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"Anne Will" – Virologe Streeck: "Hoffen auf einen Impfstoff ist unseriös"


TV-Kritik "Anne Will"
"Hoffen auf einen Impfstoff ist unseriös"

Von Nina Jerzy

Aktualisiert am 21.09.2020Lesedauer: 4 Min.
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Hendrik Streeck zu Gast bei Anne Will: Der Virologe fordert mehr Risiko in Deutschland im Umgang mit dem Coronavirus.Vergrößern des Bildes
Hendrik Streeck zu Gast bei Anne Will: Der Virologe fordert mehr Risiko in Deutschland im Umgang mit dem Coronavirus. (Quelle: imago images)

In Deutschland steigen die Zahlen der Neuinfektionen mit dem Coronavirus wieder an – Restaurants, Schulen, Kitas sind aber mittlerweile wieder geöffnet. Braucht es einen Strategiewechsel im Umgang mit der Pandemie für den Herbst und Winter?

Virologe Hendrik Streeck fordert im Umgang mit Corona mehr Risiko. Von seinem Strategiewechsel bleibt aber bei "Anne Will" nur eine "Anpassung" übrig. Zustimmung bekommt die Corona-Ampel. In Rheinland-Pfalz soll sie kommen.

Die Gäste

  • Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz
  • Frank Ulrich Montgomery, Vorstandsvorsitzender des Weltärztebundes
  • Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie und HIV-Forschung an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn
  • Marina Weisband, Autorin, politische Aktivistin (ehemals Piraten-Partei)
  • Ranga Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist

Die Positionen

Während sich die Corona-Lage in anderen Ländern nach dem Sommer zuspitzt, scheint Deutschland allmählich zur Normalität zurückkehren zu wollen. Viel zu früh, warnte Frank Ulrich Montgomery mit Blick auf Bundesligaspiele vor Publikum. "Ich halte es nach wie vor für zu gefährlich", sagte er bei "Anne Will". "Wir sind noch lange nicht aus der Corona-Epidemie heraus."

"Ich bin eigentlich zuversichtlich, dass wir die Lage ziemlich gut im Griff haben", sagte hingegen Malu Dreyer. Sie verteidigte die von Montgomery kritisierten regional unterschiedlichen Vorschriften im Kampf gegen das Virus Sars-CoV-2. Diese föderale Strategie sei sehr erfolgreich gewesen. "Natürlich gibt es gemeinsame Regeln", unterstrich die Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz mit Blick auf den Bund. Aber die Gesundheitsämter vor Ort müssten je nach der Zahl der Neuinfektionen anders handeln können.

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"Differenziert hinschauen", lautete auch der wichtigste Rat von Ranga Yogeshwar an die Zuschauer, ehe die sich über verschiedene Strategien aufregen. "Gleiche Regeln für alle" sei leider ein zu simples Konzept, um die aktuelle Lage richtig einschätzen zu können. Deutschland habe mit der vergleichsweise geringen Zahl von Toten unglaublich viel Glück gehabt. Die Folge: Corona sei für die meisten Menschen noch eine abstrakte Gefahr. Das könne sich aber schnell ändern, denn: "Jetzt kommt der Winter." Der werde die eigentliche Herausforderung, sagte Yogeshwar.

Der Wortwechsel des Abends

Hendrik Streeck hatte mit der Forderung nach einem Strategiewechsel im Kampf gegen das Coronavirus zuletzt für Aufsehen gesorgt. Bei der Bewertung der Lage dürfe man sich nicht mehr allein auf die reinen Infektionszahlen beschränken, sagte er der "Welt am Sonntag". "Ich glaube, es ist wichtig, dass wir auf verschiedene Faktoren gleichzeitig schauen", bekräftigte der Virologe bei "Anne Will". Dazu gehörten die Zahl der freien Intensivbetten und die verfügbaren Testkapazitäten.

