Propaganda für die Kleinsten Sekte nimmt Tausende Schulen und Kindergärten ins Visier
Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Fundamentalisten sammeln für ihre Sektenwerbung massenhaft Adressen von Bildungseinrichtungen für Kinder. Das zeigen interne Dokumente, die t-online.de vorliegen.
Christliche Fundamentalisten um Sektenführer Ivo Sasek sammeln Tausende Adressen von Schulen und Kindergärten. Das belegen interne Dokumente der sogenannten Organischen Christus-Generation (OCG), die t-online.de vom Hacker-Kollektiv Anonymous zugespielt wurden. Die Liste ist offenkundig mit dem Zweck angelegt worden, sie für die Verbreitung von Propaganda zu nutzen. Eine Anfrage von t-online.de dazu beantwortete Sasek nicht.
Die Verschwörungsmythen der Sekte sind antisemitisch aufgeladen. Die Gruppe wähnt sich im Krieg gegen Satan und fordert eine vollkommene Unterordnung des Individuums unter "die Autorität Gottes" in einem kollektivistischen "Organismus". Aussteiger schildern Gehirnwäsche und Zwang, Abschottung und Misshandlungen, wie t-online.de berichtete. Sasek selbst empfiehlt in Schriften das Schlagen von Kindern mit Ruten zu Erziehungszwecken. Einer seiner Söhne hat mittlerweile öffentlich mit der Sekte gebrochen.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen Youtube-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren Youtube-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Da die Sekte zur Mitgliedergewinnung entscheidend auf Desinformation beispielsweise durch ihren YouTube-Kanal "Kla.tv" setzt, hatte das Hacker-Kollektiv Anonymous nach eigenem Bekunden vor einigen Wochen eine "Operation" gegen die Gruppe gestartet – und war daraufhin auf mutmaßlich illegale Weise in den Besitz der "V-Lexikon" genannten Datenbank und weiterer Dokumente gelangt. Bereits Anfang des Jahres hatte der Bayerische Rundfunk über eine "Feindesliste" der Gruppe berichtet.
Mutmaßlicher Mitverfasser schweigt
Die interne Adressliste, die t-online.de nun sichten konnte, wurde seit mindestens 2015 unter anderem mit dem Nutzernamen eines OCG-Mitglieds im Münsterland gepflegt. Das geht aus dem Dokument hervor. Der Mann gibt sich öffentlich als OCG-Mitglied zu erkennen. Gemeinsam mit seiner Familie betreibt er eine Internetseite, die für die Gruppierung wirbt. Der Mann stritt gegenüber t-online.de aber ab, Kenntnis vom "V-Lexikon" zu haben oder Einträge verfasst zu haben. Weiter wollte er sich nicht äußern.
Die meisten Einträge der Grundschulen und Kindergärten stammen aus 2015 – vermutlich später wurden in die gleiche Datenbank nach und nach auch Tausende Personen des öffentlichen Lebens aufgenommen: Politiker, Journalisten, Aktivisten – oft mit persönlichen Daten und einem Vermerk, in welchen Themenbereichen sie der Sekte zugeneigt oder abgeneigt sind. In den Einträgen sind auch zahlreiche deutsche Politiker zu finden, zum Teil mit Privatadressen. Datenschutzexperten zweifeln deswegen an der Rechtmäßigkeit einer solchen Liste.
Jedem Datenbankeintrag sind Verteiler zuzuordnen, welches Infomaterial an sie verschickt werden soll – so auch den Einträgen zu Schulen und Kindergärten. t-online.de konnte der Datenbank nicht entnehmen, ob tatsächlich flächendeckende Kontakte zu Bildungseinrichtungen geknüpft wurden oder ob tatsächlich massenhaft Infomaterial versendet wurde.
Umstrittenes Internat geschlossen
Dokumentiert ist aber das große Interesse der Sekte an der frühkindlichen Erziehung und wohlgesonnenen Einrichtungen. So pflegte die Sekte beispielsweise Kontakt zu einem mittlerweile von den Behörden geschlossenen Privatinternat in Österreich.
Der dortigen Weinbergschule in Seekirchen waren jahrelang sektenähnliche Praktiken, autoritäre Strukturen und zweifelhafte Unterrichtsmethoden vorgehalten worden, bis das Land Salzburg Mitte 2019 durchgriff. Die Gründe für die Schließung "gehen auch in diese Richtung", zitierte Radio Salzburg damals Bildungslandesrätin Maria Hutter.
Der Organischen Christus-Generation hingegen war die Schule positiv verbunden. Lehrpersonal besuchte 2017 als Referenten eine Konferenz der Gruppe. Sasek persönlich pries die Referenten auf der Bühne an. "Wir brauchen Euch, wir lieben Euch", sagte er zum Abschied auf der Bühne. In der nun von Anonymous entdeckten Datenbank wurden die Ansichten der Referenten zu Bildung anschließend als "positiv" vermerkt.
Hintergrund: Mit der "Operation Tinfoil" zielt das Hacker-Kollektiv Anonymous derzeit auf Verschwörungsideologen wie Attila Hildmann und Ivo Sasek. Die Gruppe hat bereits zahlreiche Internetauftritte der Organischen Christus-Generation kompromittiert. Zuletzt veröffentlichte Anonymous einen großen Bestand von E-Mails der Gruppe mit Sitz in der Schweiz.
Sasek selbst will das sogenannte "V-Lexikon" noch nie selbst zu Gesicht bekommen haben, wie er auf Anfrage der Schweizer Zeitung "Blick" sagte. "Die von Ihnen gefürchteten Listen dienen der OCG einzig und allein zur persönlichen Orientierung und Weiterbildung, welcher Art und Gesinnung unsere Volksvertreter sind", sagte Sasek. Wortgleich hatte er sich bereits gegenüber dem Bayerischen Rundfunk geäußert. Warum in der Liste Schulen und Kindergärten enthalten sind, beantwortete er auf Anfrage von t-online.de nicht.
Weniger diplomatisch gab er sich in einem nach dem Hackerangriff veröffentlichten "Kla.tv"-Beitrag. Es erhärte sich der Verdacht, hieß es dort, dass sich Systemmedien wie t-online.de, Watson oder der österreichische "Standard" hinter dem Angriff auf die Organische Christus-Generation verbergen. Anonymous seien "virtuelle Auftragskiller". Ähnliches hatte Sasek auch dem Bayerischen Rundfunk vorgeworfen. Anonymous kündigte an, die Angriffe auf die Sekte fortzusetzen.
- Eigene Recherchen
- Tagesschau.de: "Sekte sammelt sensible Daten"
- Salzburg.orf: "Land schließt umstrittetene Weinbergschule"
- Dr. Datenschutz: "Der reinste Datenschutz-Horror"