiösen Gebetsstätte mit Zugang für alle Interessierten. Religiöse Häuser mit prägender Bedeutung für zwei oder mehrere Religionen sollten allen Seiten offen stehen.
Da sich der Hinweis darauf, wer die älteren Rechte an einem Gebäude hat, nicht zur Beilegung von Konflikten eignet – dem erhobenen Anspruch darauf steht zumeist die reale Herrschaft des anderen gegenüber –, heißt das Zauberwort: teilen. Sowohl Christen als auch Muslime sollten sich die Hagia Sophia teilen und zum Gebet nutzen: entweder gemeinsam oder in abgegrenzten Teilen. Ähnlich wie beim Tempelberg in Jerusalem – freilich ohne den mitunter aufflammenden Streit – oder wie in der Grabeskirche, wo sechs Konfessionen ihre Bereiche haben.
In Córdoba ist es umgekehrt
Europäer, die das der Türkei anempfehlen wollten, müssten jedoch ihren Blick zunächst nach Córdoba in Spanien richten. Dort steht eine Art "Hagia Sophia" mit umgekehrten Vorzeichen: eine ehemalige Moschee, bedeutend, prächtig, weltberühmt, die 1236 dem Islam verloren ging, als sie zur Kirche geweiht wurde. Die Mezquita-Catedral de Córdoba war einst Wahrzeichen von al-Andalus, der jahrhundertelang muslimisch beherrschten Teile der iberischen Halbinsel. Nunmehr ist Muslimen dort das Beten untersagt.
2006 ließ die katholische Kirche den Bau gegen den Protest der Muslime als ihr Eigentum bei der Stadt registrieren. Damals sagte der Bischof von Córdoba und heutige Erzbischof von Sevilla, Juan José Asenjo: "No!" Die von Muslimen vorgeschlagene Umwandlung in ein "ökumenisches Gotteshaus" für Christen und Muslimen sei nicht möglich. Ein gemeinsames Gotteshaus würde nur Verwirrung und Streit unter den Gläubigen beider Religion auslösen, so Asenjo.
Solange eine multireligiöse Gebetsstätte offenbar eine Utopie ist, würde ich mir wünschen, die Hagia Sophia bliebe ein Museum und die Kathedralmoschee würde zu einem gemacht.
Letztlich ist nur eh nur eines wichtig: Beide Gebäude müssen als kulturelles Erbe der Menschheit für alle zugänglich bleiben: Gläubige wie Nichtgläubige.
Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.