"Das ist kein Strategiewechsel, das ist eine intelligente Strategieanpassung", kritisierte Montgomery. Streeck stimmte widerstandslos zu und übernahm die Wortwahl des Kollegen. Er blieb im Kern aber bei seiner Kritik. In den vergangenen sechs Monaten seien im Kampf gegen die Pandemie "wahnsinnig viele Daten gesammelt" worden. Diese könnten nun intelligent genutzt werden, beispielsweise zum Berechnen von Schwellenwerten für verschiedene Bereiche oder Regionen. Aber: "Wir nutzen die Daten gar nicht, weil wir vornehmlich momentan auf die Infektionszahlen gucken", monierte Streeck.

Er plädierte für mehr Risikobereitschaft, etwa bei der Genehmigung einzelner Großveranstaltungen, gute Hygienekonzepte vorausgesetzt. Gewissheiten gebe es aktuell ganz einfach nicht. "Daher müssen wir ausprobieren, wir müssen Trial and Error machen", sagte Streeck. Auf Wills Einwand, ob das nicht zu riskant sei, erwiderte der Virologe: "Was ist denn die Alternative? Das Virus ist Teil von unserem Leben. Alle hoffen auf einen Impfstoff. Das finde ich ziemlich unseriös, weil wir einfach nicht sagen können, wann ein Impfstoff kommt." Das könne in ein paar Monaten so weit sein, sich aber auch Jahrzehnte hinziehen: "Wir wissen es einfach nicht."

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Das Zitat des Abends

Streeck will noch auf andere Weise weg von der Konzentration auf Neuinfektionen. Er sprach sich für eine Corona-Ampel aus, um die Bevölkerung über die aktuelle Tageslage zu informieren. "Ich bin absolute Befürworterin", sagte Dreyer zu diesem Grün-Gelb-Rot-System. Ein solches System werde in Rheinland-Pfalz gerade mit den Kommunen erarbeitet.

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"Wir müssen mehr Transparenz schaffen", forderte die SPD-Politikerin. Eine Corona-Ampel könne für klare Regeln sorgen und damit helfen, den Verdacht der Willkür zu bekämpfen. Noch stehe die Mehrheit der Bevölkerung hinter den Covid-19-Maßnahmen. Die Bundesregierung hatte zuletzt im ARD-Deutschlandtrend mit 66 Prozent Zustimmung einen Rekordwert erreicht. "Wir müssen daran arbeiten, dass dieses Vertrauen erhalten bleibt", mahnte Dreyer.

"Wir müssen besser kommunizieren", sagte auch Marina Weisband und forderte, beispielsweise Schüler direkt an der Entscheidung über Schutzmaßnahmen an ihrer Schule zu beteiligen. Schulen und Kitas sind für die Autorin derzeit die Bereiche, auf die man sich im Kampf gegen Corona konzentrieren sollte: "Danach kommt erst mal lange nichts. Und über Fußball und Konzerte und Feiern unterhalten wir uns ganz zum Schluss."

Der Faktencheck

Zwar steigen die Fallzahlen hierzulande deutlich. Noch aber kommt Deutschland vergleichsweise glimpflich davon. Das gilt scheinbar selbst für den Direktvergleich mit der Lage im Frühjahr. Die "Anne Will"-Redaktion machte das deutlich, indem sie die Statistiken von zwei Tagen verglich. Am 15. April gab es demnach hierzulande knapp 2500 Neuinfektionen, rund 2.700 belegte Intensivbetten und eine Sterberate von sieben Prozent. Am 19. September wurden 2.300 Neuinfektionen verzeichnet, aber nur 257 belegte Intensivbetten und eine Sterberate von 0,1 Prozent.

Warum sind die Werte so gut?, wollte die Gastgeberin von Streeck wissen. Dafür gebe es viele Ursachen, erwiderte der Virologe. Ein simpler Grund sei: "Der Vergleich hinkt." So werde mittlerweile extrem viel mehr getestet als im Frühjahr und dadurch die Dunkelziffer ausgeleuchtet. Es werden also mehr Erkrankte ohne schwere Krankheitssymptome getestet und erfasst.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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